Année politique Suisse 2009 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
Schweizerische Volkspartei (SVP)
Im Januar schlug die SVP-Parteileitung
Martin Baltisser als neuen Generalsekretär vor. Baltisser war schon von 1996 bis 1999 SVP-Generalsekretär gewesen. Er trat sein Amt am 1. Juli an. Nach dem Rücktritt von Yves Bichsel im Vorjahr hatte Silvia Bär das SVP-Sekretariat interimistisch geführt
[26].
Im Februar wurde die erweiterte
Personenfreizügigkeit mit der EU vom Volk deutlich (fast 60% Ja-Stimmen) angenommen. Die SVP hatte als einzige grosse Partei die Nein-Parole zu der Vorlage ausgegeben. Am Abstimmungstag sprach Parteipräsident Toni Brunner davon, eine Volksinitiative zur Begrenzung der Personenfreizügigkeit zu lancieren. Er relativierte dies jedoch später: Man werde zunächst den parlamentarischen Weg beschreiten
[27].
Aufsehen erregte im Februar ein vom SVP-Strategen Christoph Blocher vorgelegtes Konzept zur
Neustrukturierung der Banken. Blocher schlug vor, dass die Banken ihre Aktivitäten im In- und Ausland in voneinander unabhängigen Tochtergesellschaften wahrnehmen sollen, die einander im Krisenfall nicht beistehen müssten. Zudem vertrat er die Ansicht, dass bei staatlich unterstützten Banken ein Salärsystem wie bei den bundesnahen Betrieben SBB und Post eingeführt werden und ein Bundesvertreter im Verwaltungsrat Einsitz nehmen sollte. Blocher begründete seine Vorschläge damit, dass der Staat in Not geratene Banken faktisch habe retten müssen, weshalb es auch gerechtfertigt sei, dass der Staat ein Mitspracherecht erhalte. Diese Ansicht stiess innerhalb der SVP auf Widerstand, etwa bei Nationalrat Hans Kaufmann (ZH). Die SVP hielt daraufhin eine „kontradiktorische Medienkonferenz“ ab, an der beide Seiten ihre Standpunkte darlegen konnten
[28].
Ende März fand eine Delegiertenversammlung der SVP in La Brévine (NE) statt. Die Delegierten sprachen sich dafür aus, das
Bankkundengeheimnis in der Bundesverfassung zu verankern. Die Strafbestimmungen für eine Verletzung des Bankgeheimnisses sollen zudem verschärft werden. Die SVP bekräftigte auch ihre Position, an der Unterscheidung zwischen Steuerhinterziehung und Steuerbetrug festzuhalten. Diskutiert wurde auch das von Christoph Blocher ausgearbeitete Papier zum Thema Bankenkrise. Dieses wurde mit 360 zu 12 Stimmen eindeutig befürwortet. Die Delegierten beschlossen mit 382 zu einer Stimme die Nein-Parole zur IV-Zusatzfinanzierung über die Mehrwertsteuer. Am Vortag hatte der SVP-Zentralvorstand bereits weitere Abstimmungsparolen gefasst: Er sagte Nein zum biometrischen Pass (mit 35 zu 17 Stimmen) und auch Nein zum Verfassungsartikel „Zukunft mit Komplementärmedizin“
[29].
Anfang Mai fand in Bern ein ausserordentlicher Parteitag der SVP statt, an dem die Partei ihre Positionen in der
Migrationspolitik bestätigte. In einer Resolution zum Thema Asylrecht forderte die SVP unter anderem, dass Militärdienstverweigerer und Deserteure kein Asyl mehr erhalten sollen. Vorläufig Aufgenommenen soll nach dem Willen der SVP die Sozialhilfe gestrichen werden. Zudem soll das Grenzwachtkorps um 200 bis 300 Stellen aufgestockt werden, um illegale Einreisen zu verhindern. In einem breiter angelegten Positionspapier zur Migrationspolitik verlangte die SVP auch Verschärfungen des Strafrechts. Betont wurde insbesondere, dass die schweizerische Rechtsordnung gegenüber religiös begründeten Normen Vorrang habe und durchgesetzt werden müsse
[30].
An ihrer Delegiertenversammlung vom 20. Juni in Altstätten (SG) forderte die SVP in einer Resolution, dass sich die Schweiz nicht an der
EU-Operation „Atalanta“ beteiligen soll. Mit der Operation „Atalanta“ werden am Horn von Afrika im Indischen Ozean Piraten bekämpft. Bundesrat Maurer sprach sich an der Versammlung gegen den sicherheitspolitischen Grundsatz „Sicherheit durch Kooperation“ aus. Kooperation bringe unweigerlich Abhängigkeit mit sich, was der staatlichen Souveränität schade
[31].
