Année politique Suisse 2008 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Invalidenversicherung
Eine Motion Bortoluzzi (svp, ZH) wollte den Bundesrat beauftragen, bis Ende 2008 eine Botschaft für eine 6. IV-Revision vorzulegen. Dabei soll es darum gehen, die IV strukturell zu sanieren, um alle, trotz der 5. IV-Revision weiterhin bestehenden Missbräuche zu bekämpfen, und damit eine massive Senkung der Rentnerzahlen zu erzielen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da bereits die 5. IV-Revision Sparmassnahmen enthält und das Parlament weitergehende Massnahmen abgelehnt hatte. Die Vorschläge des Motionärs hätten zudem keinen Einfluss auf die laufenden Renten, sondern nur auf die Neurenten. Ausserdem müsse vor einer weiteren Revision unbedingt abgewartet werden, welche Wirkungen die 5. IV-Revision entfaltet. Der Nationalrat folgte dem Bundesrat und lehnte die Motion ab [12].
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IV-Revision: Finanzierung
Die Massnahmen der 5. IV-Revision, welche letztes Jahr nach einem Referendum vom Volk gutgeheissen worden waren, reichen nicht aus, um die IV und deren finanzielle Defizite zu sanieren. Da weitere Spar- und Entlastungsmassnahmen politisch nicht realisierbar und sozial nicht vertretbar waren, erachtete es der Bundesrat als unerlässlich, zusätzliche Einnahmequellen für die IV zu erschliessen. Er schlug daher eine Erhöhung der Lohnprozente um 0,1 Prozentpunkte auf 1,5% vor und zur längerfristigen Sanierung der IV die Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um linear 0,8%. Gegen den Widerstand des links-grünen Lagers hatten die Räte 2006 beschlossen, das Paket aufzubrechen und die Finanzierungsbeschlüsse separat von der 5. IV-Revision zu behandeln [13].
Nachdem der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung durch Anhebung des Mehrwertsteuersatzes im März 2007 vom Nationalrat abgelehnt worden war, fand im Berichtsjahr erneut eine Eintretensdebatte in Bezug auf den Vorschlag des Ständerates und dessen Kommission statt. Eine Minderheit Borer (svp, SO) wollte nicht auf den Beschluss eintreten mit der Begründung, dass der Druck auf die Verwaltung aufrechterhalten werden müsse, damit die bereits vorgesehenen Massnahmen effizient umgesetzt werden. Die Mehrheit des Nationalrates war aber der Meinung, dass eine Zusatzfinanzierung notwendig sei und beschloss schliesslich mit 122 zu 64 Stimmen bei 3 Enthaltungen und der Unterstützung aller Fraktionen ausser der SVP das Eintreten. Bei Artikel 196 über die befristete proportionale Mehrwertsteuererhöhung schuf der Nationalrat eine wesentliche Differenz zum Ständerat. Eine Minderheit Schenker (sp, BS) sprach sich für eine befristete proportionale Mehrwertsteuererhöhung aus, sah jedoch eine Anhebung des Normalsatzes um 0,7% statt der vom Ständerat angenommenen 0,5% vor. Diesen Antrag lehnte der Nationalrat mit 59 zu 123 Stimmen ab. Ein weiterer Minderheitsantrag Triponez (fdp, BE) sprach sich in Bezug auf die Höhe des Normalsatzes für 0,4% aus. Diesen von der SVP, der FDP und einer Minderheit der CVP-Fraktion unterstützten Antrag nahm die grosse Kammer mit 95 zu 86 Stimmen an. Die Vorlage passierte die Gesamtabstimmung mit 108 zu 45 Stimmen [14].
Der Ständerat hielt bei Artikel 196 an einer proportionalen Erhöhung der MWSt fest, allerdings wollte er sie nicht ganz so stark anheben, wie er noch im Dezember 2007 beschlossen hatte. Er folgte dem Antrag seiner Kommission, den Normalsatz um 0,4 auf 8%, den reduzierten Satz um 0,1 auf 2,5% und den Sondersatz für Beherbergungsleistungen um 0,2 auf 3,8% zu erhöhen. Die Minderheitsanträge Fetz (sp, BS), welcher am früheren Beschluss des Ständerates festhalten wollte und Hess (fdp, OW), welcher dem Beschluss der linearen Erhöhung des Nationalrates folgen wollte, lehnte der Ständerat beide ab. Ausserdem formulierte er den Absatz 3 von Artikel 196 neu, um die Vorlage mit der Schaffung eines IV-Fonds zu verknüpfen. Nach der neuen Formulierung kommt die befristete Mehrwertsteuererhöhung nur dann zur Anwendung, wenn ein selbständiger IV-Fonds geschaffen wird, also wenn das Bundesgesetz zur Sanierung der IV in Kraft tritt [15]. Der Nationalrat folgte daraufhin diskussionslos den Beschlüssen des Ständerates. In der Schlussabstimmung nahm der Ständerat die Vorlage mit 39 zu 2 Stimmen und der Nationalrat mit 126 zu 58 Stimmen an [16].
