Année politique Suisse 2008 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Frauen
2007 hatte der Nationalrat dem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Fakultativprotokolls vom Oktober 1999 zum UNO-Übereinkommen vom Dezember 1979 zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau gegen einen Nichteintretensantrag der SVP zugestimmt. Der Ständerat hiess das Protokoll nun bei einer Enthaltung gut, worauf es definitiv verabschiedet werden konnte, im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit 180 zu 5 Stimmen, die alle aus der SVP kamen
[19].
Im Vorjahr hatte der Ständerat gegen den Willen des Bundesrates, der das bestehende gesetzliche Instrumentarium als genügend erachtete, eine Motion gutgeheissen, welche eine aktivere Rolle des Bundes bei der Verhinderung von
Zwangsheiraten resp. arrangierten Heiraten verlangt. Der Nationalrat stimmte dem verbindlichen Auftrag zu, modifizierte ihn aber in dem Sinn, dass die Massnahmen lediglich Zwangsheiraten betreffen sollen, da arrangierte Heiraten ja auch in beiderseitigem Einverständnis der betroffenen Personen zustande kommen können, und überdies der Nachweis, dass die Ehe das Resultat von Absprachen ist, kaum erbracht werden könnte; arrangierte Ehen, die nicht freiwillig geschlossen werden, erfüllten ohnehin den Tatbestand der Zwangsheirat. Der Ständerat übernahm nach kurzer Diskussion diese Änderung
[20].
Nach den Wahlen von Ende Oktober 2007 liegt der Anteil der Frauen im Nationalrat bei
29,5%. Dieser Wert ist zwar nach wie vor tief, doch im
internationalen Vergleich befindet sich die Schweiz im
oberen Mittelfeld. In Schweden, Norwegen und Finnland sind Frauen in den nationalen Parlamenten mit Anteilen zwischen 38% und 47% am besten vertreten. Auch Österreich und Deutschland weisen mit 32% leicht höhere Frauenanteile auf als die Schweiz, Italien und Frankreich mit 17% bzw. 19% dagegen tiefere. Dies ergab eine Untersuchung des BFS zur Gleichstellung von Frau und Mann
[21].
Dieser Bericht des BFS zur Stellung der Frauen in der Schweiz zeigte auch, dass die Schweiz eine hohe Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben ausweist. Mit einer Frauenerwerbsquote von 59% im Jahr 2005 verzeichnete sie im Vergleich zu ihren Nachbarländern den höchsten Wert. In Europa lagen die Werte nur für Dänemark, Norwegen und Island noch höher. Bemerkenswert für die Schweiz ist auch die Zunahme der Frauenerwerbsquote: Seit 1990 ist sie um 10 Prozentpunkte gestiegen. Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Schweiz mit einem vergleichsweise grossen Anteil (57%) an Teilzeitbeschäftigung einhergeht. Nach den Niederlanden hat die Schweiz den höchsten Anteil von Frauen, die einer Teilzeiterwerbstätigkeit nachgehen. Nur 22% der Frauen sind in Kaderfunktion tätig gegenüber 37% der Männer.
Wird die Erwerbsbeteiligung nach Alter untersucht, zeigt sich in der Schweiz bei den Frauen zwischen 30 und 40 Jahren ein vorübergehender Rückgang. Dieses Muster weist darauf hin, dass sich viele Frauen aufgrund
familiärer Pflichten während einiger Jahre aus dem Arbeitsmarkt zurückziehen, um später wieder einzusteigen. Im Vergleich zum Jahr 1990 ist der Knick in der Schweiz schwächer geworden, aber er bleibt dennoch deutlich sichtbar. In den Nachbarländern ist dieses Phänomen auch in Österreich feststellbar, jedoch weniger ausgeprägt. In Deutschland und Frankreich dagegen zeigt sich bei den Frauen während der Familiengründungsphase eine Stagnation, aber kein Rückgang der Erwerbsbeteiligung. Wieder ein anderes Muster weist Italien auf, wo die Erwerbsquote bei den Frauen ab 35 Jahren stetig abnimmt. Diese Unterschiede stehen im Zusammenhang mit den Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren: In vielen europäischen Ländern können Frauen und oft auch Männer längere Mutterschafts- bzw. Elternurlaube beziehen und von besseren Kinderbetreuungsmöglichkeiten profitieren, so dass es für Frauen einfacher ist, durchgehend erwerbstätig zu bleiben
[22].
