Année politique Suisse 2007 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
 
Parlament
Das im Oktober neugewählte Parlament konstituierte sich am 3. Dezember. Die neuen Unvereinbarkeitsregeln (siehe dazu unten) verlangten von einigen Parlamentsmitgliedern den Rücktritt von bisherigen Funktionen in Vorständen und Kommissionen von bundesnahen Institutionen [25].
Im Sommer gab die Generalsekretärin der Parlamentsdienste, Mariangela Wallimann-Bornatico, ihre Demission auf den 31. Mai 2008 bekannt. Die Büros der beiden Parlamentskammern schrieben die Stelle aus und evaluierten die eingegangenen 25 Bewerbungen. Aufgrund ihrer Empfehlung wählte die Vereinigte Bundesversammlung in der Dezembersession den bisherigen stellvertretenden Generalsekretär Christoph Lanz zum Nachfolger von Wallimann-Bornatico [26].
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Instrumente
Obwohl von beiden Parlamentskammern überwiesene Motionen für die Landesregierung verbindliche Aufträge darstellen, kommt es immer wieder vor, dass der Bundesrat einer solchen Aufforderung nicht nachkommt. Dies kann dann der Fall sein, wenn sich die Situation seit der Verabschiedung des Vorstosses entscheidend geändert hat. Das Parlament ist aber der Ansicht, dass dies in neuerer Zeit vermehrt auch dann geschehe, wenn die Zielrichtung einer Motion dem Bundesrat nicht genehm sei. Bisher hatte der Bundesrat dem Parlament die Abschreibung (d.h. nicht Weiterverfolgung) solcher nach zwei Jahren nicht erfüllter Vorstösse in einer jährlichen Sammelbotschaft unterbreitet. Nationalrat Lustenberger (cvp, LU) hatte im Frühjahr 2006 mit einer parlamentarischen Initiative verlangt, dass die Regierung in solchen Fällen die Nicht- oder nur Teilerfüllung einer Motion ausführlich und spezifisch begründen muss, und das Parlament über jeden allfälligen Abschreibungsantrag gesondert abstimmt. Die Staatspolitischen Kommissionen beider Kammern gaben dieser Initiative im Herbst 2006 Folge und die SPK des Nationalrats legte anfangs 2007 ihren Antrag für eine entsprechende Änderung des Parlamentsgesetzes vor. Der Bundesrat bekämpfte diese Neuerung als überflüssig, da bereits heute im Rahmen der Sammelbotschaft die geforderte Begründung für die Nichterfüllung einer Motion geliefert werde. Noch mehr ins Einzelne gehende Berichte würden lediglich Zusatzkosten verursachen. Das Parlament übernahm jedoch die Vorschläge der SPK [27].
Bis 2003 waren parlamentarische Vorstösse, die nicht innert einer Frist von zwei Jahren nach ihrer Einreichung vom Parlament behandelt worden waren, automatisch abgeschrieben worden. Dies kam immer häufiger vor, da der Nationalrat aus Zeitmangel die Diskussion und den Entscheid über bekämpfte Vorstösse in der Regel automatisch auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt. Mit dem neuen Parlamentsgesetz wurde deshalb 2003 die Neuerung eingeführt, dass bei diesen umstrittenen Vorstössen das Ratsbüro eine Verlängerung der Behandlungsfrist beantragen kann. Das Büro fand nun aber, dass diese Lösung nicht praktikabel sei, da es über keine Kriterien verfüge, um zu beurteilen, bei welchen Vorstössen es eine derartige Fristverlängerung verlangen soll. Es forderte deshalb mit einer parlamentarischen Initiative die Rückkehr zum alten System mit der automatischen Abschreibung nach zwei Jahren. Im Nationalrat beantragte die SPK, auf diesen Vorschlag nicht jetzt einzutreten sondern das Thema später im Rahmen der von der SPK im Januar in Gang gesetzten generellen Überprüfung der Verfahren bei der Behandlung parlamentarischer Vorstösse zu bearbeiten. Das Plenum folgte seiner SPK und trat auf die parlamentarische Initiative seines Büros nicht ein [28].
Gegen den Antrag seines Büros stimmte der Nationalrat für eine Motion de Bumann (cvp, FR), welche es ermöglichen soll, dass Interpellationen und Anfragen jederzeit und nicht nur während den Sessionen eingereicht werden können. Der Nationalrat lehnte hingegen ein Postulat Hochreutener (cvp, BE) für eine Aufwertung der Fragestunde deutlich ab. Hochreutener hatte angeregt, dass mit einer verbesserten thematischen Bündelung der Fragen und mit intensiviertem Nachfragen an die Regierung diese Übung für die Medien und deren Publikum ähnlich attraktiv gestaltet werden könnte wie in einigen ausländischen Parlamenten [29].
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Parlamentsmandat
Das Büro beantragte den Räten eine Anpassung der Entschädigungen der Abgeordneten und der Fraktionen an die Teuerung. Dieser Ausgleich war zum Teil seit 2001 nicht mehr vorgenommen worden. Ausgehend von der Tatsache, dass die Parlamentarier vermehrt zur Zielscheibe von verbalen und körperlichen Attacken geworden sind, beantragte das Büro zudem, den Ratsmitgliedern einen jährlichen Beitrag von 500 Fr. zum Abschluss einer privaten Rechtsschutzversicherung auszubezahlen. Der Ständerat übernahm den Antrag ohne Gegenstimme [30].
