Année politique Suisse 2009 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Parlament
Die Mehrheit der Fraktionspräsidenten hatte beim Büro des Nationalrats eine
Erhöhung der Bundesbeiträge an die Fraktionssekretariate angeregt. Das Büro stimmte im Mai diesem Gesuch zu und beantragte, im Einvernehmen mit dem Büro des Ständerats, mit einer parlamentarischen Initiative die Erhöhung des Grundbeitrags von 94 500 auf 112 000 Fr. pro Fraktion und des Beitrags je Fraktionsmitglied von 17 500 auf 20 800 Fr. Die Gesamtkosten dieser Besserstellung würden gut 900 000 Fr. betragen. Neu sollen zudem die Fraktionen der Verwaltungsdelegation des Parlaments jährlich Rechenschaft über die Verwendung dieser zweckgebundenen Gelder ablegen müssen. Als Hauptgründe für die bessere Entschädigung nannte das Büro die grössere Komplexität der Gesetzgebungsarbeit, die vom Bundesrat und auch von der Öffentlichkeit geforderte raschere parlamentarische Behandlung der Geschäfte und die gesteigerten Anforderungen der Medien an die Fraktionen und die Parlamentarier. Der Nationalrat trat in der Herbstsession gegen den Widerstand der SVP auf die Vorlage ein und hiess sie gut. Allerdings bewilligte er, ohne es zu merken, nicht die vom Büro beantragten Beträge, sondern Zahlen, welche irrtümlicherweise auf der Fahne standen: Einen Grundbeitrag von 144 500 Fr. und eine Zahlung pro Fraktionsmitglied von 20 000 Fr. Der Ständerat korrigierte dies nicht, sondern übernahm auf Antrag seines Büros, das fand, die Fraktionssekretariate müssten wesentlich stärker unterstützt werden, diesen höheren Grundbeitrag. Er beschloss zudem, den Mitgliedsbetrag im selben Verhältnis dazu zu belassen wie vorher, was eine Heraufsetzung auf 26 000 Fr. bedeutete. Insgesamt kostete damit die Erhöhung nicht 915 000 sondern fast 2,6 Mio Fr. Gegen den Widerstand der SVP und der FDP schloss sich der Nationalrat diesem grosszügigen Entscheid an
[17].
Die Beratung von
Motionen und
Postulaten wird im Nationalrat oft verschoben, weil sie von einem Ratsmitglied bekämpft werden, und sie fallen dann später aus den Traktanden, weil die
Frist für ihre Behandlung abgelaufen ist. Norbert Hochreutener (cvp, BE) verlangte, wenigstens denjenigen Vorstössen, die vom Bundesrat unterstützt werden, eine gewisse Vorzugsbehandlung einräumen und damit zu verhindern, dass ihre Behandlung von einem einzigen Ratsmitglied verzögert und schlussendlich verhindert werden kann. Wie das geschehen soll, führte er in seiner in der Herbstsession von der grossen Kammer überwiesenen Motion nicht aus
[18].
Einen Teilerfolg konnte Nationalrat Freysinger (svp, VS) mit seinem Vorstoss für mehr Transparenz über die
Interessenbindungen der Parlamentarier verbuchen. Seine parlamentarische Initiative verlangte, dass in der bereits vorhandenen öffentlichen Liste der Interessenbindungen auch die jährlichen Einkünfte deklariert werden, die sich aus Mandaten wie Vorstands- oder Verwaltungsratsmitgliedschaften ergeben. Der Nationalrat gab dieser von der SP, der GP und einer Mehrheit der SVP unterstützten Initiative mit 101 zu 69 Stimmen Folge. Im Ständerat, wo die Linke und die SVP schwächer vertreten sind, scheiterte sie jedoch mit 21 zu 13 Stimmen. Neu im Nationalrat eingereicht, aber im Berichtsjahr noch nicht behandelt wurden zwei Vorstösse von Graf-Litscher (sp, TG) und Reimann (svp, SG) für die Schaffung eines Registers aller im Bundeshaus aktiven
Lobbyisten [19].