Nationalrätin Leutenegger Oberholzer (sp, BL) hatte 2006 eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche analog zu den Arbeitsinspektoraten die Einführung eines
Lohninspektorats verlangte, um den verfassungsmässig verankerten Anspruch des Rechts auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Die Mehrheit der Kommission machte geltend, Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern seien nicht einfach nur eine Frage der Geschlechter, sondern ebenso sehr der Ausbildung und der Berufserfahrung. Die Initiative wurde mit 109 zu 63 Stimmen klar abgelehnt
[23].
Eine Evaluation des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) zum 1999 in Kraft getretenen Gleichstellungsgesetz (GIG) ergab, dass vor allem
kleinere und mittlere Unternehmen in Sachen Gleichstellung noch kaum aktiv geworden sind. Mit finanziellen Anreizen will der Bund dieser Trägheit entgegen wirken. Für das Projekt, das ab 2009 in einer auf acht Jahre befristeten Pilotphase anläuft, wird der Bund im Schnitt 1 Mio Fr. pro Jahr zur Verfügung stellen. Bisher beschränkte sich die Förderung des Bundes auf Gleichstellungsprojekte von nicht gewinnorientierten Organisationen und Institutionen. Ziel der Finanzhilfen ist, dass Frauen auf allen Hierarchiestufen sowie in allen Branchen und Berufen gleichberechtigt Zugang zum Erwerbsleben erhalten. Diskriminierungen am Arbeitsplatz wie Lohnungleichheit, Benachteiligung von Teilzeitarbeit, geringe Aufstiegsmöglichkeiten, Diskriminierung bei Mutterschaft und sexuelle Belästigung sollen abgebaut oder verhindert und die Familienfreundlichkeit von Unternehmen gefördert werden
[24].
Gemäss einer Studie des EBG ist jeder zweite Arbeitnehmende in der Schweiz ein potentielles
Opfer von sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz. In der Mehrzahl sind dies Frauen, die Teilzeit arbeiten, ausländischer Herkunft sind oder erst seit kurzer Zeit im Betrieb arbeiten. Die Belästigungen gehen in erster Linie auf das Konto von Arbeitskollegen, seltener auf jenes von Kunden oder Patienten. Klagen vor Gericht sind in diesem Bereich relativ selten, da die Betroffenen dies einerseits als weitere Demütigung empfinden und andererseits Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes haben. Bei der Präsentation des Berichts erklärte Bundespräsident Couchepin, dass sexuelle Belästigung neben dem menschenrechtlichen auch einen für die Volkswirtschaft negativen Effekt habe: Sie fördere Demotivation am Arbeitsplatz, Absentismus und führe ganz generell zu einem schlechten Arbeitsklima
[25].
[19]
AB SR, 2008, S. 164 f. und 207;
AB NR, 2008, S. 484;
BBl, 2008, S. 2333 f.
[20]
AB NR, 2008, S. 229 f.;
AB SR, 2008, S. 354 f. Siehe
SPJ 2007, S. 251. Zur Stellungnahme der Eidg. Frauenkommission siehe Presse vom 18.12.08. Als Sofortmassnahme gegen Zwangsheiraten kündigte der BR an, künftig keine Eheschliessungen von Personen unter 18 Jahren mehr zu anerkennen (Presse vom 13.3.08). Zudem gab er seine Revisionsvorschläge für das ZGB und das Gesetz über das Internationale Privatrecht in die Vernehmlassung; Änderungen im Ausländerrecht drängen sich seiner Meinung nach nicht auf (Presse vom 6.11.08).
[21]
Lit. BFS; Presse vom 12.1.08. Siehe auch
Lit. Frauenfragen.
[22]
Lit. BFS; Presse vom 12.1. und 8.3.08.
[23]
AB NR, 2008, S. 94 ff. Abgestimmt wurde nach dem traditionellen links-rechts-Schema. Einzig drei CVP-Abgeordnete unterstützten die Initiative: Robbiani und Simoneschi-Cortesi (beide TI) sowie Schmid-Federer (ZH).
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