Der Nationalrat startete die Diskussion um den Entscheid des Ständerates vom Vorjahr über die Schaffung eines unabhängigen IV-Fonds mit der Ablehnung eines Minderheitsantrages Maurer (svp, ZH), der die Vorlage an den Bundesrat zurückweisen wollte, mit dem Auftrag, einen Entwurf auszuarbeiten, welcher einen selbständigen IV-Fonds und EO-Fonds errichtet, hierfür aber keine Mittel aus dem AHV-Fonds verwendet und keine Anpassung der Mehrwertsteuersätze vorsieht. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Minderheitsantrag Rechsteiner (sp, SG), der verlangte, dass der Bund einen Sonderbeitrag von 5 Mia Fr. an die Entschuldung der IV leisten soll. Zwei Minderheitsanträge waren in Bezug auf Artikel 2 zu klären. Eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH) forderte, dass der Bund dem Ausgleichsfonds der IV 5 Mia Fr. als ordentliche Ausgabe aus dem Staatshaushalt überweise. Die Kommission des Nationalrates schlug vor, die Version des Ständerates zu übernehmen, mit der Ausnahme, dass die 5 Mia aus dem AHV Fonds als verzinsliches Darlehen an den IV-Ausgleichsfonds überwiesen werden sollen. Der Nationalrat folgte in dieser Frage seiner Kommission. In Bezug auf die Übernahme des Zinsaufwandes folgte der Nationalrat ebenfalls seiner Kommission und beschloss, dass der Bund nicht wie vom Ständerat beschlossen vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2016 nur zwei Drittel des jährlichen Zinsaufwandes auf dem IV-Verlustvortrag übernimmt, sondern für den gesamten Zinsaufwand aufkommt. Gegen den Willen des links-grünen Lagers präzisierte der Nationalrat, dass die 6. IV-Revision neben anderen Vorschlägen auch eine ausgabenseitige Sanierung der IV beinhalten müsse. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 123 zu 54 Stimmen an. Die Opposition kam von Seiten der SVP [17].
In der Differenzbereinigung ging es vor allem darum, ob der Beitrag von 5 Mia Fr. gemäss der Variante des Nationalrates als verzinsliches Darlehen oder wie vom Ständerat gefordert als einmalige à-fonds-perdu Zahlung erfolgen sollte. Der Ständerat sprach sich dafür aus, dass im Gegenzug zu der einmaligen Zahlung Artikel 2 so zu ändern sei, dass zwecks Abbaus der IV-Schuld der Betrag, der über das Startkapital von 5 Mia Fr. hinausgeht, während des Zeitraums der befristeten Mehrwertsteuererhöhung jährlich an den AHV-Ausgleichsfonds überwiesen wird. Da sich die beiden Kammern nicht einigen konnten, wurde eine Einigungskonferenz einberufen, welche das Modell des Ständerates befürwortete. Sowohl der Ständerat als auch der Nationalrat folgten anschliessend den Anträgen der Einigungskonferenz. Der Nationalrat nahm das Bundesgesetz zur Sanierung der IV mit 133 zu 57 Stimmen an und der Ständerat tat dies einstimmig [18].
Der Ständerat stimmte der 2007 vom Nationalrat überwiesenen Motion Müller (fdp, SG) ebenfalls zu. Diese forderte den Bundesrat auf, Massnahmen zu ergreifen, damit den Patienten der Invalidenversicherung bei öffentlichen und öffentlich subventionierten Spitälern grundsätzlich die gleichen Tarife und Kosten verrechnet werden wie denjenigen der obligatorischen Krankenversicherung. Er überwies auch die Motion Robbiani (cvp, TI) für die Anpassung der Vollzugsbestimmungen zum Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [19].
 
[12] AB NR, 2008, S. 466.
[13]Siehe SPJ 2007, S. 230.
[14] AB NR, 2008, S. 380 ff. und 405 ff.
[15] AB SR, 2008, S. 293 ff.
[16] AB NR, 2008, S. 750 f. und 1023; AB SR, 2008, S. 532. Die Vorlage muss als Verfassungsrevision noch von Volk und Ständen gutgeheissen werden.
[17] AB NR, 2008, S. 380 ff. und 405 ff. Siehe SPJ 2007, S. 231.
[18] AB SR, 2008, S. 435, 516 und 532; AB NR, 2008, S. 750 f., 871 f. und 1023.
[19] AB SR, 2008, S. 1045. Siehe SPJ 2007, S. 231 f.