Année politique Suisse 2009 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik / Konjunkturlage und -politik
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Konjunkturpolitik
Die Wirtschaftskrise und die damit verbundene Deflationsgefahr veranlasste die Nationalbank, an ihrer sehr expansiven Geldpolitik festzuhalten. Sie senkte im März das Zielband für den Dreimonats-Libor noch einmal auf einen Richtwert von 0,0–0,75%. Darüber hinaus führte sie zugunsten der Exportindustrie und des Tourismus auch Interventionen am Devisenmarkt aus, um einen weiteren Anstieg des Frankenkurses zu verhindern.
Der Frankenkurs blieb 2009 gegenüber dem Euro relativ stabil und bewegte sich um rund 1.52; er nahm aber in Bezug auf den US-Dollar weiter zu. Im Dezember war ein Dollar noch 1.03 Fr. wert. Der exportgewichtete Aussenwert des Frankens stieg weiter an. Bis zum Jahresende betrug der Anstieg real 3,2% [3].
Wie bereits 2008 angekündigt, beantragte der Bundesrat anfangs Jahr dem Parlament ein zweites Programm zur Stützung der Konjunktur. In einem Nachtrag zum Voranschlag 2009 nutzte er den im Rahmen der Schuldenbremse verbliebenen finanzpolitischen Spielraum von rund 700 Mio Fr. aus. Der grösste Teil dieser Mittel (rund 390 Mio Fr.) sollten dem Ausbau und Unterhalt der Strassen- und Bahninfrastruktur dienen; rund 100 Mio Fr. waren für Projekte der neuen Regionalpolitik vorgesehen und weitere 50 Mio Fr. für die Förderung der Forschung und Entwicklung. Zusätzlich gefördert werden sollten auch energiepolitisch motivierte Projekte. Zusätzlich schlug der Bundesrat eine vorübergehende Flexibilisierung der Leistungen der Exportrisikogarantie und der Wohneigentumsförderung vor. So soll bei der Wohnbauförderung auf die Rückzahlung von Krediten teilweise verzichtet werden, wenn diese Mittel für energietechnische Sanierungen verwendet werden. In eigener Kompetenz beschloss die Regierung zudem die Verlängerung der Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung von 12 auf 18 Monate [4].
Im Nationalrat, der die Gelegenheit zu einer grossen wirtschaftspolitischen Debatte nutzte, sprach sich die SVP grundsätzlich gegen das Programm aus, obwohl ihre Vertreter in der vorberatenden Kommission keine entsprechenden Einwände formuliert hatten. Solche Programme würden nur den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft stärken und die Staatsausgaben erhöhen. Akzeptabel sei nach Ansicht der SVP einzig eine Förderung des Strassenbaus sowie Steuersenkungen für Unternehmen und Familien. Ihr von Zuppiger (svp, ZH) gestellter Rückweisungsantrag wurde mit 136 zu 42 abgelehnt. Ebenso wenig Erfolg hatte der SVP-Antrag, auf die Veränderungen beim Wohneigentumsförderungsgesetz zu verzichten. Der Ständerat führte ebenfalls eine ausgiebige Debatte über die Wirtschaftslage und über eine sinnvolle Konjunkturpolitik durch, wobei das Paket nicht in Frage gestellt wurde. Die Forderung der Grünen nach einem wesentlich umfangreicheren Konjunkturförderungsprogramm im Umfang von 8 bis 10 Mia Fr., wovon ein Drittel schon im Jahr 2009 auszugeben wäre, lehnte der Nationalrat mit 132 zu 62 Stimmen ab. Keine Chance hatte auch eine Motion Leutenegger (sp, BL), welche für 2009 Förderungsmassnahmen des Bundes von 6 Mia Fr. verlangte [5].
Nachdem sich die Rezession bis zum Sommer weiter verstärkt hatte, schlug der Bundesrat dem Parlament im August vor, auch noch das im Ende 2008 in Aussicht gestellte dritte Programm zur Stabilisierung der Konjunktur in Kraft zu setzen. Mit diesem rund 400 Mio Fr. kostenden Programm sollten zusätzliche befristete Finanzhilfen für Massnahmen in den Bereichen Arbeitsmarkt, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Wirtschaftswerbung im Ausland zur Verfügung gestellt werden. Auf dem Arbeitsmarkt gelte es insbesondere, die Instrumente der Arbeitslosenversicherung zu ergänzen, um die erwartete besonders starke Zunahme von Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Ausgebaut werden sollen dabei insbesondere die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für stellenlose Jugendliche und für Kurzarbeitende. Finanziell massiv ins Gewicht fiel mit rund 240 Mio Fr. der Vorschlag, für rund 8000 Langzeitarbeitslose, die ausgesteuert sind oder kurz davor stehen (Personen, die seit mindestens einem Jahr ohne Stelle sind), während maximal sechs Monaten die Lohnkosten für die Beschäftigung bei einer gemeinnützigen Organisation zu übernehmen. Zu den Massnahmen im Technologiebereich gehörte vor allem die Unterstützung der Weiterentwicklung der digitalen Signatur zu einer allgemein akzeptierten Karte (Swiss ID) als Mittel zur sicheren Authentifizierung im elektronischen Geschäfts- und Behördenverkehr [6].
