Année politique Suisse 2007 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Eidgenössische Wahlen
Im Vergleich zu früheren Jahren wurde der Wahlkampf vermehrt auf der nationalen Bühne geführt.
Die Personalisierung des Wahlkampfes war wie bereits 2003 ausgeprägt. Die
Bundesräte standen stärker im Mittelpunkt als in früheren Jahren. Insbesondere Christoph Blocher (svp) und Doris Leuthard (cvp) spielten für ihre Parteien eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Aber auch Micheline Calmy-Rey (sp) war sehr aktiv. Nur die FDP beteiligte sich an diesem Trend nicht
[13].
Die
Bundesratswahlen waren eines der Hauptthemen im Wahlkampf für das Parlament. Die SVP versuchte, mit der gefährdeten Wiederwahl von Christoph Blocher ihre Wähler zu mobilisieren. An einer Delegiertenversammlung Ende Januar bekräftigte sie ihre Strategie, bei einer Abwahl von Bundesrat Blocher oder Bundesrat Schmid in die Opposition zu gehen. Wer anstelle der beiden offiziellen Kandidaten eine Wahl in den Bundesrat annehme, werde aus der SVP-Fraktion ausgeschlossen, so die Ankündigung der SVP. Im August lancierte die SVP eine Inseratekampagne unter dem Motto „Blocher stärken! SVP wählen!“. Die SP machte derweil ihren Anspruch geltend, im Bundesrat eine stärkere Vertretung von Mitte-Links zu erreichen, wobei sie auch die CVP zu diesem Lager zählte. Die SP betonte zudem, dass sie Bundesrat Christoph Blocher nie wählen werde. Dieser müsse durch ein anderes SVP-Mitglied ersetzt werden. Die SP visierte also in erster Linie einen der zwei FDP-Sitze an, den sie mit einem CVP- oder Grünen-Vertreter besetzen wollte. Die CVP, die darauf zunächst zurückhaltend reagierte, begann mit einem zweiten Bundesratssitz zu liebäugeln, als Umfragen zeigten, dass sie die FDP an Stimmenanteilen fast einholen könnte. Auch die Grünen spielten bei den Diskussionen um die Bundesratswahlen mit, indem sie sich die Regierungsbeteiligung grundsätzlich zum Ziel setzten. Sie wollten allerdings ausdrücklich nicht gemeinsam mit Blocher im Bundesrat vertreten sein
[14].
Die
‚Eventisierung’ des Wahlkampfes war ausgeprägt: Der Auftritt von Micheline Calmy-Rey auf dem Rütli am 1. August, den sie sich hartnäckig erkämpft hatte, und der „Mobilisierungsanlass“ der SVP am 6. Oktober in Bern waren zentrale Ereignisse im Wahlkampf. Am professionellsten agierte bei der Inszenierung von Events die SVP. Zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt des Wahlkampfes im August schloss sie beispielsweise einen so genannten
„Vertrag mit dem Volk“ ab, der in einer aufwändigen Inszenierung in Basel präsentiert wurde und daraufhin als Inserat in Zeitungen erschien. Der „Vertrag“ enthielt drei Wahlversprechen der SVP: kein EU-Beitritt, Ausschaffung krimineller Ausländer und weniger Steuern für alle. Aufsehen erregte die SVP auch mit ihrem Wahlkampfmaskottchen, dem Geissbock Zottel. Auch die CVP versuchte, Events vermehrt für den Wahlkampf zu nützen. So führte sie am 13. Oktober ein Fest auf dem Bundesplatz zum Thema „Stopp Arbeitslosigkeit“ durch. Die SP setzte mit
„Gipfelanlässen“ zu verschiedenen ihrer Schwerpunktthemen ebenfalls auf diese Strategie. Das Wahllogo der SP in Form des Matterhorns stand in Zusammenhang mit den Gipfelanlässen. Die FDP führte als einzige grosse Partei einen Wahlkampf ohne grosse Events, eine Besonderheit für die FDP war allerdings ihre Imagekampagne mit den
„Hop Sviz-Plakaten“, die ein jüngeres, weibliches und urbanes Publikum ansprechen sollten. Ende April präsentierte die FDP diese Wahlplakate, die hüpfende Menschen zeigten. Der rätoromanische Slogan ist eine Übersetzung des Anfeuerungsrufes für schweizerische Nationalteams im Sport. Die Grünen setzten in ihrer Kampagne vor allem auf das Thema Klimaerwärmung, so auch mit ihrem Wahlplakat, das eine schmelzende Glacé mit sich auflösenden Schokoladestücken in Form der Kontinente zeigte
[15].
