Année politique Suisse 2009 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Bodenrecht
Der Nationalrat lehnte in der Sommersession die
Volksinitiative von Helvetia Nostra
(„Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen“), welche den Anteil von Zweitwohnungen am Gesamtbestand der Wohneinheiten und der gesamten Bruttogeschossfläche einer Gemeinde auf maximal 20% beschränken möchte, ohne Gegenvorschlag deutlich ab und folgte somit dem Antrag des Bundesrates. Der Nationalrat erachtete die Bestimmungen für zu starr und sah mit der Initiative weder wirtschaftliche noch regionalpolitische Interessen berücksichtigt. Da er die Stabilisierung des Zweitwohnungsbestandes grundsätzlich als nicht praktikabel erachtete, sprach er sich auch gegen einen Gegenvorschlag aus. Für ein etwas anderes Vorgehen entschied sich die ständerätliche Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK-SR). Sie wünschte einen konkreteren Gegenvorschlag und verwies in diesem Zusammenhang auf die im Nationalrat hängige Vorlage zu den flankierenden Massnahmen zur Aufhebung des BewG. Mit diesem Vorschlag könnten die Kantone verpflichtet werden, den Anteil an Zweitwohnungen über die Richtpläne entsprechend einzuschränken. Die UREK des Nationalrates folgte diesem Begehren und der Nationalrat behandelte dieses Geschäft als Erstrat bereits in der Wintersession
[9].
Unverändert gut hiess der Nationalrat den vom Bundesrat geäusserten Vorschlag, dass
Kantone Gebiete festzulegen haben, wo besondere Massnahmen ergriffen werden müssen, damit ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Erst- und Zweitwohnungen sichergestellt werden kann. Minderheitsvorschläge von der SP und den Grünen, welche die Festlegung von Kontingenten für Zweitwohnungen verlangten oder diese zumindest explizit erwähnen wollten, unterlagen deutlich. Die Vorlage zu den flankierenden Massnahmen zur Aufhebung der Lex Koller enthält keine quantitativen oder qualitativen Vorgaben, wie betroffene Gebiete und geeignete Massnahmen zu bestimmen sind. Dies war bereits im Vorjahr von der UREK-NR bemängelt worden, jedoch konnte keine Einigung erzielt werden, wie der Vorschlag konkretisiert werden könnte. Kurzfristig eingebracht und von einer Mehrheit der Kommission unterstützt wurde ein Antrag zur Lockerung der Bestimmungen für Wohnbauten ausserhalb der Bauzonen. Obwohl dieses Anliegen die Zweitwohnungsproblematik nicht betraf, fand es mit 117 zu 67 Stimmen auf bürgerlicher Seite eine deutliche Mehrheit im Nationalrat
[10].
In der Zwischenzeit hatte das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) bereits einen Entwurf einer
Planungshilfe für die kantonale Richtplanung zur Regulierung des Zweitwohnungsbestandes erarbeitet, welcher Ende April den zuständigen kantonalen Departementen sowie verschiedenen Interessenverbänden und einigen Bundesstellen zur Anhörung unterbreitet wurde. Ausdrücklich oder zumindest grundsätzlich begrüsst wurde ein solches Instrument von Natur- und Umweltorganisationen, den konsultierten Bundesämtern, von einigen Kantonen sowie von Fachverbänden und -gremien, darunter auch die Schweizerische Vereinigung für Landesplanung. Neben economiesuisse, dem Hauseigentümerverband und anderen Verbänden waren insbesondere die Tourismuskantone Graubünden und Wallis sowie der Tourismusort Davos der Meinung, dass es nicht in der Kompetenz des Bundes liege, Mindestanforderungen an die Richtplanung der Kantone zu stellen, und dass dazu zuerst die im Parlament hängige Gesetzesvorlage zu Ende beraten werden müsse (siehe oben). Im Gegensatz dazu forderten Umwelt- und Naturschutzorganisationen verbindlichere Vorgaben oder Richtwerte und verlangten Sanktionen bei Nichtbeachtung der Vorschriften. Des Weiteren beurteilten viele Parteien die Zweitwohnungsstatistik des BfS als ungenügend und veraltet, was einer allfälligen Festlegung eines Schwellenwertes für Zweitwohnungen im Wege stehen würde. Das ARE entschloss sich daraufhin, die Planungshilfe unter erneutem Beiziehen der betroffenen Kantone, Bundesstellen und Tourismusorganisationen zu Beginn des kommenden Jahres zu überarbeiten
[11].
Im November beschloss der Regierungsrat des Kantons
Graubünden einen
kantonalen Richtplan zur Lenkung des Zweitwohnungsbestandes. Der Kanton verlangte von 35 stark betroffenen Gemeinden das Ergreifen von raumplanerischen Massnahmen und definierte dabei erstmals verbindliche konkrete Vorgaben. Neu dürfen bei Neueinzonungen nur noch 30% der Bruttogeschossfläche für Zweitwohnungen ausgeschieden werden und innerhalb bestehender Bauzonen soll der Zweitwohnungsbau auf 30 bis 50% des bisherigen Volumens herabgesetzt werden. Von der Regelung nicht betroffen sind „warme Betten“, welche im Gegensatz zu „kalten Betten“ mehr als nur wenige Wochen pro Jahr belegt sind
[12].
Im Rahmen seines indirekten Gegenvorschlages zur Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“ schlug der Bundesrat im Gegenzug zur Abschaffung des Eigenmietwertes eine Sondersteuer für Zweitwohnungen vor (siehe unten, Wohnungsbau und -eigentum).
[9]
AB NR, 2009, S. 1022 ff. und 1035 ff.;
NZZ, 15.9.09. Vgl.
SPJ 2008, S. 175 f. Zur gleichzeitig eingereichten Volksinitiative gegen den Bau von umweltbelastenden Anlagen vgl. unten, Teil I, 6d (Protection des sites et de la nature).
[10]
AB NR, 2009, S. 2316 ff.;
NZZ, 12.12.09. Vgl. Antworten BR zu Int. Abate (fdp, TI) (
AB NR, 2009, VI, Beilage, S. 238 ff.) und Mo. Hiltpold (fdp, GE) (Mo. 09.4069). Vgl.
SPJ 2008, S. 175.
[12]
NZZ, 13.11.09. Ende 2009 stand die Genehmigung des Richtplanes durch den BR noch aus.
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