Die Untersuchung der GPK und einer ihrer Subkommissionen über die Hintergründe der Entlassung von Bundesanwalt Roschacher beschäftigte das Parlament weiterhin. Konkret ging es um die Aufhebung der strafrechtlichen Immunität von Parlamentsmitgliedern. Auf Antrag seiner Rechtskommission hielt der Nationalrat mit 96 zu 75 Stimmen daran fest, die
Immunität des SVP-Nationalrats Brunner (SG) aufzuheben. Gemäss der Kommissionsmehrheit handelte es sich bei der Tat Brunners um einen derart schweren Fall der Verletzung der Kommissionsvertraulichkeit, dass sie nicht nur disziplinarisch, sondern auch strafrechtlich geahndet werden soll. Die kleine Kammer bestätigte aber ihren Entscheid aus dem Vorjahr, Brunners Immunität nicht aufzuheben und legte damit das Geschäft ad acta. Alt-Bundesrat Blocher (svp, ZH) und Nationalrat Mörgeli (svp, ZH) ihrerseits hatten Strafanzeige gegen die damaligen Sprecher der Subkommission der GPK, die Nationalräte
Lucrezia Meier-Schatz (cvp, SG) und
Glasson (fdp, FR) und Angestellte der Bundesanwaltschaft eingereicht. Die Mehrheit der Rechtskommission des Nationalrats gelangte zum Schluss, dass kein Fall von Amtsgeheimnisverletzung vorliege und die Immunität nicht aufzuheben sei. Nach einer sehr animierten Diskussion, in welcher die SVP ihre Vorwürfe wiederholte, GPK-Mitglieder hätten zusammen mit Angestellten der Bundesanwaltschaft gegen Blocher komplottiert, trat das Plenum auf das Gesuch um Immunitätsaufhebung nicht ein; nach der Abstimmung verliess die SVP-Fraktion unter Protest den Saal. Im Ständerat hatte die Mehrheit der Rechtskommission beantragt, auf das Gesuch einzutreten und die Immunität nicht aufzuheben. Der Rat selbst folgte aber einem Minderheitsantrag Marty (fdp, TI), auf das Gesuch gar nicht einzutreten, weil auch eine an einer Medienorientierung im Auftrag einer Parlamentskommission gemachte Äusserung unter die absolute Immunität fallen müsse. Die im Parlamentsgesetz in diesem Zusammenhang enthaltene Bezeichnung „in den Räten und deren Organen“ gemachte Aussagen, sei deshalb sinngemäss und nicht wortwörtlich auszulegen
[20].
[17]
BBl, 2009, S. 6197 ff. und 6205 f.;
AB NR, 2009, S. 1639 ff., 1960 f. und 2355;
AB SR, 2009, S. 1017 ff. und 1313;
TA, 29.5.09;
Bund, 22.9.09;
NZZ, 18.11.09.
[18]
AB NR, 2009, S. 1798;
SGT, 16.3.09.
[19] Mo. Freysinger:
AB NR, 2009, S. 295 ff.;
AB SR, 2009, S. 388 f. Pa. Iv. 09.286 (Litscher-Graf) und Mo. 09.3835 (Reimann):
TA, 26.9.09.
[20]
AB NR, 2009, S. 422 ff. (Brunner) sowie 429 ff. und 564 ff. (Meier-Schatz und Glasson);
AB SR, 2009, S. 637 (Brunner) und 638 f. (Meier-Schatz und Glasson);
SGT, 13.1. und 16.1.09;
NZZ, 11.6.09. Siehe
SPJ 2007, S. 38 f. und
2008, S. 38 f. Zu Blochers Klagen gegen GPK-Mitglieder siehe auch den Jahresbericht 2008 der GPK in
BBl, 2009, S. 2575 ff. Die Klagen gegen die Mitarbeiter der Bundesanwaltschaft wurden vom zuständigen Staatsanwalt nicht weiter verfolgt und eine Beschwerde Blochers gegen diesen Einstellungsentscheid vom Bundesstrafgericht abgelehnt:
NZZ, 16.5.09;
NLZ und
NZZ, 12.11.09.
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