Alle Parteien nützten vermehrt das
Internet für den Wahlkampf. So führten SVP und SP einen Blog und die CVP versteigerte Aktivitäten mit ihren Kandidaten auf Ebay. Einige Nationalratskandidaten drehten auch Filme, die über das Internet abrufbar waren. Dennoch wurde das Internet noch nicht zum entscheidenden Medium im Wahlkampf. Viele Kandidaten hatten zwar eine persönliche Internetseite, pflegten diese aber nicht besonders intensiv
[16].
Mehrere Parteien setzten das klassische Instrument der Volksinitiative für den Wahlkampf ein. Anfang Juli wurde die
Ausschaffungsinitiative der SVP lanciert. Diese Initiative machte einen erheblichen Teil des SVP-Wahlkampfes aus. Sie listet Delikte auf, bei deren Begehung das Aufenthaltsrecht für Ausländer verfallen soll. Die SP setzte mit der Lancierung einer
Initiative für faire Steuern (Steuerharmonisierungsinitiative) einen Wahlkampfschwerpunkt in der Fiskalpolitik. Die Steuerharmonisierungsinitiative verlangt Mindeststeuersätze für sehr hohe Einkommen und Vermögen in allen Kantonen sowie ein Verbot degressiver Steuersätze. Die Grünen lancierten gemeinsam mit der SP und den Umweltverbänden eine
Klimainitiative. CVP und FDP versuchten dagegen nicht, mit Initiativen zu punkten. Die FDP hätte zwar mit ihrer Initiative gegen das Verbandsbeschwerderecht diese Möglichkeit gehabt, setzte diese aber kaum für den Wahlkampf ein. Dies lag vermutlich an der internen Umstrittenheit der Initiative
[17].
Der Wahlkampf wurde konfrontativ und provokativ geführt und war für schweizerische Verhältnisse ungewohnt hitzig. Das so genannte
„Schäfchenplakat“ der SVP, das der Kampagne für die Ausschaffungsinitiative diente und auf dem zu sehen war, wie weisse Schafe ein schwarzes Schaf aus der Schweiz hinauswerfen, erregte besonders grosses Aufsehen. Dieses Plakat der SVP wurde weit herum als rassistisch kritisiert. Der UNO-Sonderberichterstatter zu Rassismus, Doudou Diène, schrieb einen Protestbrief an den Bundesrat. Auch Bundesrätin Micheline Calmy-Rey äusserte sich negativ über die Schäfchenplakate
[18].
Die SVP griff im Wahlkampf wiederholt die Linke an. So präsentierte sie ein
„Schwarzbuch“, in dem die rot-grünen Parteien für politische Fehlentwicklungen verantwortlich gemacht wurden. Zudem zeigte sie einen umstrittenen Film, der die Schweiz unter einer SVP-Regierung als Paradies, unter einer linken Regierung dagegen als Hölle darstellt. Auch gegen FDP und CVP grenzte sich die SVP ab und versuchte, sich als einzige echte bürgerliche Partei darzustellen. Die SP führte umgekehrt einen Wahlkampf gegen die SVP und Bundesrat Blocher. Sie stellte die SVP als „Verliererpartei“ dar, die für Privatisierung, Zerstörung der Umwelt, Rentenabbau und Umverteilung von unten nach oben stehe. Die FDP versuchte als Reaktion auf die Konfrontation zwischen SVP und SP, sich als die positiv gestaltende Kraft der schweizerischen Politik darzustellen. Parteipräsident Pelli betonte die
wichtige Rolle, welche die FDP für die Erhaltung der Konkordanz spiele und kritisierte den konfrontativen Wahlkampf der anderen Parteien wiederholt
[19].
