Année politique Suisse 2006 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Raumplanung
2005 war es zu Protesten gegen eine umstrittene Umzonung in
Galmiz (FR) im Zusammenhang mit der möglichen Ansiedelung einer Produktionsstätte des Biotechnologiekonzerns Amgen gekommen. Im Januar gab das Unternehmen bekannt, es habe sich für einen Standort in Irland entschieden. Wirtschaftsminister Deiss wertete dies als einen bedauerlichen Misserfolg für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Die Landschaftsschützer zeigten sich hingegen überzeugt, dass sich ihre Opposition positiv auf die Raumplanung und die Standortförderung auswirken würde. Das „Aktionskomitee Galmiz – Ja zur Raumplanung Schweiz“ verlangte in einem neuen Raumplanungsgesetz eine schärfere Trennung von Bau- und Nichtbauland und eine Verbesserung der Kompetenzordnung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden
[1].
Die Stiftung „Landschaftsschutz Schweiz“ kündigte an, sie wolle in Ergänzung zu den beiden eidgenössischen Volksinitiativen der Stiftung „Helvetia nostra“ ein eigenes Volksbegehren „Stopp der Zersiedelung“ lancieren, das sich gegen den ungebremsten Bodenverbrauch und die Wachstumspolitik zahlreicher Gemeinden und Kantone richtet
[2]. Laut einer Studie von Infras beruht die
Zersiedelung der schweizerischen Landschaft nicht zuletzt auf zu gross dimensionierten Bauzonen, die vermutlich bis 2030 gar nicht benötigt werden. Mit dem marktwirtschaftlichen Instrument der Flächennutzungszertifikate könnte der Bodenverbrauch besser gesteuert werden
[3]. Eine Untersuchung der Bundesämter für Raumplanung und für Statistik zeigt, dass die Zahl der Wohnungen ausserhalb der Bauzone zwischen 1990 und 2000 um 12 000 auf 195 000 zunahm. Bei rund einem Viertel dieser 195 000 Logis handelt es sich um Zweitwohnungen. Insgesamt befinden sich rund 10% aller Wohngebäude und 30% sämtlicher Gebäude ausserhalb der Bauzone
[4].
Nach der kleinen Kammer im Vorjahr stimmte der Nationalrat im Herbst diskussionslos einer Motion der ständerätlichen Rechtskommission zu, welche eine bessere Koordination von Umweltschutz und Raumplanung verlangt. Umweltrechtliche Grundsatzfragen seien bereits in den Richtplänen zu berücksichtigen, was zu einer Entlastung der projektbezogenen Umweltverträglichkeitsprüfungen führe. Damit könnten Auseinandersetzungen um umstrittene Standorte entschärft und die Realisierungschancen für Bauvorhaben verbessert werden AB NR, 2006, S. 1520 und Beilagen IV, S. 198 f. Zum Verbandsbeschwerderecht siehe unten, Teil I, 6d (Allgemeine Umweltpolitik); vgl. SPJ 2005, S. 162 und 172 f. .
In Umsetzung der Motionen Büttiker (fdp, SO) und UREK-NR erarbeiteten die Bundesämter BAFU und ARE im Dialog mit Kantonen, Städten sowie Grossverteilern eine Empfehlung, welche die Kantone auffordert, die
Standorte verkehrsintensiver Einrichtungen (Einkaufszentren, Fachmärkte und Freizeitanlagen) frühzeitig in den kantonalen Richtplan aufzunehmen
[6]. Migros, Coop, Manor und Ikea schlossen sich mit Immobilieninvestoren zum Verband „Espace.mobilité“ zusammen, um sich für eine wirkungsorientierte Raumplanungs- und Umweltpolitik einzusetzen. Konkret verlangen sie bessere Rahmenbedingungen für Bauinvestitionen, raschere Planungs- und Bewilligungsverfahren sowie den Einbezug aller öffentlichen und privaten Interessen
[7].
Im Mai reichte die FDP Zürich ihre eidgenössische
Volksinitiative
„Verbandsbeschwerderecht: Schluss mit der Verhinderungspolitik – Mehr Wachstum für die Schweiz!“ mit rund 119 000 Unterschriften ein. Das Begehren will das Beschwerderecht von privatrechtlich organisierten Verbänden einschränken. Namentlich sollen solche Einsprachen gegen durch Volksabstimmungen oder durch Entscheide der Legislative (Bund, Kantone und Gemeinden) abgesegnete Bewilligungen zur Realisierung von Projekten nicht mehr möglich sein
[8].
