Année politique Suisse 2008 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Kinder- und Jugendpolitik
Im Nachgang zu den Revisionen des Ausländer- und des Asylgesetzes hatte Roth Bernasconi (sp, GE) eine parlamentarische Initiative eingereicht, die verlangte, einzelne Artikel der beiden Gesetze so abzuändern, dass sie nicht gegen die entsprechenden Artikel aus dem UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes verstossen. Ihre Begründung war, dass die neuen Zwangsmassnahmen gravierende Auswirkungen auf das Wohl des Kindes haben könnten, welchem in der Konvention oberste Priorität eingeräumt werde. Weil noch kaum Erfahrungen mit der praktischen Umsetzung der revidierten Gesetze bestehen, beantragte die Kommission mit 93 zu 56 Stimmen erfolgreich, der Initiative keine Folge zu geben. Gleichzeitig ersuchte sie aber den Bundesrat mit einem diskussionslos angenommenen Postulat, einen diesbezüglichen Bericht vorzulegen, sobald verlässliche statistische Daten aus den Kantonen vorliegen [33].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat gegen den Willen des Bundesrates zwei Motionen (Amherd, cvp, VS und Galladé, sp, ZH) angenommen, die ein Bundesgesetz über die Kinder- und Jugendförderung sowie den Kinder- und Jugendschutz verlangten. Der Bundesrat hatte vor einem verbindlichen Auftrag die Ergebnisse eines Berichtes zur Opportunität eines Rahmengesetzes zur Kinder- und Jugendpolitik abwarten wollen. Dieser war 2001 mit einem Postulat initiiert worden. Da der Bericht „Strategie für eine schweizerische Kinder- und Jugendpolitik“ mittlerweile vorlag, präsentierte die Kommission dem Ständerat nun eine modifizierte Version der Motion Amherd. Ausgehend vom Bericht hatte sich der Bundesrat für eine Revision des Bundesgesetzes über die Förderung der ausserschulischen Jugendarbeit ausgesprochen. Mit dieser Revision sollen verschiedene Ziele erreicht werden, nämlich die Koordination und Harmonisierung der Massnahmen von Bund, Kantonen und Gemeinden, die Definition der Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Gemeinden und Partnerorganisationen und – sofern notwendig – die Schliessung von Lücken in Spezialgesetzen. Im Einverständnis mit der Motionärin schlug die Kommission nun vor, sich dieser Stossrichtung anzuschliessen, durch Überweisung der Motion aber den politischen Druck aufrecht zu erhalten. Die Motion Galladé, die primär eine fundierte Analyse des Ist-Zustands gefordert hatte, beantragte sie hingegen abzulehnen, da sie vom Bericht erfüllt sei. In beiden Punkten folgte der Ständerat seiner Kommission [34].
Der Bund geht beim Kinderschutz neue Wege und verstärkt seine Aktivitäten über eine so genannte Public Private Partnership (PPP). Zu diesem Zweck gründete das Bundesamt für Sozialversicherungen zusammen mit privaten Partnern den Verein PPP. Dieser soll ab 2010 ein nationales Kinderschutzprogramm umsetzen, das die betroffenen öffentlichen und privaten Stellen einbezieht. Seine Aufgabe umfasst Bedürfnisabklärungen, verstärkte Koordination zwischen den Akteuren, Koordination der Finanzierung und Projektevaluation [35].
Bei der Diskussion des Legislaturprogramms 2007–2011 konnte sich im Nationalrat ein links-grüner Antrag für eine speziell auf Jugendliche ausgerichtete Gewaltprävention dank Unterstützung einer Mehrheit aus der CVP und der FDP mit 91 zu 75 Stimmen durchsetzen. Der Ständerat stimmte diskussionslos zu [36].
Im Rahmen seiner grossen jugendpolitischen Debatte hatte der Nationalrat im Vorjahr eine Motion Allemann (sp, BE) angenommen, welche den Bundesrat gegen seine damals geäusserte ablehnende Haltung verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Kantonen eine gesamtschweizerisch einheitliche Meldepflicht für Vorfälle menschlicher Gewalt einzuführen. Die Regierung hatte die Ansicht vertreten, eine gesamtschweizerische Statistik zu Gewaltdelikten und deren Opfer könne durchaus sinnvoll sein, eine Meldepflicht insbesondere für Ärzte und Ärztinnen sei aber wegen des Berufsgeheimnisses problematisch und könnte sich auch als kontraproduktiv erweisen, da viele Opfer sich scheuen würden, die Tat zu thematisieren, wenn ihnen bewusst sei, dass die Information nicht vertraulich behandelt werde. Im Ständerat beantragte die Kommission einen leicht modifizierten Text, welcher es dem Bundesrat überlässt, mit den Kantonen einen geeigneten Weg zu finden, um diese Gewaltvorfälle zu erfassen; auf eine explizite Meldepflicht verzichtete der abgeänderte Text. In Ergänzung dazu stipulierte er aber, dass die erhobenen Fälle im Hinblick auf mögliche Präventionsmassnahmen auch statistisch ausgewertet werden. Dieser Antrag fand auch die Unterstützung des Bundesrates [37].
2006 hatte Vermot-Mangold (sp, BE) eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche ein Gesetz verlangte, das Kinder vor Körperstrafe und anderen demütigenden Behandlungen schützt, welche ihre physische oder psychische Integrität verletzen. Die Rechtskommission des Nationalrats wollte der Initiative in der ersten Phase Folge geben; nachdem die Schwesterkommission des Ständerates aber Ablehnung signalisiert hatte, übernahm sie deren Argumentation, wonach die straf- und zivilrechtlichen Instrumente bereits genügend seien, es vielmehr um deren Umsetzung gehe, weshalb ein neues Spezialgesetz unnötig sei. Auf ihren Antrag wurde die Initiative mit 102 zu 71 Stimmen abgelehnt [38].
Zur Senkung des Stimmrechtalters auf 16 Jahre siehe oben, Teil I, 1b (Bürger- und Stimmrecht). Für die Strafbarkeit von Kindsmisshandlungen und Pädophilie sowie die Revision des Vormundschaftsrechts siehe oben, Teil I, 1b (Strafrecht resp. Zivilrecht).
 
[33] AB NR, 2008, S. 982 ff. Zur UNO-Kinderrechtskonvention siehe SPJ 2007, S. 256.
[34] AB SR, 2008, S. 1045 f. Siehe SPJ 2007, S. 256. Zum Bericht siehe Presse vom 3.9.08.
[35] Presse vom 11.6.08.
[36] AB NR, 2008, S. 717 ff. und 753 ff.; AB SR, 2008, S. 587.
[37] AB SR, 2008, S. 744 f. Siehe SPJ 2007, S. 257.
[38] AB NR, 2008, S. 1632 f. SP und GP stimmten geschlossen dafür; von den bürgerlichen Parteien stimmten nur gerade neun aus der CVP sowie Gadient (bdp, GR) dafür.