In der Frühjahrssession stimmte auch der Nationalrat den neuen strengeren Regeln für die Unvereinbarkeit zwischen einem Parlamentsmandat und Tätigkeiten für den Bund oder ihm nahe stehende Institutionen zu. Er übernahm dabei den Beschluss des Ständerats, dass Parlamentarier weiterhin in bloss beratenden Expertenkommissionen tätig sein dürfen. Damit konnten die neuen Regeln auf den Zeitpunkt der Konstituierung des im Herbst neu gewählten Parlaments in Kraft gesetzt werden [31].
Mit der Publikation der Interessenbindungen scheint für den Nationalrat die Forderung nach einer Transparenz über allfällige Abhängigkeiten ausreichend erfüllt. Er lehnte mit 74 zu 59 Stimmen eine parlamentarische Initiative Schelbert (gp, LU) ab, welche die Offenlegung aller Einkünfte von mindestens 10 000 Fr. pro Jahr aus Verwaltungsratstätigkeiten, Gutachten und ähnlichen Quellen forderte [32].
Das Parlament erteilte dem Bundesrat den Auftrag, zu überprüfen, ob in der laufenden Revision der Akkreditierungsverordnung eine Offenlegungspflicht für die Interessenbindung der Bundeshausjournalisten einzuführen ist. Der Nationalrat, von dem diese Idee ursprünglich stammte, schloss sich im Berichtsjahr der kleinen Kammer an und überwies die von dieser abgeänderte Motion Stahl (svp, ZH). Der Nationalrat stellte sich damit gegen die Mehrheit seiner SPK, welche seit dem letzten Jahr ihre Meinung geändert hatte und nun eine derartige Gesinnungsüberprüfung bei Medienschaffenden als unnötig und rechtswidrig beurteilte [33].
Nach längerer Zeit hatte sich das Parlament wieder einmal mit Gesuchen um die Aufhebung der Immunität seiner Mitglieder zwecks Eröffnung eines Strafverfahrens auseinander zu setzen. Es ging zum einen um den Zürcher Nationalrat Schlüer (svp), der in dem von ihm als Chefredakteur geleiteten Blatt „Schweizerzeit“ eine Person des Denunziantentums bezichtigt hatte und in der Folge von dieser angezeigt worden war. Der Nationalrat beschloss gegen den Widerstand der Ratslinken, auf das Gesuch einzutreten, es abzulehnen und damit die Immunität zu gewähren. Der Ständerat teilte diese Haltung nicht, sondern folgte seiner Rechtskommission, welche der Ansicht war, dass kein enger Zusammenhang zwischen dem nicht namentlich gezeichneten Presseartikel und dem politischen Amt von Schlüer bestehe. Da damit die Grundvoraussetzung für die Gewähr der Immunität nicht gegeben war, beschloss er mit 20 zu 7 Stimmen, nicht auf das Gesuch einzutreten und den Behörden freie Bahn für ein Strafverfahren zu geben. Im September schloss sich der Nationalrat in der Differenzbereinigung auf Antrag seiner Rechtskommission diesem Entscheid an. Praktische Relevanz kommt ihm allerdings keine mehr zu, da Schlüer im Oktober als Nationalrat abgewählt wurde und damit ohnehin kein Immunitätsprivileg mehr geniesst.
In einem zweiten Fall ging es um Nationalrat Waber (edu, BE). Dieser hatte in einem Zeitungsinterview im Zusammenhang mit der von ihm mitgetragenen Volksinitiative für ein Minarettverbot den Islam und seine Vertreter massiv kritisiert und war deshalb von einer Privatperson wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz angezeigt worden. Der Nationalrat erkannte einen engen Zusammenhang zwischen dem politischen Amt von Waber und dem Interview und trat deshalb auf das Gesuch der Zürcher Staatsanwaltschaft zur Aufhebung der Immunität ein. Auf Antrag seiner Rechtskommission beschloss er dann ohne Gegenstimme, dem Gesuch keine Folge zu geben. Gemäss der Argumentation der Rechtskommission sei die freie Meinungsäusserung des Politikers Waber in diesem Fall höher zu werten als die nicht besonders schwerwiegenden Anschuldigungen [34].
 
[25] AB NR, 2007, S. 1756 ff. sowie Beilagen, IV, S. 142 ff. Zu den Wahlen und zur neuen Zusammensetzung des Parlaments siehe unten, Teil I, 1e (Eidg. Wahlen). Zu den Rücktritten siehe auch NZZ, 27.3.07.
[26] AB NR, 2007, S. 2101 f.; AZ, 1.9. und 15.12.07; NZZ, 30.11.07.
[27] BBl, 2007, S. 1457 ff. und 2149 ff. (BR); AB NR, 2007, S. 626 ff. und 1734; AB SR, 2007, S. 670 f. und 953; BBl, 2007, S. 6949 f.; NZZ, 17.1.07.
[28] BBl, 2007, S. 3221 ff. und 3227 f. (BR); AB NR, 2007, S. 628 ff.
[29] AB NR, 2007, S. 632 f. (de Bumann) und 634 (Hochreutener).
[30] BBl, 2008, S. 49 ff. und 161 f.; AB SR, 2007, S. 1108 f.
[31] AB NR, 2007, S. 2 ff. und 599; AB SR, 2007, S. 311; BBl, 2007, S. 229; AZ, 5.3.071; NZZ, 6.3.07. Siehe auch Lit. Sägesser. Vgl. SPJ 2006, S. 34.
[32] AB NR, 2007, S. 1451 ff.
[33] AB NR, 2007, S. 563 f. Siehe SPJ 2006, S. 35.
[34] Schlüer: AB NR, 2007, S. 564 ff. und 1376 f.; AB SR, 2007, S. 653 ff.; TA, 26.9.07. Waber: AB NR, 2007, S. 2027 f.