Année politique Suisse 2008 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Freisinnig-Demokratische Partei (FDP)
An der Delegiertenversammlung in Rapperswil-Jona (SG) vom 19. Januar präsentierten die drei Vizepräsidenten der FDP eine Analyse der Wahlniederlage vom Herbst 2007. Als Schwächen der Partei im Wahlkampf nannten sie Flügelkämpfe und eine schwerfällige Organisation. Zudem beziehe die Partei teilweise zu spät und zu unklar Position in wichtigen Fragen. Parteipräsident Fulvio Pelli hielt eine kämpferische Rede, in der er sich unter anderem gegen eine erneute „Koalition der Vernunft“ mit CVP und SP aussprach. Er nannte vier Faktoren für eine Rückkehr zum Erfolg: Erstens müsse die FDP als unverwechselbare Marke positioniert werden – und zwar rechts der Mitte, aber mit einem anderen Stil als die SVP. Zweitens solle sich die Partei auf drei bis vier thematische Schwerpunkte konzentrieren. Diese sollten bis zur nächsten DV konkretisiert werden. Drittens forderte Pelli einen einheitlicheren Auftritt. Das öffentliche Vertreten abweichender Meinungen bei für die Partei wichtigen Themen werde in Zukunft nicht mehr toleriert. Viertens warb Pelli auch für ein anderes Selbstverständnis: Die Freisinnigen müssten sich bei ihrem heutigen Wähleranteil nicht mehr für alles verantwortlich fühlen, sie sollten sich stattdessen als „Herausforderer-Partei“ sehen. Eine Resolution „Zukunft der FDP“ mit den erwähnten Forderungen wurde einstimmig verabschiedet. Die Nein-Parole zur Volksinitiative gegen Kampfjetlärm in Tourismusgebieten wurde ebenfalls einstimmig beschlossen [13].
Gabi Huber (UR) gab ihr Amt als Vizepräsidentin der FDP Schweiz ab und wurde Präsidentin der Bundeshausfraktion von FDP und Liberalen [14].
Der Generalsekretär der FDP Schweiz, Guido Schommer, trat auf den 1. März zurück. Sein Nachfolger Stefan Brupbacher, Jurist und Ökonom und zuletzt bei Economiesuisse tätig, nannte folgende Ziele für seine Tätigkeit: die Beschleunigung der internen Prozesse, die Verbesserung des Informationsflusses und die Intensivierung des Austausches mit den Kantonalparteien. Brupbacher möchte zudem eine zentrale Mitgliederdatenbank aufbauen [15].
Die FDP-Frauen und die Liberalen Frauen vereinigten sich auf den 1. März hin in der Gruppe „FDP-Frauen Schweiz – Wir Liberalen“. Marianne Dürst, die sieben Jahre das Amt der Präsidentin ausgeübt hatte, übergab dieses an Jacqueline de Quattro (FDP-Regierungsrätin VD) [16].
Anfang April präsentierte die FDP-Parteileitung einen Vorschlag für drei Kernthemen, auf die sich die FDP konzentrieren solle: Erstens den Kampf für mehr und gute Arbeitsplätze, zweitens das Einstehen für den nationalen Zusammenhalt und die Sicherung der Sozialwerke und drittens den Einsatz für einen schlanken und bürgerfreundlichen Staat. Für die Umsetzung dieser Schwerpunkte sollen bekannte Persönlichkeiten aus der Partei, so genannte „Leuchttürme“, verantwortlich sein. Am Parteitag im April nahmen die Delegierten diesen Vorschlag an, alle Änderungsanträge scheiterten. Zu „Leuchttürmen“ wurden bestimmt: Johann Schneider-Ammann (NR BE) und Isabelle Moret (NR VD) für das Thema Arbeitsplätze, Christa Markwalder (NR BE) und Ignazio Cassis (NR TI) für das Thema sozialer Zusammenhalt und Sozialwerke sowie Philipp Müller (NR AG) und der Liberale Christian Lüscher (NR GE) für das Thema bürgerfreundlicher Staat. Mit der Ausrichtung auf drei Schwerpunkte wurde das Konzept der „vier Schweizen“, mit dem die FDP den Wahlkampf 2007 bestritten hatte, nach Einschätzungen in der Presse mehr oder weniger fallengelassen. Das Konzept hatte als zu abstrakt gegolten. Mit der Festlegung auf das neue Programm sollte nun auch die von Pelli gemachte Aussage gelten, dass zu schweigen habe, wer von der beschlossenen Parteilinie abweicht. Kontrovers diskutiert wurde