Année politique Suisse 2009 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen / Familienpolitik
Der Bundesrat schickte im Januar eine Vorlage in die Vernehmlassung, mit der das gemeinsame Sorgerecht sowohl für geschiedene als auch für unverheiratete Eltern zum Regelfall werden sollte. Der Entwurf sieht ferner die Möglichkeit vor, den obhutsberechtigten Elternteil zu bestrafen, wenn er das Besuchsrecht des anderen verhindert oder erschwert. Die Revision geht auf ein Postulat Wehrli (cvp, SZ) zurück, welches der Nationalrat im Herbst 2005 überwiesen hat BBl, 2009, S. 650; BaZ, LT und TA, 29.1.09. Vgl. SPJ 2005, S. 213..
Während die Vorschläge des Bundesrats von den grossen Parteien grundsätzlich begrüsst wurden, äusserte sich die Vernehmlassungskommission des Schweizerischen Anwaltsverbands kritisch zu den geplanten Änderungen. Sie bedauerte, dass nicht das Kindeswohl, sondern die rechtliche Gleichstellung von Vater und Mutter zum primären Ziel der Vorlage erklärt wurde und plädierte dafür, die Richter ausdrücklich zu verpflichten, in jedem Scheidungsfall eine Prüfung des Kindeswohls vorzunehmen und anhand eines Kriterienkatalogs über die elterliche Sorge zu entscheiden AZ, 2.5.09; NZZ, 2.9.09..
Die gemeinsame elterliche Gewalt unverheirateter Paare lehnte eine Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmer ab, daher beschloss der Bundesrat seinen Gesetzesvorschlag entsprechend zu überarbeiten. Bei ledigen Eltern soll das Sorgerecht wie bisher einzig der Mutter zustehen. Zum gemeinsamen Sorgerecht kommt es nur, wenn sich die Mutter mit dem Sorgerecht des Vaters einverstanden erklärt oder wenn das Gericht auf Klage des Vaters hin so entscheidet NLZ, NZZ und TA, 17.12.09..
Die zweimonatige Bedenkzeit bei Scheidungen auf gemeinsames Begehren wird aufgehoben. Damit es nicht zu übereilten Scheidungen kommt, haben die Gerichte künftig die Möglichkeit, die Ehegatten gemeinsam und getrennt und in mehreren Sitzungen anzuhören. Die entsprechenden Änderungen des Zivilgesetzbuches, welche auf eine parlamentarische Initiative Jutzet (sp, FR) zurückgehen, wurden vom Parlament im Berichtsjahr verabschiedet. Der Nationalrat stimmte dem Entwurf seiner Rechtskommission in der Frühjahrssession mit 142 zu 16 Stimmen zu. Gegen die Anpassung wehrte sich eine links-grüne Minderheit unter Anführung von Anita Thanei (sp, ZH); sie fand allerdings nicht einmal in den eigenen Reihen eine Mehrheit. Der Ständerat behandelte das Geschäft in der Herbstsession. Er trat ohne Gegenantrag auf die Vorlage ein und hiess sie in der Gesamtabstimmung ohne Gegenstimme bei 3 Enthaltungen gut. Dabei schuf er minimale Differenzen zur Fassung der grossen Kammer, welche diese noch in der gleichen Session diskussionslos bereinigte. In der Schlussabstimmung wurde die Vorlage von beiden Räten klar angenommen AB NR, 2009, S. 284 ff., 1698 und 1824; AB SR, 2009, S. 869 f. und 1000; BBl, 2009, S. 6661 f.; NZZ, 12.3.09..
In der Frühjahrssession unterbreitete die Rechtskommission des Nationalrats dem Plenum einen Entwurf für ein neues Namensrecht. Die Vorschläge gingen auf eine parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) zurück und hätten es den Brautleuten freigestellt, den Ledignamen der Frau oder des Mannes als gemeinsamen Familiennamen zu bestimmen. Vorgesehen war ausserdem, dass Eltern bei der Heirat entscheiden, welchen Namen die Kinder tragen. Die Vorlage erntete im Rat heftige Kritik und wurde schliesslich mit 99 zu 92 Stimmen an die Kommission zurückgewiesen. Während die Linken den Vorschlag geschlossen unterstützten, erachteten ihn die SVP sowie Teile von CVP und FDP als zu komplex. Einige erblickten in ihm sogar eine Bedrohung der traditionellen Familie. Mit dem überarbeiteten Entwurf der Kommission, den der Nationalrat in der Wintersession verabschiedete, wird lediglich die Zulässigkeit von Doppelnamen für Männer von der Verordnungs- auf die Gesetzesstufe gehoben. Die entsprechenden Bestimmungen waren vom Bundesrat in die Zivilstandsverordnung aufgenommen worden, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einem Urteil entschieden hatte, dass auch Männer – entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen für die Frauen – Doppelnamen ohne Bindestrich tragen dürfen BBl, 2009, S. 403 ff.; AB NR, 2009, S. 274 ff. und 2283 ff.; BBl, 2009, S. 7573 ff. Presse vom 12.3.09; BaZ, SZ und TA, 11.12.09. Vgl. SPJ 2004, S. 214..
Im Dezember schickte der Bundesrat eine Änderung des Vorsorgeausgleichs bei Scheidungen in die Vernehmlassung. Durch die Revision des Zivilgesetzbuches, des Freizügigkeitsgesetzes und des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge soll namentlich die Absicherung von Ehepaaren verbessert werden, die sich erst nach dem Eintritt des Vorsorgefalls scheiden lassen BBl, 2009, S. 9150. Vgl. dazu auch oben Teil I, 7c (Berufliche Vorsorge)..
Im Einvernehmen mit dem Bundesrat hiess der Nationalrat im Berichtsjahr eine Motion Humbel-Näf (cvp, AG) gut, gemäss der im Scheidungsfall obligatorische und überobligatorische Altersguthaben der Pensionskasse je im gleichen Verhältnis aufgeteilt werden sollen. Bislang wird der zu übertragende Teil der Austrittsleistung so weit als möglich dem überobligatorischen Altersguthaben entnommen. Dies hat zur Folge, dass die Rente desjenigen Partners, der die Austrittsleistung übertragen bekommt, geringer ausfallen wird, da sowohl der Umwandlungssatz als auch die Mindestverzinsung im überobligatorischen Bereich tiefer sind als im obligatorischen AB NR, 2009, S. 574..
Abgelehnt hat die grosse Kammer dagegen eine parlamentarische Initiative Hofmann (sp, AG), welche verlangte, den Pflichtteil der Nachkommen künftig ungeachtet des Zivilstandes des versterbenden Elternteils zu berechnen. Ebenfalls verworfen wurde eine parlamentarische Initiative Thanei (sp, ZH). Mit dieser sollte erreicht werden, dass in Scheidungsfällen, wo das Familieneinkommen nicht für die Deckung der Bedürfnisse zweier Haushalte ausreicht, der Fehlbetrag nicht einseitig der unterhaltsberechtigten Partei aufgebürdet, sondern gleichmässig auf beide Parteien verteilt werden würde. Da die Fürsorgegelder, die zur Deckung des Defizits ausgerichtet werden, zurückzuzahlen sind, sobald die betroffenen Personen über mehr Mittel verfügen, wird der unterhaltsberechtigte Lebenspartner nach geltendem Recht benachteiligt. Wenn er sich wirtschaftlich erholt, muss er nämlich die gesamten Fürsorgeleistungen zurückerstatten, während der andere Partner befreit ist AB NR, 2009, S. 294 f. (Mo. Hofmann) und 930 ff. (Mo. Thanei)..
Copyright 2014 by Année politique suisse