Année politique Suisse 2007 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Zu Beginn des Jahres führte die SVP drei Pressekonferenzen an einem Tag in Lausanne, Bern und Lugano durch, um ihre Wahlplattform vorzustellen und ihre Wahlkampagne zu lancieren. Die bereits im Oktober 2006 verabschiedete Wahlplattform war als farbige Broschüre gedruckt worden und trug den Titel
„Mein Zuhause – unsere Schweiz“. Als Wahlziel nannte die SVP, 100 000 neue Wähler zu gewinnen
[36].
Im Januar stellte die SVP ein
Positionspapier zur Neutralität vor. Sie forderte darin eine Rückkehr der Schweiz zur so genannten „integralen Neutralität“, welche Wirtschaftssanktionen ausschliesst. Weiter forderte die SVP, die Guten Dienste müssten gestärkt, eine Annäherung an die EU und die NATO sowie eine Bewerbung für einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat verhindert und die Auslandeinsätze der Schweizer Armee gestoppt werden. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey müsse zurücktreten, wenn sie weiterhin für das Konzept der aktiven Neutralität einstehe
[37].
An ihrer Delegiertenversammlung in Payerne (VD) beschloss die SVP,
bei einer Abwahl eines ihrer Bundesräte in die Opposition zu gehen. Zudem solle aus der SVP-Fraktion ausgeschlossen werden, wer anstelle von Schmid oder Blocher eine Wahl in den Bundesrat annehme. Die Delegierten sprachen sich ohne Gegenstimme gegen die Initiative für eine Einheitskrankenkasse aus. Bundesrat Schmid äusserte sich in der Presse, er werde bei einer Nichtwiederwahl von Bundesrat Blocher frei entscheiden, ob er in der Regierung verbleibe
[38].
Mitte März hielt die SVP eine Delegiertenversammlung in Lugano ab, die
ganz im Zeichen des Ausländerthemas stand. Parteipräsident Maurer sagte in einer Rede, die SVP stehe für all die Eigenschaften, welche den Erfolg der Schweiz ausmachten. Sie kämpfe für die Neutralität, das Bankgeheimnis und den föderalistischen Wettbewerb. Das freundliche Gesicht der Schweiz sei aber vermehrt durch „multikulturelle Brutalität“ abgelöst worden. Bundesrat Blocher sprach zum Thema Jugendgewalt. Diese sei eine grosse Sorge der Bevölkerung, die erst langsam von der Politik wahrgenommen werde. Ein weiteres Thema der Delegiertenversammlung waren Bildungsprobleme im Zusammenhang mit der Migration. Die SVP forderte zur Lösung dieser Probleme eine Rückkehr zum Leistungs- und Wettbewerbsprinzip in den Schulen. Auch die Diskussion der 5. IV-Revision, zu der die Delegierten mit 310 zu 1 Stimme die Ja-Parole fassten, drehte sich um das Thema Ausländer. Nationalrat Bortoluzzi (ZH) äusserte sich, die IV sei „balkanisiert“ worden. Ohne Gegenstimme beschlossen die Delegierten, eine Volksinitiative mit dem Titel „Unsere Regeln gelten für alle“ auszuarbeiten. Die Delegiertenversammlung in Lugano wurde in der Presse kritisiert, weil der Tessiner Parteisekretär von „ausländischen Parasiten, welche sich auf unsere Kosten wie Kaninchen vermehren“ gesprochen hatte, ohne dass die Parteileitung eingegriffen hatte
[39].
Noch vor der Abstimmung zur 5. IV-Revision
forderte die SVP bereits eine 6. IV-Revision. Sie verlangte, das jährliche Defizit der IV müsse allein mit Sparmassnahmen behoben werden. Neue Mittel sollten erst nach einer Anpassung der Strukturen der IV gesprochen werden. Um die Ausgaben einzuschränken schlug die SVP folgende Massnahmen vor: Überprüfung aller bestehenden Renten und Einschränkung des Invalididätsbegriffs auf „klare gesundheitliche Schäden“. Die SVP forderte zudem auch Leistungskürzungen, unter anderem eine Halbierung der Kinderrenten, eine langsamere Anpassung der Renten an die Teuerung und eine Reduktion des Minimaltaggeldes für junge IV-Bezüger
[40].
