Année politique Suisse 2007 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Frauen
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Arbeitswelt
Zu dem vom Bundesrat im Vorjahr vorgelegten Bericht zur Wirksamkeit des Gleichstellungsgesetzes und den dazugehörenden Empfehlungen des Bundesrates reichten Parlamentarierinnen vor allem aus dem links-grünen Lager einen ganzen Strauss von Vorstössen ein, die in der Frühjahrssession im Nationalrat zur Behandlung kamen (siehe oben). Mit einem Postulat forderte Roth-Bernasconi (sp, GE) den Bundesrat auf, rasch einen Zusatzbericht über die Umsetzung seiner Empfehlungen vorzulegen. Trotz Fundamentalopposition der SVP – Bortoluzzi (ZH) bezeichnete die Debatte als „Unsinn“ und die Vorstösse als Teil einer „sozialistischen Gleichmacherei“ – und dem Antrag des Bundesrates, das Postulat abzulehnen, weil die Problematik zu komplex sei, um schon bald konkrete Ergebnisse vorlegen zu können, wurde es mit 84 zu 70 Stimmen überwiesen. Dafür stimmten die geschlossenen Fraktionen von GP und SP, eine knappe Mehrheit der CVP und einige Freisinnige. Mit 83 zu 71 Stimmen nahm der Rat auch eine Motion Leutenegger Oberholzer (sp, BL) für einen umfassenden Massnahmenplan zur Gleichstellung unter Federführung des Bundes und unter Einbezug von Kantonen, Gemeinden, Sozialpartnern und Wirtschaftsverbänden an. Der Bundesrat sprach sich gegen einen verbindlichen Auftrag aus, da es wirkungsvoller sei, konkrete Massnahmen zu treffen, statt Ressourcen mit der Ausarbeitung eines Massnahmenplanes zu binden. Der Ständerat liess sich von dieser Argumentation überzeugen und verwarf die Motion mit 15 zu 11 Stimmen [35].
Mehrere Vorstösse aus dem links-grünen Lager thematisierten die Frage der Lohngleichheit. In seiner Stellungnahme zum Bericht und zu einzelnen Vorstössen ging Bundesrat Couchepin auch auf die in einem Postulat Leutenegger Oberholzer (sp, BL) erhobene Forderung nach einer nationalen Lohngleichheitskonferenz ein. Er äusserte die Befürchtung, eine derartige Konferenz würde sich im Deklamatorischen erschöpfen und kaum konkrete Ergebnisse zeitigen; mit 83 zu 72 Stimmen verweigerte auch der Rat die Gefolgschaft. Teuscher (gp, BE) wollte den Bundesrat mit einer Motion verpflichten, ein proaktives Lohngleichheitsmodell zu entwerfen und dessen Umsetzung auch in der Privatwirtschaft zu überwachen. Der Bundesrat machte mangelnde personelle Ressourcen geltend sowie seine Überzeugung, dass mit Information, Sensibilisierung und Weiterbildung mehr erreicht werden kann als mit Kontrollen und Sanktionen. Auf seinen Antrag wurde die Motion mit 81 zu 73 Stimmen abgelehnt. Mit 83 zu 73 Stimmen scheiterte auch eine weitere Motion Teuscher für die Einführung von Lohngleichheitstests in der Bundesverwaltung, ebenso mit 84 zu 71 Stimmen ein Postulat der selben Motionärin für die Einführung eines verbindlichen Systems zur Messung der Lohngleichheit in der Privatwirtschaft. Im Einverständnis mit dem Bundesrat angenommen wurde hingegen ein Postulat Leutenegger Oberholzer (sp, BL) für einen Bericht über die Möglichkeiten einer Zertifizierung von Unternehmen, die sich für die Einhaltung der verfassungsmässig garantierten Gleichstellung einsetzen. Dieses Postulat war 2006 aus dem Rechtsfreisinn bekämpft worden, wurde nun aber überwiesen [36].
