Année politique Suisse 2009 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport / Gesundheitspolitik
Auch in diesem Jahr sorgte der
Mangel an Ärzten und Pflegepersonal für einige Vorstösse im Parlament. So forderte beispielsweise ein Postulat der SGK des Nationalrates den Bundesrat auf, zusammen mit den Kantonen einen Bericht darüber zu erstellen, wie die Aus- und Weiterbildung von Ärzten im Bereich der Hausarztmedizin verbessert werden kann, wie Randregionen für Hausärzte attraktiver gemacht werden können und wie sich die Honorierung der Allgemeinpraktiker entwickelt hat. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulates, da ein identisches Begehren von der Kommission des Ständerates angenommen worden war. Auch der Nationalrat folgte dieser Empfehlung. Der Ständerat überwies die im Vorjahr vom Nationalrat gutgeheissene Motion Jacqueline Fehr (sp, ZH) ebenfalls
[26].
Eine Motion Forster-Vannini (fdp, SG), welche den Bundesrat aufforderte, den
Zulassungsstopp für Ärzte durch neue freiheitliche Versicherungsformen abzulösen, lehnte der Ständerat mit 10 zu 17 Stimmen ab. Zudem forderte die Motion, dass neue Voraussetzungen für die Anwendung einer optimalen Medizin durch eine Anpassung des Risikoausgleichs geschaffen werden. Der Bundesrat hatte die Ablehnung der Motion beantragt, sicherte der Motionärin aber zu, die Anliegen in die SGK einzubringen. Ebenfalls abgelehnt wurde eine Motion Fetz (sp, BS), welche den Bundesrat beauftragen wollte, dem Parlament möglichst rasch den Entwurf zu einem Erlass über Massnahmen bei ärztlicher Unter- oder Überversorgung vorzulegen. Ohne Gesetzesänderung würde Ende 2009 der befristete Zulassungsstopp für Ärztinnen und Ärzte auslaufen. Damit verbunden waren Befürchtungen, dass in ländlichen Gebieten das medizinische Angebot sinken und in den Zentren durch die Ausweitung des Angebots überproportional und kostenintensiv steigen würde. Auch hier wandte der Bundesrat ein, dass in der SGK des Nationalrates eine entsprechende Vorlage hängig sei und er es nicht als opportun erachte, eine neue Vorlage auszuarbeiten und damit die laufenden Beratungen infrage zu stellen
[27].
Eine parlamentarische Initiative der Kommission des Nationalrates brachte einmal mehr die Frage des
Zulassungsstopps für die Leistungserbringer in den Ständerat ein. Da sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnete, dass bis zum Ablauf der Frist am 31. Dezember eine nahtlose Ablösung der im Vorjahr getroffenen Massnahmen durch eine definitive Nachfolgeregelung immer noch nicht möglich sein würde, musste erneut über eine Übergangslösung diskutiert werden. Diese sah nun im Grundsatz vor, dass der Bundesrat die Zulassung von selbständigen und unselbständigen Leistungserbringern sowie die Tätigkeit von Ärzten in Einrichtungen und im ambulanten Bereich von Spitälern für eine befristete Zeit von einem Bedürfnis abhängig machen kann. Die neue Übergangslösung soll bis am 31. Dezember 2011 gelten und den Geltungsbereich der bedarfsabhängigen Zulassung auf Spezialärzte sowie auf Apotheker beschränken
[28].
Im
Nationalrat war das Eintreten auf die Vorlage umstritten. Eine Kommissionsminderheit Scherer (svp, ZG) beantragte, nicht auf die Vorlage einzutreten und warb für mehr Wettbewerb und eine wirtschaftlich orientierte medizinische Versorgung. Bundesrat Couchepin unterstützte die von der Kommission vorgeschlagene Übergangslösung und widersprach der Behauptung, es gäbe in der Schweiz eine Ärzteknappheit. Es hätte im Gegenteil zu viele Ärzte, diese seien aber regional schlecht verteilt und das Verhältnis zwischen Hausärzten und Spezialisten stimme nicht. Der Nationalrat stimmte knapp, mit 81 zu 65 Stimmen für das Eintreten auf die Vorlage. Die grosse Kammer übernahm des Weiteren einen präzisierenden Antrag Cassis (plr, TI), der verhinderte, dass Fachärzte mit dem Gebrauch des Weiterbildungstitels „praktischer Arzt“ den Zulassungsstopp umgehen können. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 95 zu 55 Stimmen angenommen
[29].
