Année politique Suisse 2006 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Sprachen
Auf der Grundlage von Art. 70 der Bundesverfassung und in Erfüllung der im Vorjahr angenommenen parlamentarischen Initiative Levrat (sp, FR) erarbeitete die nationalrätliche Kommission für Wissenschaft und Bildung (WBK) ein Bundesgesetz über die Landessprachen. Der Bundesrat hatte im April 2004 ein beschlussreifes Sprachengesetz aus Spargründen und mit dem Hinweis auf ausreichende bestehende Instrumente zurückgezogen, was zu heftigen Protesten geführt hatte. Das neue Gesetz soll den Gebrauch der Amtssprachen regeln, Verständigung und Austausch fördern und mehrsprachige Kantone in ihren besonderen Aufgaben unterstützen. Die Viersprachigkeit als Schweizer Wesensmerkmal soll gestärkt, der innere Zusammenhalt des Landes gefestigt, die individuelle und institutionelle Mehrsprachigkeit in den Landessprachen gefördert sowie das Italienische und das Rätoromanische als Landessprachen erhalten werden. Besondere Beachtung kam der Haltung der Kommission zum Fremdsprachenunterricht zu. Die Mehrheit sprach sich dafür aus, in den Schulen als erste Fremdsprache eine Landessprache einzuführen. Sie setzte sich mit 12 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung gegenüber der Minderheit durch, welche hier Wahlfreiheit wünscht, jedoch fordert, dass am Ende der Schulzeit Kenntnisse in mindestens zwei Fremdsprachen, davon mindestens einer zweiten Landessprache, vorhanden sind. Die Frage der Gründung eines wissenschaftlichen Instituts zur Förderung der Mehrsprachigkeit war hart umkämpft. Die Kommission einigte sich schliesslich mit 16 gegen 4 Stimmen bei einer Enthaltung auf eine ziemlich vage Kann-Formulierung, die vieles ermöglicht, aber nichts verspricht. Die Rolle des Bundes bei der Sprachenförderung behandelte die WBK im Berichtsjahr nicht abschliessend [19] .
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Berücksichtigung der Sprachminderheiten
Im dreisprachigen Kanton Graubünden legte die Regierung dem Parlament ein neues Sprachengesetz vor. Dieses regelt den Gebrauch der Amtssprachen Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch. Die umstrittene Einheitssprache Romantsch Grischun ist nur für die kantonale Ebene vorgeschrieben; ihre Verwendung auf regionaler oder kommunaler Ebene soll weiterhin nicht zentral geregelt werden. Als pragmatisches Territorialitätsprinzip bezeichnete die Regierung ihre Vorschläge für die Bestimmung der jeweiligen Amts- und Schulsprache in den Gemeinden und Kreisen. Diese Regeln schützen die Sprachminderheit der Rätoromanen vor einer Verdrängung ihrer Sprache durch das Deutsche, fixieren die Sprachgrenze aber nicht auf ewige Zeiten. Sprechen in einer Einheit mindestens 50% der Bevölkerung die traditionell angestammte Sprache, gilt sie als einsprachig. Sprechen noch zwischen 20% und 50% das traditionelle Idiom, so soll sie als zweisprachig gelten. Sinkt hingegen der Anteil der angestammten Sprachgemeinschaft unter 20%, kann von der betroffenen Bevölkerung mit einer qualifizierten Mehrheit (66%) der Wechsel zur neuen Mehrheitssprache beschlossen werden. Nachdem Rätoromanen die neue Regelung als minderheitenfeindlich kritisiert hatten, beschloss das Parlament, dass eine Gemeinde auch dann als einsprachig (d.h. in der Praxis fast immer Romanisch) gelten soll, wenn nur noch mindestens 40% der Einwohner die angestammte Sprache sprechen. Dies wiederum rief eine „Interessengemeinschaft Sprachenfreiheit“ auf den Plan, die das Referendum gegen das neue Sprachengesetz lancierte. Sie bemängelte, dass damit in ursprünglich romanischsprachigen Gemeinden und Kreisen, deren Bevölkerung heute aber zu 60% deutscher Muttersprache ist, in der Schule, im Verkehr mit der lokalen Verwaltung und vor den Gerichten einzig das Rätoromanische zugelassen wäre [20].
Erstmals hielt das Parlament im Herbst eine seiner Sessionen im romanischbündnerischen Sprachraum ab, nämlich in Flims/Flem. Es war dies die dritte auswärtige Session nach Genf (1993) und Lugano (TI) 2001 [21].
Nachdem der Nationalrat bereits 2005 einer Motion Berberat (sp, NE) zur Erhöhung der Anzahl der französisch- und italienischsprachigen Personen in den Führungspositionen der Bundesverwaltung zugestimmt hatte, nahm er jetzt auch diskussionslos eine gleich lautende Motion von Ständerat Studer (sp, NE) an. Die kleine Kammer ihrerseits überwies eine Motion Simoneschi (cvp, TI) aus dem Nationalrat, die verlangt, dass bei Stellenausschreibungen des Bundes Italienischsprachige nicht diskriminiert werden dürfen [22].
 
[19] Presse vom 6.7. und 26.11.06. Siehe SPJ 2005, S. 239.
[20] BüZ, 8.6., 3.10., 19.10. und 4.12.06. Vgl. dazu auch die Kritik am Regierungsentwurf: Romedi Arquint, „Verkommt das Romanische zur reinen Freizeitsprache?“, in BüZ, 11.9.06.
[21] Siehe dazu oben, Teil I, 1c (Parlament).
[22] AB NR, 2006, S. 85; AB SR, 2006, S. 14. Siehe SPJ 2005, S. 239. Vgl. dazu auch die Antwort des BR auf zwei Ip. Simoneschi (AB NR, 2006, S. 502 und 581). In ihrer mündlichen Antwort auf eine Ip. Rennwald (sp, JU) legte die Bundeskanzlerin die Anstrengungen von Bundesrat und Verwaltung um die Mehrsprachigkeit dar (AB NR, 2006, S. 577 f.).