Année politique Suisse 2006 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Kirchen
In der katholischen Kirchgemeinde Röschenz (BL) erreichte ein seit längerem schwelender Streit zwischen Kirchenbasis und Bistum Basel, gewissermassen eine kleine „causa Haas basiliensis“, eine neue Dimension. Erneut ging es um das Verhältnis zwischen übergeordneter Kirchenbehörde und Basis, damit auch indirekt um das Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Staat resp. Zivilgesellschaft. Seit längerem schon hatte das Bistum versucht, den fortschrittlichen Gemeindepfarrer zu disziplinieren und hatte ihm schliesslich die „Missio canonica“, das Recht, die Sakramente zu spenden, in der katholischen Kirche die Voraussetzung für eine Anstellung als Pfarrer in einer Kirchgemeinde, entzogen. Die Basis hatte sich aber stets geschlossen hinter ihren Pfarrer gestellt. Im Juni nun verfügte der Landeskirchenrat, die Gemeinde müsse den Pfarrer entlassen. Diese weigerte sich und appellierte ans Kantonsgericht [23].
Neuerdings sind den religiösen Fundamentalisten aus evangelikalen Kreisen sowie den Rechtsaussenpolitikern der SVP der Bau von Minaretten resp. neuer Moscheen ein Dorn im Auge. Im Gegensatz zu den Kirchtürmen der christlichen Konfessionen sehen sie darin nicht ein rein religiöses Symbol, sondern eine Art Kriegserklärung der islamischen Welt an die abendländische Zivilisation. Von Nationalrat Wobmann (svp, SO) in der Sommersession auf den Bau von Minaretten angesprochen, erklärte Bundesrat Couchepin, die Erteilung einer Baubewilligung liege im Ermessen der Gemeinden und Kantone, wobei für eine Ablehnung lediglich raumplanerische oder baurechtliche, nicht aber religiöse Aspekte zu berücksichtigen seien. Etwas anderes wäre mit der verfassungsmässig garantierten Glaubensfreiheit nicht vereinbar. Bundespräsident Leuenberger äusserte sich ebenfalls zu der Frage und bezeichnete die Minarett-Debatte als „reine Wahlkampf-Schaumschlägerei“: Natürlich werde seit dem 11. September 2001 über das Verhältnis zwischen Christentum und Islam und über die Ursachen des islamistischen Terrorismus diskutiert, was auch richtig sei, aber es sei keineswegs so, dass die Schweizer Bevölkerung sich durch den Bau von Minaretten bedroht fühle. In der zweiten Jahreshälfte kündigten verschiedene Gruppierungen um den rechts aussen politisierenden SVP-Nationalrat Schlüer (ZH) an, 2007 eine Volksinitiative gegen den Bau von Minaretten lancieren zu wollen [24].
In der Fragestunde der Wintersession nahm der Bundesrat zur Frage von Weihnachtsfeiern an Schulen Stellung. Nationalrat Hess (sd, BE) hatte dazu Auskunft verlangt. Er wollte wissen, ob es dem Bundesrat ein Anliegen sei, Weihnachten in der Schule als Teil des abendländischen Brauchtums zu pflegen. Im Namen der Landesregierung vertrat Bundesrat Couchepin die Ansicht, die Schulen sollten Weihnachten feiern können; wer in der Schweiz geboren werde, solle die christliche Kultur kennen lernen. Sukkurs erhielt der Bundesrat gleichentags von islamischen Organisationen in der Schweiz, die dazu aufriefen, christliche und besonders weihnachtliche Traditionen nicht aus den Schulzimmern zu verbannen. Ein solches Ansinnen sei unangemessen und diene dem religiösen Frieden nicht. Der Zentralpräsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) relativierte das Problem und sagte, die meisten schulischen Anlässe seien ohnehin Jahresabschlussfeiern ohne religiösen Charakter. Handle es sich aber um Feiern mit christlichem Charakter, sei es richtig, Dispensationsgesuche von Schülerinnen und Schülern anderer Glaubensrichtungen zu bewilligen [25].
 
[23] Presse vom 8.6. und 16.6.06.
[24] AB NR, 2006, S. 975. Leuenberger: Presse vom 9.10.07. VI: Presse vom 8.9. und 3.11.06.
[25] AB NR, 2006, S. 1883; Presse vom 19.12.06.