der Gesundheitsartikel, zu dem die Parolenfassung anstand: Die Vorlage erhielt mit 110 Ja zu 81 Nein nur halbherzige Unterstützung, obwohl sie von FDP-Parlamentariern massgeblich mitentwickelt worden war. Pelli warb für den Gesundheitsartikel: Er stehe für die freie Wahl des Arztes und des Spitals, die monistische Finanzierung und einen kontrollierten Wettbewerb. Bundespräsident Pascal Couchepin hingegen bezeichnete die Vorlage als unnötig. Ein klares Nein gab es für die Einbürgerungsinitiative der SVP und die Initiative „für Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“. Fulvio Pelli wurde von den Delegierten als Parteipräsident bestätigt, Ruedi Noser als Vizepräsident. Isabelle Moret (NR VD) wurde neu ins Vizepräsidium gewählt. Sie war die einzige Kandidatin für die Nachfolge der beiden zurücktretenden VizepräsidentInnen Léonard Bender (VS) und Gabi Huber (UR). Ein Platz im Vizepräsidium wurde für einen zukünftigen Vertreter der Liberalen frei gehalten [17].
Zu innerparteilichen Differenzen kam es trotz der Bemühungen um eine klare Linie schon bald wieder: Die FDP-Delegierten hatten die SVP-Einbürgerungsinitiative deutlich abgelehnt. Trotzdem warben Exponenten wie Hans Hess (OW), Otto Ineichen (LU), Filippo Leutenegger (ZH), Walter Müller (SG) und Georges Theiler (LU) für ein Ja und nahmen gar Einsitz im überparteilichen Ja-Komitee. Philipp Müller (AG), der „Leuchtturm“ für das Thema schlanker Staat (der sich mit Pelli darauf geeinigt hatte, nicht im Ja-Komitee mitzumachen), vertrat am Parteitag der FDP Aargau die Ja-Position zur Einbürgerungsinitiative, die der offiziellen FDP-Parole entsprechende Nein-Position wurde durch eine SP-Politikerin vertreten. Gespalten blieb die Partei auch beim Gesundheitsartikel, nach dem Ja auf nationaler Ebene beschloss eine grosse Zahl von Kantonalsektionen die Nein-Parole [18].
Auch zur Volksinitiative für die Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts gab es Diskussionen innerhalb der Partei. Da der Bundesrat den Abstimmungstermin für die Vorlage festsetzen musste, blieb nur noch wenig Zeit für einen möglichen Rückzug. Während einige Parteiexponenten einen solchen für angebracht hielten, da das Parlament bereits einige Schritte im Sinne der Initiative gemacht hatte, wollte das Initiativkomitee um die Zürcher Nationalrätin Doris Fiala an der Initiative festhalten und tat dies auch, nachdem Präsident Pelli, wie von den Initianten verlangt, der Initiative seine Unterstützung zusicherte. Das Projekt blieb jedoch umstritten und wurde insbesondere von ökologisch orientierten Freisinnigen abgelehnt. An der Delegiertenversammlung vom 28. Juni in Solothurn wurde nach einer emotionalen Diskussion für die Initiative für die Beschränkung des Verbandsbeschwerderechts mit 142 zu 57 Stimmen bei 17 Enthaltungen die Ja-Parole beschlossen. Die Befürworter argumentierten, das Umweltrecht müsse von den Behörden durchgesetzt werden, nicht von den Verbänden. Die Gegner wollten nicht alle Umweltverbände abstrafen. Pelli äusserte sich, dass die Initiative eine Chance für die FDP darstelle, zu zeigen, dass man für einen einfacheren Staat mit weniger Bürokratie sei. Er plädierte auch dafür, dass sich Unentschlossene „für die FDP“ entscheiden sollten. Überraschend fiel das Ergebnis bei der Parolenfassung zur Hanfinitiative aus: Die Delegierten befürworteten die Vorlage knapp mit 86 zu 83 Stimmen. Dieses Ergebnis stiess in der Folge auf Widerstand, insbesondere von FDP-Vertretern aus der Romandie. Für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes wurde deutlich die Ja-Parole beschlossen. Fulvio Pelli wandte sich in seiner Rede gegen die Idee einer „Koalition der Mitte“, die CVP-Präsident Christophe Darbellay in der Presse lanciert hatte. Die FDP, so Pelli, sei rechts der Mitte positioniert [19].
