Année politique Suisse 2009 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen
 
Arbeitslosenversicherung
In der Sommersession befasste sich der Ständerat als Erstrat mit der Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Das Eintreten auf die Vorlage war unbestritten. Ein Minderheitsantrag Fetz (sp, BS), welcher den Beitragssatz auf 2,3 anstatt der vorgesehenen 2,2% anheben wollte, wurde mit 28 zu 8 Stimmen abgelehnt. In Bezug auf die Zumutbarkeit der Annahme von Arbeit wurde für Personen bis zum 30. Altersjahr eine Verschärfung vorgenommen. Bei der Erhöhung der Wartezeiten änderte der Ständerat die Vorlage des Bundesrates ab. Dabei beschloss er eine einkommensabhängig ausgestaltete Erhöhung der Wartezeiten für Personen ohne Unterhaltspflichten. Mehrere Minderheitsanträge der Linken hatten im Ständerat keine Chance. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage mit 30 zu 8 Stimmen angenommen [53].
In der vorberatenden Kommission des Nationalrates war die Vorlage in der Gesamtabstimmung abgelehnt worden. Diese beantragte daher das Nichteintreten. Der Rat lehnte dies ebenso ab wie Minderheitsanträge, welche die Vorlage wieder an den Bundesrat zurückschicken wollten. Angenommen wurde lediglich ein Ordnungsantrag, welcher forderte, die für die Revision zentralen Bestimmungen über Beitragsbemessung und Beitragssatz erst am Schluss, zusammen mit den, in den Übergangsbestimmungen vorgesehenen, kurzfristigen Sanierungsmassnahmen zu beraten. Mit 114 zu 65 Stimmen stimmte der Nationalrat dem Beschluss des Ständerates zu, dass arbeitslose Personen bis zum 30. Altersjahr auch Arbeiten annehmen müssen, die nicht auf die Fähigkeiten oder auf die bisherige Tätigkeit des Versicherten Rücksicht nehmen. In Bezug auf die Wartezeit für das erste Taggeld schloss sich der Nationalrat dem Ständerat an. Diese Wartezeiten wurden durch einen angenommenen Minderheitsantrag Spuhler (svp, TG) auf weitere Personengruppen ausgedehnt. Korrekturen nahm der Nationalrat auch bezüglich der Höhe und der Höchstzahl von Taggeldern vor. Der betrügerische Bezug von Taggeldern soll zudem mit einer Gefängnisstrafe von bis zu sechs Monaten bestraft werden können. Der Nationalrat machte auch Anpassungen auf der Einnahmeseite. Er folgte mit 120 zu 62 Stimmen der Kommissionsmehrheit und damit dem Stände- und Bundesrat und beantragte einen Beitragssatz von 2,2%. In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat die Vorlage mit 119 zu 61 Stimmen an. Die Opposition kam vor allem von der Linken [54].
Eine Motion der SVP forderte den Bundesrat dazu auf, eine Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes sowie anderer betroffener Gesetze vorzunehmen, mit dem Ziel, das sich abzeichnende Defizit in der Arbeitslosenversicherung abzuwenden, ohne die Beiträge der Arbeitslosenversicherung zu erhöhen und ohne die Wiedereinführung von Solidaritätsbeiträgen. Stattdessen seien Massnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs aufgrund der Personenfreizügigkeit und durch „Scheinbeschäftigungsmassnahmen“ der Kantone sowie eine Verlängerung der Mindestbeitragsdauer, eine Einführung von degressiven Arbeitslosenversicherungsleistungen für Jugendliche zu prüfen. Der Nationalrat folgte der Empfehlung des Bundesrates und lehnte die Motion mit 128 zu 60 Stimmen ab [55].
Eine weitere Motion der SVP forderte den Bundesrat auf, die Mindestbeitragsdauer im Arbeitslosenversicherungsgesetz von 12 auf 24 Monate zu erhöhen. Begründet wurde diese Forderung damit, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU Druck auf die Arbeitslosenversicherung ausübe. Der Bundesrat lehnte die Motion ab, unter anderem auch, weil eine Verlängerung der Beitragszeit alle Versicherten, unabhängig von ihrer Nationalität, belasten würde. Auch der Nationalrat teilte diese Meinung und lehnte die Motion mit 118 zu 68 Stimmen ab [56].