Im September präsentierte der Bundesrat seine
Botschaft zum Bundesgesetz über Geoinformation. Der Gesetzesentwurf liefert eine einheitliche Rechtsgrundlage für die Landesvermessung, die amtliche Vermessung und für alle weiteren Informationen über Grund und Boden und ermöglicht die Einführung eines Katasters der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen. Der Entwurf entspricht weitgehend der in die Vernehmlassung gegebenen Vorlage. In zwei Punkten trug die Regierung den Bedenken der Kantone Rechnung: So beteiligt sich der Bund an der Finanzierung des Katasters der öffentlichrechtlichen Eigentumsbeschränkungen. Ausserdem trägt er den dezentralen Strukturen Rechnung, indem er den Artikel über die Mitwirkung der Kantone wieder ins Gesetz einfügt und sie nicht mit einer Verordnung regelt. Er gesteht den Kantonen zudem ähnlich wie beim Bildungsartikel bereits bei der Vorbereitung von Rechtserlassen des Bundes verstärkte Informations- und Konsultationsrechte zu
[9].
Im Frühling nahm der
Nationalrat die Beratungen zur
Teilrevision des Raumplanungsgesetzes in Angriff. Dieses will die Nebenerwerbsmöglichkeiten für die Landwirtschaft verbessern, Bauten für hobbymässige Tierhaltung erleichtern und Aufstockungen und Umnutzungen bestehender landwirtschaftlicher Wohnbauten für landwirtschaftsfremdes Wohnen ermöglichen. Die Grünen beantragten vergeblich Nichteintreten; für sie widersprach die Vorlage dem grundsätzlichen Ziel der Raumplanung, die beschränkte Ressource Boden haushälterisch zu nutzen, da sie einer weiteren Zersiedlung Vorschub leiste. Stattdessen solle der Bundesrat eine separate Botschaft zur Energiegewinnung aus Biomasse durch die Bauern vorlegen. Bundesrat Leuenberger hielt eine leichte Liberalisierung zugunsten des Agrotourismus und zugunsten der Energieproduktion hingegen für vertretbar. In der Detailberatung folgte der Nationalrat mit geringfügigen Ausnahmen dem Entwurf des Bundesrates und der vorberatenden UREK. Er verwarf einen Minderheitsantrag Brunner (svp, SG), aus Biomasse nicht nur Energie zu gewinnen, sondern auch andere Verwertungsarten zu erlauben, hiess aber einen Kompromissvorschlag Lustenberger (cvp, LU) gut, der Anlagen zur Gewinnung von Kompost aus Biomasse besser stellen will. Weitere Abänderungswünsche von Seiten der SVP und der Grünen blieben alle chancenlos: So sind Bauten und Anlagen abzureissen, wenn die entsprechende Sonderbewilligung wegfällt, Landwirte, die für die Sicherung ihrer Existenz auf ein Zusatzeinkommen angewiesen sind, sollen betriebsnahe nichtlandwirtschaftliche Nebenbetriebe errichten dürfen, und nichtlandwirtschaftliche Nebenbetriebe in der Landwirtschaftszone müssen den gleichen gesetzlichen Anforderungen genügen wie vergleichbare Betriebe in der Bauzone. Abgelehnt wurde auch ein Antrag Dupraz (fdp, GE), der den Kantonen die Kompetenz geben wollte, den Umbau von Bauten und Anlagen in Wohngebäude zu gestatten, sofern dies nicht mit neuen Infrastrukturen, Strassen, Kanalisation etc. zulasten der Gemeinwesen verbunden ist; solch eine umfassende Änderung gehöre gemäss Nationalrat in die Totalrevision des Raumplanungsgesetzes. Gegen den Willen der SVP dürfen die Kantone wie vom Bundesrat beantragt weitergehende Bestimmungen zum Schutz der Landschaft erlassen. Das Geschäft passierte die Gesamtabstimmung mit 139:18 Stimmen bei 7 Enthaltungen
[10].
Im Herbst widmete sich der
Ständerat der Vorlage: Eintreten war unbestritten, obschon mehrere Ratsmitglieder eine Gesamtkonzeption vermissten und den Grundsatz der Trennung von Bau- und Nichtbaugebiet verletzt sahen. Zudem wurde die Befürchtung laut, den Kantonen und Gemeinden werde zuviel vorgeschrieben. In der Detailberatung schloss sich der Rat weitgehend den Vorschlägen von Bundesrat und Nationalrat an. Kein Gehör hatte der Ständerat jedoch für den Vorschlag der grossen Kammer, den Bau von Kompostieranlagen auf Bauernhöfen zu erlauben; es sei nicht sinnvoll, Anlagen zu bewilligen, für deren Betrieb Material über grössere Distanzen transportiert werden muss, ohne dass diese dann ihrerseits Energie produzieren. Eine Minderheit Pfisterer (fdp, AG) wehrte sich vergeblich dagegen, auch jenen Bauern, die nicht auf ein Zusatzeinkommen angewiesen sind, den Unterhalt von landwirtschaftsnahen gewerblichen Nebenbetrieben und Agrotourismus zu gestatten. Eine solche Regelung benachteilige sowohl Gewerbetreibende und Landwirte in den Bauzonen, da sie höhere Bodenpreise bezahlen müssten, als auch Nichtlandwirte ausserhalb der Bauzone. Kommissionssprecher Schmid (cvp, AI) bezeichnete diesen Artikel als Kern der Vorlage, mögliche Missbräuche seien durch die mit der vom Nationalrat ins Gesetz eingefügten Bestimmung zur Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen zu bekämpfen. Bundesrat Leuenberger wies zudem darauf hin, dass florierenden Betrieben, die für Agrotourismus besonders attraktiv sind, entsprechende Aktivitäten untersagt würden. Eine Differenz zur grossen Kammer schuf der Ständerat im Zusammenhang mit der Anwendung des neuen Bundesgerichtsgesetzes, welches am 1. Januar 2007 in Kraft tritt. So beharrte der Rat darauf, abweichend von der allgemeinen Bundesrechtsgesetzgebung den heutigen Rechtszustand weiterzuführen, indem in der Raumplanung die Kantone und Gemeinden auf demokratischem Weg entscheiden und das Bundesgericht nicht belasten. Zudem soll für den Erlass vorläufiger Massnahmen im Raumplanungsbereich weiterhin die kantonale Kompetenzregelung gelten. Die Vorlage passierte die Gesamtabstimmung mit 32:2 Stimmen bei 2 Enthaltungen
[11].