Das Parlament hiess die Massnahmen in der Herbstsession nach einer langen Auseinandersetzung gut. Der Ständerat lehnte zuerst einen Nichteintretensantrag von Germann (svp, SH) und Schweiger (fdp, ZG) mit 25 zu 6 Stimmen ab. Diese begrüssten zwar grundsätzlich die primär arbeitsmarktbezogenen Vorschläge des Bundesrates, lehnten das Paket aber aus finanzpolitischen Überlegungen ab. In der Detailberatung schwächte der Rat den bundesrätlichen Vorschlag ab, die Löhne für einige tausend ausgesteuerte Langzeitarbeitslose für eine Beschäftigung in nicht profitorientierten gemeinnützigen Unternehmen für eine Dauer von sechs Monaten vom Bund zu bezahlen. Die Lohnkosten sollen gemäss dem Entscheid der kleinen Kammer diesen Organisationen nur teilweise, d.h. mit maximal 3000 Fr. pro Monat vergütet werden. Ein Antrag Hess (fdp, OW), darauf ganz zu verzichten, lehnte der Ständerat mit 24 zu 12 Stimmen ab. Keine Gnade fand hingegen die vom Bundesrat beantragte Anschubfinanzierung von rund 25 Mio Fr. zugunsten der Akzeptanz und Verwendung einer Ausweiskarte mit der elektronischen Signatur. Mehrere Votanten kritisierten, dass dieses Konzept noch unausgegoren sei und nicht klar sei, wofür die finanziellen Mittel verwendet werden sollen. Mit 22 zu 15 Stimmen wurde auf Antrag Gutzwiller (fdp, ZH) dieser Beitrag gestrichen.
Auch im Nationalrat beantragte eine aus Mitgliedern der SVP und der FDP gebildete Kommissionsminderheit Nichteintreten. Die FDP, die SVP und die BDP waren zwar nicht gegen alle Komponenten des Stabilisierungsprogramms, sie erachteten aber die Mehrzahl der im Bereich Arbeitsmarkt vorgesehenen Massnahmen (insbesondere das Beschäftigungsprogramm für Ausgesteuerte) als wenig sinnvoll. Zudem waren sie gegen ein drittes Paket zum aktuellen Zeitpunkt, weil sie in den Statistiken bereits erste Anzeichen einer Wirtschaftserholung zu erkennen glaubten. Ihr Nichteintretensantrag unterlag mit 93 zu 91 Stimmen äusserst knapp; den Ausschlag gegeben hatte die fast geschlossene Unterstützung des Programms durch die CVP, welche ihre Bundesrätin Leuthard nicht im Regen stehen lassen wollte. In der Detailberatung wurden die zusätzlichen Ausgaben für die Aus- und Weiterbildung von Personen mit frisch abgeschlossener Lehre zwar gutgeheissen, scheiterten aber an der Ausgabenbremse, welche eine Zustimmung durch die Mehrheit aller Ratsmitglieder fordert. Die Idee, dass der Bund für einige Zeit die Löhne für einige tausend ausgesteuerte Langzeitarbeitslose für eine Beschäftigung bei gemeinnützigen Unternehmen bezahlt, lehnte der Rat auf Antrag von Spuhler (svp, TG) mit 94 zu 90 Stimmen ab. Für die finanzielle Unterstützung von Betrieben, die stellenlose Lehrabsolventen weiter beschäftigen, ergab sich im Nationalrat eine hauchdünne Mehrheit. Grosszügiger als der Ständerat zeigte er sich hingegen bei der Förderung der digitalen Unterschrift; er nahm diese wieder in das Programm auf. Nachdem der Rat eine ganze Reihe von Anträgen der SP und der GP für zusätzliche Massnahmen abgelehnt hatte, hiess er das dritte Konjunkturförderungsprogramm mit 94 zu 87 Stimmen gut.
