Année politique Suisse 2006 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Ausländerpolitik
Drei
Standesinitiativen der Kantone Bern (Verschärfungen bei der Ausrichtung der Nothilfe an kooperationsunwillige Ausländer) und St. Gallen (zeitliche Ausdehnung der Vorbereitungshaft bei Ausländern, von denen vermutet werden kann, dass sie ihre Ausweispapiere vernichtet haben, um einer Ausschaffung zu entgehen), wurden von beiden Kammern diskussionslos abgelehnt, da die Anliegen im Rahmen der Revision der Ausländergesetzgebung (siehe unten) thematisiert worden seien. In gleicher Weise wurde eine Standesinitiative des Kantons Waadt verworfen, die eine Lockerung bei den Kurzarbeitsbewilligungen für die Bereiche Landwirtschaft, Gastgewerbe und Tourismus verlangte
[2].
1999 hatte der Nationalrat eine parlamentarische Initiative Goll (sp, ZH) für eine
Besserstellung von Migrantinnen und die entsprechende Änderung des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer gutgeheissen. Die Initiative verlangte insbesondere eine zivilstandsunabhängige Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung für Migrantinnen, die sich von ihrem gewalttätigen, in der Schweiz lebenden Ehemann trennen. 2001 hatte der Ständerat entschieden, auf den Entwurf nicht einzutreten resp. dessen Behandlung bis nach Abschluss der Totalrevision des Ausländerrechts zu sistieren. Er übernahm damit die Auffassung des Bundesrates, der auf die laufenden Arbeiten verwies. Da er das Anliegen im neuen Ausländergesetz weitgehend als berücksichtigt erachtete, weigerte sich der Ständerat nun erneut, darauf einzutreten, womit das Geschäft erledigt ist. Aus den gleichen Gründen beschloss er, eine 2001 von ihm gutgeheissene parlamentarische Initiative Hess (fdp, OW) für eine Vorbereitungshaft bei Ausweisungen sowie zur Bekämpfung von Scheinehen nicht weiter zu verfolgen; bei diesem Geschäft hatte sich der Nationalrat 2004 mit den gleichen Argumenten gegen Eintreten ausgesprochen
[3].
Die ausländische Bevölkerung in der Schweiz nahm 2006 um 0,8% auf
gut 1,5 Mio Menschen zu. Der Zuwachs ist grösstenteils auf die Zuwanderung aus der EU zurückzuführen. Einmal mehr beeinflusste laut Bundesamt für Migration (BFM) das bilaterale Abkommen mit der EU über den freien Personenverkehr die Zusammensetzung der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz. Aus den 15 alten EU- und den EFTA-Staaten kamen mit 18 070 Menschen 2,1% mehr in die Schweiz als 2005, während die Zuwanderung aus Ländern ausserhalb der EU abnahm. Ende 2006 lebten 1 523 586 Ausländerinnen und Ausländer dauerhaft in der Schweiz, was
20,4% der Bevölkerung ausmachte. Am meisten Menschen kamen wie bereits in den Vorjahren aus Deutschland (15 000) und Portugal (6208). An dritter Stell standen die Zuwanderer aus Frankreich (2548). Geringer war die Immigration aus Serbien, Italien, Spanien, Bosnien-Herzegowina und Sri Lanka. Das entspricht laut BFM dem Trend der letzten fünf Jahre. Als häufigster Einwanderungsgrund wurde die Erwerbstätigkeit genannt (37,4%), gefolgt vom Familiennachzug (36,6%) und der Aus- und Weiterbildung (13,3%). Den grössten ausländischen Bevölkerungsanteil stellten weiterhin die italienischen Staatsbürger mit 291 684 Personen, gefolgt von Serbien mit 190 794, Portugal mit 173 477 und Deutschland mit 172 580. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 47 607 Menschen eingebürgert, 7854 mehr als 2005
[4].
Im Jahr 2006 ist die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen in der Schweiz so stark angestiegen wie seit fünf Jahren nicht mehr. Mitte 2006 waren rund
850 000 Personen aus dem Ausland in der Schweiz
erwerbstätig, was gegenüber dem Vorjahr einen Anstieg von 2,4% bedeutet. Damit hatte jede fünfte erwerbstätige Person in der Schweiz einen ausländischen Pass – und darin sind Grenzgänger, Kurzaufenthalter und Asylbewerber noch nicht einmal eingeschlossen. Besonders deutlich zugenommen hat dabei die Zahl der deutschen (+10,6%) und portugiesischen (+7,4%) Beschäftigten. Der grösste Teil der arbeitenden Ausländer in der Schweiz stammt aus einem EU- oder EFTA-Mitgliedsland. Das zahlenmässig grösste Kontingent stellen nach wie vor Italien und der westliche Balkan (zusammen knapp 20%), gefolgt von Deutschland und Portugal. Über zwei Drittel der Immigranten können sich über einen
hohen Ausbildungsstand ausweisen. In den letzten 10 Jahren haben 76% der Einwanderer in die Schweiz eine Ausbildung auf Sekundarstufe II oder Tertiärstufe absolviert. Noch viel ausgeprägter gilt dies für die Neuankömmlinge aus Nord- und Westeuropa. Von ihnen haben 94% eine nachobligatorische Ausbildung hinter sich. Sie arbeiten deshalb auch zu 48% in hoch qualifizierten Berufen (Akademiker, Kaderfunktionen), gegenüber lediglich 25% unter der schweizerischen Bevölkerung. Bei den Deutschen in der Schweiz sind es sogar über die Hälfte, nämlich 52%. Neben dem Kriterium Herkunftsregion zeigen sich auch markante Unterschiede im Ausbildungsniveau beim Vergleich hinsichtlich des Zeitpunkts der Einwanderung: Während von den in den letzten 10 Jahren eingewanderten Ausländern drei Viertel eine nachobligatorische Ausbildung abgeschlossen haben, sind es bei denjenigen, die schon länger als ein Jahrzehnt in der Schweiz leben und arbeiten, nur 55%
[5].
Im September stimmte das Volk über das neue Ausländergesetz ab; siehe dazu unten, Flüchtlingspolitik.
[2]
AB NR, 2006, S. 484 f.;
AB SR, 2006, S. 395 f.
[3]
AB SR, 2006, S. 284 f. Siehe
SPJ 2001, S. 200 f. und
2004, S. 205 (FN 9).
[4] Presse vom 13.2.07. Das BFM erfasst jene Ausländerinnen und Ausländer, die während mindestens einem Jahr in der Schweiz wohnhaft sind und eine Bewilligung für den Aufenthalt, die Niederlassung oder einen mehr als zwölfmonatigen Kurzaufenthalt besitzen. Menschen aus dem Asylbereich, internationale Funktionäre und Diplomaten sowie deren Familien figurieren nicht in dieser Statistik. Siehe
SPJ 2005, S. 203. Zur Einbürgerung, siehe oben, Teil I, 1b (Bürger- und Stimmrecht).
Copyright 2014 by Année politique suisse