Weitere Vorstösse betrafen die Lohngleichheitsklagen und deren Folgen für die Betroffenen. Hofmann (sp, AG) verlangte eine Ausdehnung des Klagerechts bei individueller Lohndiskriminierung auf Arbeitnehmerorganisationen. Der Bundesrat anerkannte, dass die heutige Situation unbefriedigend ist, weil sie die klagewillige Person sehr stark exponiert. Er sei deshalb auch bereit, die Vor- und Nachteile verschiedener Modelle von Behörden mit Untersuchungs- und Durchsetzungskompetenzen zu prüfen. Einem generellen, vom Individuum losgelösten Klagerecht könne er aber nicht zustimmen, da dies ein rechtliches Novum wäre. Mit 85 zu 69 Stimmen wurde die Motion verworfen, mit ähnlichem Stimmenverhältnis auch ein Postulat Leutenegger Oberholzer (sp, BL), das die Einsetzung einer unabhängigen Behörde verlangte. Ebenfalls keine Chance hatte eine Motion Roth-Bernasconi (sp, GE), die eine Ausdehnung der Beweislastumkehr auch für die Tatbestände der sexuellen Belästigung und der Diskriminierung bei der Anstellung forderte. Der Bundesrat verwies darauf, dass der Gesetzgeber seinerzeit diese beiden Bereiche ausdrücklich ausgenommen habe, weshalb er nicht bereit sei, hier eine Änderung zu verlangen. Mit 81 zu 72 Stimmen wurde diese Motion ebenfalls abgelehnt [37].
Mit zwei Motionen wollte Nationalrätin Hubmann (sp, ZH) den Kündigungsschutz für den Fall von Klagen zur Lohngleichheit und zu sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz verstärken. Einerseits forderte sie eine Ausdehnung des Kündigungsschutzes von sechs Monaten auf drei Jahre. Andererseits verlangte sie, im Fall einer früheren Kündigung seien derart hohe Entschädigungen rechtlich zu verankern, dass die Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes und des daraus resultierenden Erwerbsausfalls aufgewogen werden könnten. Der Bundesrat argumentierte, im Fall einer Klage sei das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin meistens derart zerrüttet, dass eine länger dauernde Fortführung einer Anstellung nicht zugemutet werden könne. Die Entschädigungen seien bewusst an jene nach OR angeglichen worden, weshalb es stossend wäre, dass eine missbräuchliche Kündigung nach Gleichstellungsgesetz zu höheren Entschädigungen führen würde als nach OR. Die Motionen wurden mit 89 zu 67 resp. mit 88 zu 67 Stimmen abgelehnt. Beide Abstimmungen entsprachen dem bekannten Muster: die (fast) geschlossenen Fraktionen von CVP, FDP und SVP gegen die ebenso einhelligen Fraktionen von GP und SP [38].
Ein Postulat befasste sich gewissermassen mit den Voraussetzungen für die Lohngleichheit. Heim (sp, SO) bat den Bundesrat aufzuzeigen, wie der Erwerb von ausserberuflich erworbenen Schlüsselkompetenzen für die Anstellung und die Lohneinreihung in der Bundesverwaltung berücksichtigt werden könne. Der Bundesrat antwortete, es gebe diese Richtlinien bereits, doch sei deren Anwendung Sache der Departemente und Ämter. Die daraus resultierende Unverbindlichkeit der Richtlinien genügte dem Nationalrat nicht, weshalb er das Postulat mit 87 zu 67 Stimmen überwies [39].
 
[35] AB NR, 2007, S. 126 ff. (Bericht), 145 (Motion) und 147 (Postulat); AB SR, 2007, S. 1180 f. Mitte Jahr präsentierte der BR einen Zusatzbericht über bereits eingeleitete Massnahmen (NZZ, 16.6.07). Zum Bericht siehe SPJ 2006, S. 220.
[36] Leutenegger: AB NR, 2007, S. 143 (Couchepin) und 145 (Motion und Postulat); Teuscher: a.a.O., S. 144 (Motion), 145 (Postulat) und 148 (Motion). Zur Lohn- und Chancengleichheit siehe auch die Interpellationen 05.3653, 06.3803 und 06.3822. Abgelehnt wurde eine pa.Iv. Leutenegger Oberholzer für ein regelmässiges Gender-Reporting bei den bundesnahen Betrieben (AB NR, 2007, S. 1764 f.). Bereits im Vorjahr hatte der Rat eine pa.Iv. der gleichen Autorin für ein Gender-Reporting in börsenkotierten Unternehmen abgelehnt (SPJ 2006, S. 221).
[37] AB NR, 2007, S. 143 (Couchepin), 146 (Hofmann und Roth-Bernasconi) und 147 (Leutenegger).
[38] AB NR, 2007, S. 142 f. (Couchepin) und 146 f.
[39] AB NR, 2007, S. 143 (Couchepin) und 149.