In der Differenzbereinigung hielt der Ständerat mit deutlicher Mehrheit am Lohnzahlungsprogramm für Langzeitarbeitslose fest. Mit knappem Mehr war er nun auch mit dem Beitrag zur Förderung der Verbreitung der digitalen Unterschrift einverstanden. Im Nationalrat wurden die zusätzlichen Ausgaben für die Aus- und Weiterbildung von Personen mit neu abgeschlossener Lehre nochmals gutgeheissen, scheiterten aber erneut an der Ausgabenbremse. Die Lohnübernahme für die befristete Beschäftigung von Ausgesteuerten fand diesmal eine knappe Mehrheit, vermochte aber das qualifizierte Mehr für die Überwindung der Ausgabenbremse ebenfalls nicht zu schaffen. An dieser Hürde scheiterte auch die Finanzierung von Weiterbildungskosten für Personen, die in Betrieben mit Kurzarbeit beschäftigt sind. Nachdem die kleine Kammer ihre Beschlüsse nochmals bestätigt hatte, wiederholte sich die Prozedur im Nationalrat: Er hiess sämtliche Projekte ebenfalls gut, da die befürwortende, aus SP, CVP und GP gebildete Mehrheit aber weniger als 101 Stimmen zählte, scheiterten sie aber alle an der Ausgabenbremse. Die Einigungskonferenz beschloss, an der Finanzierung der Aus- und Weiterbildung von Lehrabsolventen sowie von Kurzarbeitenden festzuhalten. Bei den Beschäftigungsprogrammen für Ausgesteuerte bei gemeinnützigen Organisationen fand sie eine Kompromissformel, welche dem Bundesrat die Kompetenz erteilt, diese einzuführen, wenn die nationale Arbeitslosenrate 5% erreicht. Diese Lösung veranlasste drei Abgeordnete der BDP und zwei der FDP zu Umschwenken, wodurch das qualifizierte Mehr für die Überwindung der Ausgabenbremse im Nationalrat mit 103 Stimmen erreicht wurde. Die kleine Kammer schloss sich diesem Entscheid an und beide Ratskammern stimmten auch der dringlichen Inkraftsetzung zu [7].
In der Herbstsession führte der Nationalrat im Rahmen einer Sondersession nochmals eine grosse Debatte über die Konjunkturpolitik durch. Er überwies dabei eine vom Ständerat bereits im Sommer gutgeheissene Motion David (cvp, SG) vom Dezember 2008, welche eine ganze Reihe von Massnahmen aus verschiedenen Bereichen enthält, von denen die Regierung viele mit den drei Konjunkturstabilisierungsprogrammen bereits vorgeschlagen oder in eigener Kompetenz ergriffen hatte. Der Gewerkschaftsbund, der während des ganzen Jahres viel umfassendere Konjunkturförderungsprogramme gefordert hatte, führte im September in Bern eine Protestkundgebung mit rund 25 000 Teilnehmenden für eine aktivere staatliche Wirtschaftspolitik durch [8].
 
[3] Schweizerische Nationalbank, 102. Geschäftsbericht 2009, Bern 2010, S. 30 f.
[4] BBl, 2009, S. 1043 (die eigentliche Botschaft wurde nicht im Bundesblatt, sondern auf der Internetseite des EFD publiziert); Presse vom 12.2.09. In der Frühjahrssession verabschiedete der NR eine damit erfüllte Motion Favre (fdp, VD) für zusätzliche Mittel zugunsten der Regionalpolitik und eine Motion der CVP mit einem Aktionskatalog, der sich zu einem guten Teil mit den vom BR vorgeschlagenen Massnahmen deckte, und der auch vom SR teilweise überwiesen wurde (AB NR, 2009, S. 230; AB SR, 2009, S. 1171 f.). Der SR hiess ein Postulat der WBK für zusätzliche Forschungsmittel im Rahmen des Nationalfonds und der KTI gut (AB SR, 2009, S. 201).
[5] AB NR, 2009, S. 172 ff., 380 f. und 598; AB SR, 2009, S. 127 ff., 232 und 283; AB NR, 2009, S. 228 (Motion Grüne) und 234 (Motion Leutenegger).
[6] BBl, 2009, S. 5735 ff.; Presse vom 18.6.09.
[7] AB SR, 2009, S. 833 ff., 908 ff., 955 ff., 977 f., 988 und 1004; AB NR, 2009, S. 1488 ff., 1680 ff., 1731 ff., 1767 ff., 1780 f. und 1828.; BBl, 2009, S. 6679.
[8] Sondersession: AB NR, 2009, S. 1526 ff. Motion David: AB SR, 2009, S. 170 ff.; AB NR, 2009, S. 1545. Im Anschluss an diese Debatte behandelte der NR eine Reihe von Vorstössen, die vom BR Massnahmen in unterschiedlichen Bereichen forderten. Die meisten wurden abgelehnt; Zustimmung fand u.a. eine sehr unspezifische Motion Chevrier (cvp, VS) für die Förderung privater Investitionen. SGB: NZZ und SGT, 21.9.09.