Ebenfalls erfolglos blieb eine Motion der GP, die den Bundesrat beauftragen wollte, das Arbeitslosenversicherungsgesetz so schnell wie möglich insofern anzupassen, dass wieder 520 Taggelder an alle Erwerbslosen ausbezahlt werden können. Argumentiert wurde damit, dass es nicht sein könne, dass zunehmend die Gemeinden über die Sozialhilfe für die Kosten der Arbeitslosigkeit aufkommen müssen. Der Bundesrat entgegnete, dass eine Verlängerung der Bezugsdauer sich kaum positiv auf die Wiedereingliederung von Stellensuchenden auswirken würde und beantragte daher die Ablehnung der Motion. Dem folgte auch der Nationalrat und lehnte die Motion mit 131 zu 63 Stimmen ab [57].
Eine Motion Robbiani (cvp, TI) ersuchte den Bundesrat, den Mindestansatz für die Bemessung des Taggeldes anzupassen. Der Grenzbetrag, unterhalb dessen Arbeitslose 80% des versicherten Verdienstes erhalten, war schon seit längerer Zeit unverändert und sollte mit dieser Motion angepasst werden. Auch der Bundesrat befürwortete eine solche Anpassung und sah eine Möglichkeit dazu in der laufenden Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Der Nationalrat teilte diese Auffassung jedoch nicht und lehnte die Motion mit 106 zu 80 Stimmen ab [58].
Auf den Bereich der Ausbildung von Arbeitslosen zielten zwei Motionen ab. Einerseits eine Motion Steiert (sp, FR), die den Bundesrat aufforderte, dem Parlament Vorschläge für eine Stärkung der im Arbeitslosenversicherungsgesetz vorgesehenen Massnahmen für Jugendliche ohne ausreichende Ausbildung zu unterbreiten und die finanziellen Aufwendungen in diesem Bereich zu erhöhen. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion. Dem folgte auch der Nationalrat mit 126 zu 64 Stimmen. Andererseits eine Motion Aubert (sp, VD), die forderte, dass arbeitslose Erwachsene über 25 Jahre, die keine Ausbildung auf der Sekundarstufe II absolviert haben, eine Ausbildung machen können und gleichzeitig Taggelder erhalten. Damit wurde ein Paradigmenwechsel im Sinne von „Erstausbildung vor beruflicher Eingliederung“ gefordert. Der Bundesrat wies in seiner Antwort auf bestehende Möglichkeiten hin und kam zum Schluss, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für diese Massnahme nicht zu restriktiv seien. Er beantragte die Ablehnung der Motion. Dem folgte auch der Nationalrat und lehnte die Motion mit 123 zu 66 Stimmen ab [59].
Eine Motion Ineichen (fdp, LU) wollte den Bundesrat beauftragen, dass künftig Stellensuchenden und Arbeitslosen das ganze Vermittlungs- und Beratungspotential der privaten Personaldienstleister eröffnet wird. Es sollen die notwendigen Mittel bereitgestellt werden, damit die regionalen Arbeitsvermittlungszentren mit den privaten Anbietern auf vertraglicher Ebene ein optimales Dienstleistungspaket für Stellensuchende und Arbeitslose sicherstellen können. Der Bundesrat war der Ansicht, dass die Zusammenarbeit zwischen privater und öffentlicher Arbeitsvermittlung als gut und marktgerecht bezeichnet werden kann und beantragte daher, die Motion abzulehnen. Der Nationalrat nahm die Motion mit 107 zu 78 Stimmen an, der Ständerat lehnte sie jedoch auf Antrag seiner Kommission ab [60].
 
[53] AB SR, 2009, S. 565 ff.
[54] AB NR, 2009, S. 2168 ff., 2184 ff., 2195 ff., 2205 ff. und 2225 ff. Siehe SPJ 2008, S. 225 f.
[55] AB NR, 2009, S. 218.
[56] AB NR, 2009, S. 219.
[57] AB NR, 2009, S. 231.
[58] AB NR, 2009, S. 1546.
[59] AB NR, 2009, S. 229 (Steiert); AB NR, 2009, S. 1552 (Aubert).
[60] AB NR, 2009, S. 225; AB SR, 2009, S. 583.