In
zweiter Lesung hielt der Nationalrat an seinem Beschluss fest, nebst der Gewinnung von Energie aus Biomasse auch den Kompost explizit zu erwähnen. Damit würden nebst der Erstellung von Vergärungsanlagen auch die bäuerlichen Kompostierungsanlagen zonenkonform. Auch in Bezug auf das Rekursrecht hielt der Rat aus systematischen Gründen an seiner Fassung fest
[12].
Nachdem die kleine Kammer eine Standesinitiative des Kantons Bern zur
Neukonzeption des Raumplanungsgesetzes bereits vor zwei Jahren abgelehnt hatte, verwarf auch der Nationalrat das Begehren diskussionslos. Beiden Räten ging die vorgesehene abschliessende Kompetenz der Kantone, Vorschriften zur Umnutzung von nicht mehr landwirtschaftlich genutztem Wohnraum zu erlassen, zu weit
[13].
[1]
BZ, 24.-25.1.06;
TA, 25.1.06; Presse vom 27.3.06; zu den einzelnen Verfahrensschritten in der Raumplanung siehe auch
NZZ, 13.5.06. Vgl.
SPJ 2005, S. 162. Forster (fdp, SG) zog ihre Motion zurück, welche verlangt hatte, dass der Bund bei der Planung und Projektierung von Grossvorhaben frühzeitig anzuhören sei. Der Bundesrat hatte auf die geplante Totalrevision des Raumplanungsgesetzes hingewiesen (
AB SR, 2006, S. 169 f.).
[2]
TA, 19.10.06; zu den Initiativen von Helvetia nostra siehe unten, Bodenrecht und Teil I, 6d (Erhaltung der Umwelt).
[3] Presse vom 30.6.06;
Lit. Infras.
[4]
NZZ, 21.1.06;
Lit. Hornung et al.
[6]
24h, 3.6.06;
NZZ, 7.6.06;
Lit. BAFU/ARE; vgl.
SPJ 2000, S. 165 f. Siehe auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Bernhardsgrütter (gp, SG) in
AB NR, 2006, Beilagen V, S. 231 f.
[8]
BBl, 2006, S. 5887 f.; Presse vom 12.5.06. Siehe auch unten Teil I, 6d (Allgemeine Umweltpolitik). Abgeschrieben wurden zwei Motionen der SP-Fraktion betreffend Genehmigungsbedürftigkeit von Vereinbarungen resp. aufschiebende Wirkung von Beschwerden in Verwaltungsverfahren und eine Motion Giezendanner (svp, AG) betreffend Ausschluss des VCS vom Verbandsbeschwerderecht (
AB NR, 2006, S. 1589 und 1593 sowie Beilagen III, S. 114 f., 117 und 128 f.).
[9]
BBl, 2006, S. 7817 ff.; vgl.
SPJ 2005, S. 163.
[10]
AB NR, 2006, S. 27 f. und 185 ff.;
SGT, 7.3.06; Presse vom 15.3.06; vgl.
SPJ 2005, S. 163. Der Rat verlängerte die Frist zur Behandlung der parlamentarischen Initiative Dupraz (fdp, GE), welche den Kantonen die Kompetenz zur Bewilligung von Umbauten in der Landwirtschaftszone geben will (
AB NR, 2006, S. 483 und Beilagen I, S. 49 ff.).
[11]
AB SR, 2006, S. 805 ff.
[12]
AB NR, 2006, S. 1790. Der Rat verlängerte die Frist zur Behandlung der parlamentarischen Initiative Joder (svp, BE), Kleintierzucht und -haltung in der Landwirtschaftszone (
AB NR, 2006, S. 1570).
[13]
AB NR, 2006, S. 1069 und Beilagen IV, S. 43 f.; vgl.
SPJ 2004, S. 148.
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