Im April stellte die SVP ein
„Schwarzbuch“ vor, in dem sie unter dem Motto „Wenn Rot-Grün gewinnt, geht die Schweiz kaputt“ die Verfehlungen der linken Parteien aus ihrer Sicht aufzählte. Diese trügen die Verantwortung für Masseneinwanderung, Staatsverschuldung und Probleme im Sozialwesen
[41].
Ende Juni hielt die SVP eine Delegiertenversammlung in Liestal (BL) ab. Die Delegierten hiessen die
Lancierung der „Ausschaffungsinitiative“ mit 362 zu Null Stimmen gut. Die Initiative fordert das Verfallen des Aufenthaltsrechts von Ausländern, wenn diese wegen Delikten wie vorsätzlicher Tötung, Vergewaltigung, Raub oder Einbruch verurteilt werden. Aber auch bereits ein missbräuchlicher Bezug von Sozialhilfe oder von Leistungen der Sozialversicherungen soll zur Ausschaffung führen. Zudem beschlossen die Delegierten, die Unterschriftensammlung für die Minarettverbotsinitiative eines Komitees um SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer (ZH) zu unterstützen
[42].
Im Juli begann die SVP ihre Kampagne für die Ausschaffungsinitiative mit dem so genannten
„Schäfchenplakat“, auf dem zu sehen ist, wie weisse Schafe ein schwarzes Schaf aus der Schweiz werfen. Die SVP erklärte, mit diesem Motiv wolle sie zeigen, dass sich ihre Politik allein gegen kriminelle Ausländer richte und nicht gegen Ausländer generell. Ausserhalb der Partei sorgte das Plakat allerdings weit herum für Empörung. So richtete sich der UNO-Sonderberichterstatter zu Rassismus, Doudou Diène, aufgrund des Plakates mit einem kritischen Brief an den Bundesrat. Auf den 1. August hin verschickte die SVP Unterschriftenbögen für die Ausschaffungsinitiative an alle Haushalte der Schweiz. Diese Versandaktion wurde von einem anonymen Spender aus der Romandie finanziert
[43].
An ihrer letzten Delegiertenversammlung vor den Wahlen in Basel schloss die SVP einen
„Vertrag mit dem Volk“ ab. Dieses Dokument war äusserlich dem Bundesbrief nachempfunden und enthielt drei Wahlversprechen der SVP: kein EU-Beitritt, Ausschaffung krimineller Ausländer und tiefere Steuern für alle. Die Vertragsunterzeichnung durch die anwesenden Nationalratskandidaten wurde durch Szenen aus dem Schauspiel „Wilhelm Tell“ umrahmt. Die SVP zeigte an der Veranstaltung zudem einen Film, der die Schweiz unter SVP-Führung als Himmel, unter einer rot-grünen Regierung dagegen als Hölle darstellt. Dieser Film wurde von der SVP auch im Internet publiziert
[44].
Ende August trat die SVP mit der Anschuldigung an die Öffentlichkeit, die anderen Parteien schmiedeten einen
„Geheimplan“, mit dem sie Bundesrat Blocher aus dem Amt entfernen wollten. Anfang September gab die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates bekannt, Bundesrat Blocher habe möglicherweise an einem Komplott gegen den ehemaligen Bundesanwalt Valentin Roschacher teilgenommen. Die SVP behauptete umgekehrt, ein Umsturzplan gegen ihren Bundesrat läge vor, der GPK-Bericht sei politisch motiviert
[45].
Am 6. Oktober führte die SVP eine grosse Veranstaltung in Bern durch. Ein
Umzug mit Christoph Blocher an der Spitze hätte vom Bärengraben zum Bundesplatz führen sollen, wurde aber von militanten Linksautonomen, die an einer unbewilligten Gegendemonstration teilgenommen hatten, verhindert. Zudem wurde die Festinfrastruktur der SVP auf dem Bundesplatz bei Ausschreitungen zerstört. Die SVP bezeichnete es als „Schande“, dass die grösste Partei der Schweiz nicht unbehelligt einen Umzug zum Bundesplatz durchführen könne
[46].
Nach ihrem
Sieg bei den Nationalratswahlen (+2,2 Prozentpunkte Wähleranteil, 7 Sitze mehr im Nationalrat) zeigte sich die SVP eher zurückhaltend. Parteipräsident Maurer sagte, die Partei stehe hinter der Konkordanz. Die SVP signalisierte Interesse am frei werdenden Bundeskanzlerposten und forderte, ihre Bundesräte müssten wichtigere Departemente erhalten
[47].
