Année politique Suisse 2006 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung / Berufsbildung
print
Lehrstellen
Auch in diesem Berichtsjahr befasste sich das Parlament mit der Lehrstellenknappheit: Der Ständerat überwies eine im Vorjahr von der grossen Kammer gebilligte Motion Galladé (sp, ZH) in geänderter Form, wonach der Bundesrat Betriebe, die Lehrstellen und andere Ausbildungsplätze anbieten, bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vermehrt berücksichtigen muss; die WAK wollte die Lehrlingsausbildung jedoch nicht wie die Motionärin als zwingendes Kriterium für das Beschaffungswesen festlegen [18]. Der Nationalrat hiess diskussionslos Postulate seiner WBK und von Robbiani (cvp, TI) gut. Ersteres verlangte einen Bericht zu den Defiziten im Lehrstellenbereich (Berufsfelder, Regionen, Massnahmen, Basislehrjahr), letzteres eine Darstellung der Massnahmen, welche die Bundesverwaltung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ergriffen habe. In seiner Antwort auf eine dringliche Anfrage der SP-Fraktion erklärte der Bundesrat, der Bund habe in den letzten sieben Jahren die Anzahl Lehrstellen um 41% erhöht. Bis Ende 2011 strebe er einen Lernendenanteil von 4% an. Für stellenlose junge Arbeitnehmende habe er in Zusammenarbeit mit der Arbeitslosenversicherung die Möglichkeit geschaffen, in der Administration oder in bundesnahen Unternehmungen ein sechsmonatiges Berufspraktikum zu absolvieren [19].
Im Sommer lancierte FDP-Nationalrat Otto Ineichen (LU) das schweizweite, auf drei Jahre angelegte Projekt „Speranza 2000“, welches von Unternehmen, Kantonen und dem Bund getragen wird. Ziel war es, bis im Herbst 2000 Praktikumsstellen für schulisch schwache Jugendliche zu schaffen, welche keine Lehrstelle finden. Die Praktikumsplätze für ein oder ein halbes Jahr sollen mittelfristig in zweijährige Grundausbildungen mit eidgenössischem Berufsattest überführt werden; die Berufsverbände reagierten mit Skepsis. Eine erste Zwischenbilanz ergab 1800 neue Lehrstellen auf Ende Oktober, die jedoch nicht alle besetzt werden konnten. Die Initianten erklärten, nicht überall habe die Zusammenarbeit gleich reibungslos funktioniert, erfolgreich sei sie in den Kantonen Luzern, Aargau und Thurgau verlaufen. Eine Weiterführung des Projekts sei geplant [20].
An der zweiten nationalen Lehrstellenkonferenz in Genf stellte Bundesrätin Leuthard ein vom Bund finanziertes Stützprogramm für schulisch und sozial benachteiligte Jugendliche vor. Das von Bund und Kantonen gemeinsam getragene „Case-Management“ will Jugendliche bereits ab dem 7. Schuljahr erfassen und gezielter als bisher fördern; Lehrer, Berufsberater und Eltern werden miteinbezogen. Ab dem 9. Schuljahr erhalten die Betroffenen einen persönlichen Coach zur Seite gestellt, der ihnen bei der Berufswahl und der Lehrstellensuche hilft. Er steht solange zur Verfügung, bis eine definitive Lösung für den Berufseinstieg gefunden ist. Die Kosten dieses Engagements übernimmt der Bund, er unterstützt Pilotprojekte und leistet die Anschubfinanzierung. Die Kantone klären den konkreten Bedarf ab, damit das Konzept im kommenden Frühjahr umgesetzt werden kann. Ausgebaut wird auch das Beratungsangebot für Lehrbetriebe: Bund, Kantone und Arbeitsorganisationen erarbeiten ein Hilfsprogramm für jene Betriebe, die Jugendliche mit erschwerten Anforderungen ausbilden. Sie erhalten Unterstützung in rechtlichen, organisatorischen und sozialen Fragen sowie bei Konflikten und Krisen. Um die Zahl jener Schulabgänger zu erhöhen, die eine Ausbildung auf Sekundarstufe II erreichen (Ziel ist eine Erhöhung von 90% auf 95% bis 2015), plant die EDK das Projekt „Nahtstelle“, das den Übergang von der Schule zur nachobligatorischen Ausbildung optimiert, damit Jugendliche künftig weniger Zeit verlieren durch unnötige Wechsel, Lehrabbrüche oder Wartejahre. Gewerbe und Gewerkschaften reagierten positiv auf die beiden Projekte [21].
 
[18] AB SR, 2006, S. 11 ff.; vgl. SPJ 2005, S. 224.
[19] AB NR, 2006, S. 1117 und 1576 sowie Beilagen III, S. 584 f., Beilagen IV, S. 282 ff. (SP) und 348; siehe auch die Antworten des BR auf zwei Anfragen Rey (sp, VS) in AB NR, 2006, Beilagen IV, S. 311 und Beilagen V, S. 68.
[20] Presse vom 7.6. und 25.11.06; NZZ und TA, 2.11.06; BaZ, 13.11.06.
[21] Presse vom 14.11.06. Der NR lehnte eine vom SR im Vorjahr gutgeheissene Motion Berset (sp, FR) ab, welche eine rasche Umsetzung der individuellen Begleitung von Lehrlingen und Lehrtöchtern mit schulischen Schwierigkeiten gefordert hatte, da die notwendigen Massnahmen bereits ergriffen seien (AB NR, 2006, S. 267 ff.; vgl. SPJ 2005, S. 224).