Mit der
„Affäre Roschacher“ und der Diskussion um einen angeblichen Geheimplan gegen Bundesrat Blocher wurde der Wahlkampf dann allerdings noch härter geführt. Auslöser der Affäre war ein Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates, wonach Bundesrat Blocher die Unabhängigkeit des ehemaligen Bundesanwalts Valentin Roschacher wiederholt missachtet und damit seine Kompetenzen überschritten habe. Eine Subkommission der GPK äusserte ausserdem den Verdacht, Blocher könnte an einem Komplott gegen Roschacher beteiligt gewesen sein. Die SVP dagegen ging von einer Verschwörung der anderen Parteien gegen ihren Bundesrat aus, die Geschäftsprüfungskommission sei zu diesem Zweck instrumentalisiert worden. Eine dringliche Debatte im Nationalrat zur „Affäre Roschacher“ Anfang Oktober geriet zu einem Schlagabtausch zwischen den Parteien
[20].
Der heftige Wahlkampf gipfelte schliesslich in einer (allerdings schon langfristig geplanten)
Demonstration der SVP am 6. Oktober in Bern, die durch Ausschreitungen von militanten Linksautonomen, welche an einer Gegendemonstration teilgenommen hatten, verhindert wurde. Dabei kam es auch zu erheblichen Sachbeschädigungen. Dieses Ereignis prägte die letzten Wochen des Wahlkampfes
[21].
Das internationale Interesse am schweizerischen Wahlkampf war gross. In der ausländischen Presse erschienen zahlreiche Artikel. Allerdings fokussierte sich die Berichterstattung auf die Kampagne der SVP und fiel überwiegend negativ aus. So bezeichnete der englische „Independent“ die Schweiz aufgrund der Schäfchenplakate als „Europas Herz der Finsternis“. Über die Krawalle in Bern im Oktober berichtete die „New York Times“ auf der Titelseite
[22].
Erstmals beobachtete auf Einladung des Bundesrates eine
Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Wahlen in der Schweiz, verfasste einen Bericht und gab Empfehlungen ab. Die Delegation wollte in erster Linie einen Eindruck gewinnen, wie die Schweizer Wahlen funktionieren und urteilte weitgehend positiv. Sie brachte aber auch Kritik an, so bezeichnete sie die Regelung der Parteienfinanzierung in der Schweiz als mangelhaft
[23].
Auch die SP kritisierte einmal mehr die Intransparenz der Parteienfinanzierung. Dieses Thema hatte an Aktualität gewonnen, da
der Wahlkampf für die Parlamentswahlen
so teuer war wie noch nie, geschätzte 50 Mio. wurden insgesamt ausgegeben. Die SVP schaltete Schätzungen zufolge etwa 40% aller Inserate in der Presse. Sie führte mehrmals grosse Inseratekampagnen durch, die insgesamt sehr teuer gewesen sein mussten
[24].
Auch die
Demoskopie erreichte 2007 neue Höhen. Neben dem SRG-Wahlbarometer, das in neun Wellen geführt wurde, gab es zahlreiche weitere Umfragen, vor allem durch Zeitungen. Die NZZ führte zudem eine Wahlbörse, auf der Aktien der Parteien gehandelt werden konnten. Die meisten Prognosen unterschätzten den Zuwachs der SVP und die Verluste der SP. Treffender vorausgesagt wurden die Wähleranteile von CVP, FDP und Grünen
[25].