Am 22. August fand eine Delegiertenversammlung der SVP in Chur (GR) statt. An dieser sprachen sich die Delegierten mit 358 zu 28 Stimmen bei einigen Enthaltungen für die Lancierung einer
Volksinitiative für die Volkswahl des Bundesrates aus. Die Zürcher SVP hatte bereits einen Initiativtext formuliert. In diesem wird von einem einzigen Wahlkreis für die ganze Schweiz ausgegangen. Die Wahl soll gemäss diesem Vorschlag nach dem Majorzverfahren stattfinden und zwei Sitze sollen für die lateinische Schweiz reserviert sein. Der Entscheid über das zu wählende Wahlverfahren wurde jedoch verschoben, da es in der Partei auch Anhänger des Proporzverfahrens gab, welches die Wahlchancen der SVP bei einer Volkswahl des Bundesrates erhöhen würde. Die SVP hatte eine Initiative zur Volkswahl des Bundesrates bereits früher beschlossen, sie aber nie lanciert
[32].
Die Volksinitiative für eine Volkswahl des Bundesrates war dann erneut Thema an der Delegiertenversammlung der SVP in Genf im Oktober. Die SVP-Delegierten entschieden sich mit 217 zu 97 Stimmen für das Majorzsystem mit zwei garantierten Sitzen für die französisch- und italienischsprachige Schweiz. Die Befürworter des Proporzsystems hatten argumentiert, dass der Proporz der Konkordanz besser entsprechen würde. Es wurde jedoch davon ausgegangen, dass das Majorzverfahren in der Abstimmung über die Initiative bessere Chancen haben dürfte, weil es das übliche System für die Wahl von Regierungen ist. An der Delegiertenversammlung wurde auch die
Ja-Parole zur Anti-Minarett-Initiative beschlossen, dies deutlich mit 288 zu 3 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Verschiedene Votanten sahen im Minarettbau ein Zeichen einer „Islamisierung“ der Schweiz. Zudem repräsentierten Minarette einen islamischen Machtanspruch. Der SVP-Zentralvorstand beschloss weitere Parolen: Die GSoA-Initiative für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten lehnte er einstimmig ab. Zur Vorlage „Spezialfinanzierung Luftverkehr“ wurde dagegen die Ja-Parole beschlossen
[33].
Ende Oktober führte die SVP einen
Sonderparteitag zum Thema Landwirtschaftspolitik in Wauwil (LU) durch. Die SVP stellte sich klar gegen jegliche Reformen, welche die schweizerische Landwirtschaft dem internationalen Wettbewerb aussetzen würden. So richtete sie sich etwa gegen ein Abkommen zum Agrarfreihandel mit der EU – die Verhandlungen hierzu sollen nach Ansicht der SVP abgebrochen werden. Zudem forderte die SVP, dass bei den WTO-Verhandlungen das Thema Landwirtschaft ausgeklammert werden müsse. In einer Resolution berief sich die SVP auf die Idee der „Ernährungssouveränität“, um ihre protektionistische Politik zu begründen: Die Schweiz müsse souverän und unabhängig bleiben, dazu sei eine eigenständige Versorgung mit Nahrungsmitteln notwendig
[34].
Anfang Dezember fand eine ausserordentliche Delegiertenversammlung der SVP in Pfäffikon (SZ) statt, an der die Lancierung einer
„Familieninitiative“ beschlossen wurde. Mit dieser Volksinitiative fordert die SVP, dass Eltern, die ihre Kinder selber betreuen, ein mindestens so hoher Steuerabzug gewährt wird wie Eltern, die ihre Kinder familienextern betreuen lassen. Es soll mit anderen Worten ein „Eigenbetreuungsabzug“ im Steuerharmonisierungsgesetz eingeführt werden. Die Initiative stellt eine Reaktion auf den Entscheid des Parlaments in der Herbstsession dar, einen Fremdbetreuungsabzug in der Höhe von maximal 10 000 Fr. einzuführen. Die SVP sieht darin eine Diskriminierung von Frauen, die ihre Kinder selber betreuen
[35].
[26]
NZZ und
TA, 31.1.09.
[29]
AZ, 28.3.09;
NZZ, 30.3.09.
[32]
NZZ, 24.8.09. Siehe
SPJ 2000, S, 34.
[33]
NZZ, 5.-6.10.09. Die SVP lancierte die Initiative für eine Volkswahl des Bundesrates anfangs 2010.
[35]
NZZ, SN und
TA, 7.12.09. Die Unterschriftensammlung begann anfangs 2010.
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