Nach den Nationalratswahlen kündigte Ueli Maurer seinen
Rücktritt vom Parteipräsidium an. Er war der SVP zwölf Jahre lang vorgestanden. Als Rücktrittsgrund nannte Maurer, dass er mit der Partei alle Ziele erreicht habe. Als mögliche Kandidaten für seine Nachfolge galten die Nationalräte Toni Brunner (SG) und Adrian Amstutz (BE). Auch der Generalsekretär der SVP, Gregor Rutz, teilte seinen Rücktritt mit. Er war seit sieben Jahren im Amt gewesen
[48].
Anfang Dezember kam es in der SVP zu einem
innerparteilichen Konflikt, als die Fraktion den links von der Parteilinie politisierenden Bündner Nationalratsmitgliedern Gadient und Hassler deren Sitze in wichtigen Kommissionen entzog. Die Bündner Kantonalpartei protestierte gegen dieses Vorgehen und verlangte eine Aussprache. Hassler erhielt schliesslich einen Sitz in der Wirtschaftspolitischen Kommission
[49].
Am 12. Dezember wurde anstelle von Christoph Blocher
Eveline Widmer-Schlumpf (GR, svp) in den Bundesrat gewählt. Diese nahm die Wahl nach einer Bedenkzeit an. Die SVP hatte für den Fall der Abwahl von Blocher den
Gang in die Opposition und den Ausschluss der SVP-Bundesräte aus der Fraktion beschlossen. Fraktionspräsident Baader wollte zunächst eine schriftliche Bestätigung aller SVP-Parlamentarier einholen, in der diese sich zur Unterstützung des Oppositionskurses verpflichten sollten. Aufgrund von Protesten aus dem liberalen Parteiflügel wurde aber auf diese Massnahme verzichtet. Einige Parlamentarier um den Berner Nationalrat Hans Grunder, die mit dem Oppositionskurs nicht einverstanden waren, überlegten sich, eine eigene Fraktion zu gründen. An einer Fraktionssitzung der SVP wurde schliesslich mit 60 zu 3 Stimmen folgendes beschlossen: Keine Abspaltung eines Teils der Fraktion und keine Bildung von Untergruppen, Ausschluss von Schmid und Widmer-Schlumpf aus der Fraktion und Verbot einer institutionalisierten Zusammenarbeit mit den SVP-Bundesräten. Fraktionspräsident Caspar Baader sagte, Opposition bedeute in erster Linie, dass die SVP Schmid und Widmer-Schlumpf nicht als ihre Bundesräte betrachte und diese demzufolge auch nicht schonen werde. Im Parlament wolle die SVP aber nach wie vor mitarbeiten
[50].
Die SVP verlor am 12. Dezember auch die Wahl für das Bundeskanzleramt, für das sie Nathalie Falcone, stellvertretende Generalsekretärin des Volkswirtschaftsdepartements, nominiert hatte
[51].
Ende Jahr zog die SVP ihre
Volksinitiative „Für tiefere Krankenkassenprämien“ zugunsten eines Gegenvorschlages des Parlaments zurück. Die Initiative hatte einen eingeschränkten Leistungskatalog in der Grundversicherung, Vertragsfreiheit zwischen Krankenkassen und Ärzten, eine Begrenzung der öffentlichen Subventionen und mehr Transparenz im Gesundheitswesen gefordert
[52].
[38] Delegiertenversammlung:
NZZ, 29.1.07. Reaktion von Schmid:
BZ, 16.2.07.
[39]
Bund und
NZZ, 19.3.07.
[40]
BaZ und
NZZ, 27.3.07.
[43] Lancierung der Schäfchen-Kampagne:
NZZ, 14.7.07. Brief von Diène an den Bundesrat:
TG, 1.9.07. Versandaktion:
BZ, 27.7.07;
TG, 2.8.07.
[44]
BaZ und
NZZ, 20.8.07.
[45]
BZ und
NZZ, 7.9.07; Presse vom 12.9.07. Siehe auch oben, Teil I, 1c (Gerichte).
[46] Presse vom 8.10.07. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen).
[47]
SGT und
TA, 23.10.07.
[48] Presse vom 27.10.07.
[49] Presse vom 7.12.07;
Bund, 19.12.07.
[50] Presse vom 14.-19.12.07. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1c (Regierung).
[51]
BaZ, 24.11.07; Presse vom 13.12.07.
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