Bereits im Februar hatten die Parteispitzen von FDP und Liberalen angekündigt, dass im Oktober der offizielle Beschluss zur Fusion der beiden Parteien fallen solle. Seit 2005 hatten sie in der freisinnig-liberalen Union zusammengearbeitet, eine gemeinsame Bundeshausfraktion hatten sie seit 2003 gebildet. Im Juli wurden die geplanten Statuten für eine Übergangszeit bis 2015 bekannt gemacht: Die Liberalen sollen demnach in allen Gremien der Partei angemessen vertreten sein. Auch dürfen auf kantonaler Ebene während der Übergangsfrist liberale und freisinnige Parteien getrennt voneinander weiterbestehen. Jedoch soll es in den betreffenden Kantonen (relevant ist die Regelung vor allem für die Kantone Genf, Waadt und Basel-Stadt) eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit zwischen Liberalen und Freisinnigen geben. Auf kantonaler Ebene hatte es schon Fusionen in den Kantonen Freiburg und Wallis gegeben, eine weitere ging im April im Kanton Neuenburg über die Bühne. Die geplante Fusion auf nationaler Ebene ging bei den kantonalen Parteien in die Vernehmlassung – zusammen mit der Frage nach einem neuen Namen für die Partei. Während in der Romandie die in einigen Kantonen bereits verwendete Bezeichnung „Parti libéral-radical“ folgerichtig erschien, gab es in der Deutschschweiz grossen Widerstand gegen eine Umbenennung von FDP in FLP (Freisinnig-liberale Partei), so dass diese Idee verworfen werden musste. Man entschied sich dafür, die Partei in der Deutschschweiz „FDP – Die Liberalen“ zu nennen. Widerstand gegen die Fusion kam fast nur aus den Reihen der Basler Liberaldemokraten [20].
An ihrer Delegiertenversammlung am 13. September in Neuenburg befürworteten die Freisinnigen einstimmig die Weiterführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Weiter forderte die FDP einen Ausgleich der kalten Steuerprogression bereits auf 2009 mittels eines dringlichen Erlasses. Zudem sollen nach dem Willen der FDP Gebäudesanierungen zur Einsparung von Energie mit Steuerabzügen gefördert werden. Eine zweckgebundene CO2-Steuer lehnte die Partei ab [21].
Am 25. Oktober beschlossen die FDP-Delegierten in Bern einstimmig die Fusion mit der Liberalen Partei. Die Liberalen stimmten an einer gleichzeitig abgehaltenen Versammlung ebenfalls zu und stiessen unter Applaus zu den Delegierten der Freisinnigen hinzu. Die offizielle Gründung der neuen Partei wurde auf Februar 2009 (rückwirkend auf den 1.1.2009 hin) angesetzt. Fulvio Pelli und der Präsident der Liberalen, Pierre Weiss, hielten zusammen eine Rede, in der sie die gemeinsamen Wurzeln der beiden Parteien betonten. Pelli äusserte sich zudem an der Versammlung kritisch über die Banken und riet UBS-Führungskräften, ihre Boni zurückzuzahlen [22].
 
[13] Presse vom 21.1.08.
[14] AZ, 19.1.08; TG, 23.2.08.
[15] AZ, 4.2.08; NZZ, 6.2.08.
[16] NZZ, 3.1., 7.1. und 25.2.08; BüZ, 3.3.08.
[17] Delegiertenversammlung: NZZ, 5.4., 19.4. und 21.4.08; Bund und SN, 19.4.08; LT, SN und TA, 21.4.08. Vizepräsidium: NLZ, 1.4.08.
[18] TA, 20.5. und 31.5.09.
[19] Verbandsbeschwerderecht: Bund und SGT, 8.5.08; Bund, 9.5.08. Gesundheitsartikel: TA, 20.5. und 31.5.08. Delegiertenversammlung: Presse vom 30.6.08.
[20] SoZ, 24.2.08; Presse vom 16.7.08; NZZ, 16.8., 23.8. und 26.9.08; NLZ, 26.9.08.
[21] NZZ, 15.9.08.
[22] Presse vom 27.10.08.