Wahlhilfen im Internet, vor allem
Smartvote, wurden stark genützt. Ein grosser Teil der Kandidierenden für den Nationalrat füllte den Smartvote-Fragebogen zur politischen Positionierung aus. Die Smartvote-Profile der Kandidaten wurden zudem oft in Zeitungen abgebildet
[26].
[13] Personalisierter Wahlkampf:
BaZ, 25.7.07;
SGT, 10.10.07;
NF und
TA, 18.10.07. Aktivität der Bundesräte im Wahlkampf:
BaZ, 1.9.07;
TG und
24h, 3.9.07. Verhalten der FDP-Bundesräte:
LT, 7.4.07.
[14] Beschluss der SVP, bei Nichtwahl von Blocher in die Opposition zu gehen:
NZZ und
TA, 29.1.07. Forderung der SP nach einem vierten Bundesratssitz für Mitte-Links:
BaZ,
NZZ und
SGT, 21.10.06. Bundesratswahlen als Wahlkampfthema:
NZZ, 17.7.07 und 29.8.07;
LT, 29.8.07. Diskussion um zweiten Bundesratssitz der CVP:
LT, 23.7.07. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1c (Regierung).
[15] Bedeutung von Events für den Wahlkampf:
TA, 6.7.07. Auftritt von Calmy-Rey auf dem Rütli:
SGT, 28.7.07;
Bund, 30.7.07. „Mobilisierungsanlass der SVP“: Presse vom 8.10.07. „Vertrag mit dem Volk“:
NZZ und
TA, 20.8.07. „Gipfelanlässe“ der SP:
TA, 9.1.07. FDP-Wahlkampagne:
AZ,
NZZ und
TA, 27.4.07;
NZZ, 12.7.07. Wahlplakate der Grünen:
NZZ, 12.7.07. Fest der CVP auf dem Bundesplatz:
NZZ, 15.10.07.
[16] Blogs von SP und SVP:
QJ, 30.4.07. Internetauktion der CVP:
LT, 7.8.07. Filme der Parteien im Internet:
AZ, 6.9.07. Bedeutung des Internet im Wahlkampf:
NLZ, 25.7.07. Websites der Kandidierenden:
AZ, 1.5.07.
[17] Ausschaffungsinitiative:
TA, 2.7.07. Steuerharmonisierungsinitiative:
TA und
NZZ, 18.9.06. Klimainitiative:
NZZ, 12.7.07.
Beteiligung der SP an der Klimainitiative:
TA, 9.1.07.
[18] Reaktionen auf das „Schäfchenplakat“ der SVP:
TA, 14.7. und 13.9.07;
LT, 30.8.07.
[19] Angriffe der SVP auf die Linke:
BZ und
SGT, 23.10. 06; Presse vom 3.1.07;
NZZ und
TA, 29.1.07. „Schwarzbuch“ der SVP:
TA, 7.4.07. Film „Himmel und Hölle“:
NZZ und
TA, 20.8.07. Angriffe der SP auf Blocher und Merz:
NZZ und
TA, 18.9.06;
TA, 9.1.07. Rolle der FDP für die Konkordanz:
NZZ, 12.7.07.
[20] Presse vom 28.8.07;
Bund und
TA, 12.9.07; Presse vom 4.10. und 5.10.07. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1c (Gerichte).
[21] Presse vom 8.10.07. Siehe dazu auch oben, Teil I, 1b (Politische Manifestationen).
[22]
LT, 9.9.07;
SGT,
10.10.07;
TA, 15.10.07.
[24] Kosten des Wahlkampfes:
LT,
22.9.07;
BaZ, 15.10.07. Kritik der SP an Intransparenz der Parteienfinanzierung:
BaZ, 29.9.07.
[25] Wahlprognosen:
AZ, 7.8.07;
Bund,
23.10.07. Wahlbörse der NZZ:
NZZ, 13.9.07.
[26]
NZZ, 27.6.07;
Bund, 30.8.07.
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