Im
Ständerat wurde das Eintreten auf die Vorlage mit wenig Begeisterung mit 25 zu 9 Stimmen beschlossen. Die Minderheit monierte, dass die sogenannte Übergangslösung nun bald zehn Jahre dauerte und kaum Positives gebracht habe. Der Zulassungsstopp habe zusammen mit dem Numerus clausus für Medizinstudenten dazu geführt, dass sich nun eine Verknappung an praktizierenden Ärzten abzeichne. Ohne weitere Diskussionen stimmte der Ständerat den Änderungen des Nationalrates zu und nahm die parlamentarische Initiative in der Gesamtabstimmung mit 23 zu 8 Stimmen bei 3 Enthaltungen an. In der Schlussabstimmung stimmte der Nationalrat der Übergangsbestimmung mit 107 zu 74 Stimmen zu, der Ständerat tat dasselbe mit 37 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen
[30].
Laut einer Studie der Stiftung Careum bildet die Schweiz viel zu wenig Gesundheitsfachleute aus. Es müssten dreimal mehr sein, um den Bedarf bis ins Jahr 2030 zu decken. Die Schweiz müsste also in den nächsten 20 Jahren ebensoviele Arbeitskräfte ausbilden, wie heute in Spitälern, Heimen und bei der Spitex arbeiten, nämlich gegen 200 000. Dies einerseits, weil der Anteil der über 80-jährigen schneller anwächst und die Überalterung eine Erhöhung des Personalbestandes erfordert und andererseits, weil bis 2030 mindestens die Hälfte des Gesundheitspersonals, aufgrund von Pensionierungen ersetzt werden muss. Auch bei den Ärzten herrscht in den Spitälern ein Mangel. Diese forderten daher, dass die Schweiz die Ausbildung und Nachwuchsförderung von Ärzten intensivieren sowie den Wiedereinstieg verstärken soll. Eine Motion Heim (sp, SO) verlangte, dass
zusätzliche Ausbildungsplätze sowie Umschulungs- und Qualifikationsangebote im
Pflege- und Sozialbereich geschaffen werden, um den Mangel an qualifiziertem Pflege- und Betreuungspersonal in diesem Bereich auszugleichen. Der Bundesrat war sich der Problematik zwar bewusst, erachtete es aber als wichtig, festzuhalten, dass die Initiative grundsätzlich von allen beteiligten Partnern ergriffen werden könne. Er beantragte die Ablehnung der Motion. Dem folgte knapp, mit 87 zu 93 Stimmen, auch der Nationalrat
[31].
In eine andere Richtung zielte eine Motion der SP-Fraktion, welche für die Ärzte einen Anreiz schaffen wollte, um einem
Gesundheitsnetzwerk beizutreten. Dies sollte entweder damit erreicht werden, dass Mitglieder eines Netzwerkes ein höheres oder dass jene Ärzte, die keinem Gesundheitsnetzwerk angehören, ein tieferes Honorar erhalten. Der Bundesrat verwies auf die beiden Botschaften zur Vertragsfreiheit und zu Managed Care und beantragte daher die Motion zur Ablehnung. Dem folgte mit 99 zu 56 Stimmen auch der Nationalrat
[32].
Ein Postulat Cramer (gp, GE) beauftragte den Bundesrat, dem Parlament einen Bericht vorzulegen, in dem die
Stellung der Allgemeinmediziner und -medizinerinnen in der Schweiz, ihre Rolle im Gesundheitswesen und die Bedeutung einer angemessenen Entlohnung ihrer Leistungen, insbesondere der Laboranalysen, für sie selbst und für das Gesundheitssystem untersucht werden. Gegen den Willen des Bundesrates, welcher der Ansicht war, dass dem Anliegen des Postulates bereits hinreichend Rechnung getragen werde, wurde es im Ständerat mit 20 zu 3 Stimmen angenommen
[33].
[26]
AB NR, 2009, S. 573;
AB SR, 2009, S. 512 (Fehr). Siehe
SPJ 2008, S. 201 f.
[27]
AB SR, 2009, S. 245 ff. (Forster) und 249 f. (Fetz).
[29]
AB NR, 2009, S. 895 ff.
[30]
AB SR, 2009, S. 508 ff. und 735;
AB NR, 2009, S. 1313.
[31]
TA, 27.8.09; Presse vom 4.9.09;
AB NR, 2009, S. 1550.
[32]
AB NR, 2009, S. 1596 f.
[33]
AB SR, 2009, S. 524 f.
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