Année politique Suisse 2010 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Bürgerrecht und Stimmrecht
In der Frühjahrssession hatte sich der Nationalrat im Rahmen einer Sondersession zur Zuwanderung mit einer Reihe von Vorstössen zu befassen, die auch Einbürgerungsfragen betrafen (vgl. auch unten Teil I, 7d). Vier Motionen und ein Postulat wurden überwiesen. Die sprachliche Integration war Thema der Motionen Schmidt (cvp, VS) und Tschümperlin (sp, SZ). Erstere verlangt, dass im Bürgerrechtsgesetz die Kenntnis einer Landessprache als Voraussetzung für die Erlangung des Bürgerrechtes festgeschrieben wird. Letztere verlangt die finanzielle Unterstützung von Projekten, die als Integrationsmassnahme das Erlernen einer Landessprache fördern. Während die vom Bundesrat zur Annahme empfohlene Motion Schmidt nicht auf nennenswerten Widerstand stiess, fiel der Entscheid zugunsten der Motion Tschümperlin erst mit dem Stichentscheid der Ratspräsidentin. Der Ständerat nahm beide Motionen ebenfalls an.
Beide Kammern überwiesen auch eine Motion Müller (fdp, AG), welche die Schliessung einer Gesetzeslücke bezweckt. Mit einer Einbürgerung soll in Zukunft die Niederlassungsbewilligung erlöschen. Der Ständerat erweiterte die Motion und wollte auch die geltenden Zuständigkeitsregeln zwischen Kantonen und Bund mit einbeziehen.
Eine zusätzliche Motion Tschümperlin (sp, SZ) nahm sich dem bereits im Vorjahr diskutierten Thema der Schein- und Zwangsheiraten an. Der Motionär verlangt von der Regierung, eine Untersuchung in Auftrag zu geben, welche Formen, Ausmass, Ursachen und Häufigkeit von Zwangsehen beleuchtet. Darauf basierend sollen präventive Massnahmen getroffen werden. Auch dieser Vorstoss wurde von National- und Ständerat gegen den Willen des Bundesrats angenommen.
Schliesslich überwies der Nationalrat ein Postulat Hodgers (gp, GE), das eine Bestandsaufnahme der
Verfahrensdauer für Einbürgerungen in allen Kantonen verlangt und zwar im Hinblick auf eine Harmonisierung. Der Vorstoss bemängelt die grossen kantonalen und kommunalen Unterschiede in der Verfahrenslänge. Der Bundesrat verwies auf die Zuständigkeit der Kantone und empfahl das Postulat zur Ablehnung. Mit 121 zu 60 Stimmen, letztere überwiegend aus der SVP-Fraktion, wurde das Postulat dennoch überwiesen
[18].
Im Berichtsjahr liefen zwei Vernehmlassungen zu
Gesetzesrevisionen im Bereich der Einbürgerungsbestimmungen. Der Vorschlag der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats sieht vor, Ausländern der dritten Generation auf eigenen Antrag oder auf Antrag ihrer Eltern das Bürgerrecht ohne weitere Hürden zu verleihen. Der umfassendere Reformvorschlag des Bundesrats zielt auf eine Angleichung der kantonalen Einbürgerungsverfahren ab. Er fordert unter anderem eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer sowie das Vorhandensein einer Niederlassungsbewilligung (Kategorie C) als Bedingung für eine Einbürgerung. In der Vernehmlassung zeigten sich die klassischen Gräben der Einbürgerungsdiskussion. Die SVP wehrte sich gegen die „quasi automatische Einbürgerung“ der dritten Generation und, zusammen mit der FDP, gegen eine Verkürzung der Aufenthaltsdauer. Sie forderte im Gegenzug weitere Verschärfungen wie die Bereitschaft, Militärdienst zu leisten oder Kenntnisse der Schweizer Geschichte. Die CVP, die SP und die Grünen äusserten sich grösstenteils positiv zu den Vorschlägen. Allerdings kritisierte Links-Grün die C-Ausweis-Bedingung. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat liess sich ebenfalls vernehmen und kritisierte, dass der Aufenthalt im Asylstatus nicht an die Aufenthaltsdauer angerechnet wird
[19].
2010 wurde 40
403 Personen die Schweizer Staatsbürgerschaft erteilt. Damit ist die Anzahl
Einbürgerungen im Vergleich zum Vorjahr um rund 10% zurückgegangen (2009: 44
948). Die Mehrzahl der Gesuchsteller stammte wie bereits in den Jahren zuvor aus Serbien (6
843), Italien (4
236) und Deutschland (3
742). Der Rückgang an Gesuchen im Vergleich zum Vorjahr war bei allen drei Gruppen zu beobachten (Serbien: -19%; Italien: -14.5%; Deutschland: -12.5%). Eine Studie des BFS zeigte auf, dass die Schweiz im europäischen Vergleich gemessen an der Gesamtbevölkerung anteilmässig am meisten Einbürgerungen ausweist (0.6 Einbürgerungen pro 100 Einwohner), die Einbürgerungsrate jedoch gering ist (lediglich 2.8% der 1.7 Mio Ausländerinnen wurden 2008 eingebürgert)
[20].
[18] Mo. Schmidt:
AB NR, 2010, S. 81;
AB SR, 2010, S. 630; Mo. Tschümperlin:
AB NR, 2010, S. 97;
AB SR, 2010, S. 405; Mo. Müller:
AB NR, 2010, S. 88 und 1361;
AB SR, 2010, S. 630; Mo. Tschümperlin (Zwangsheirat):
AB NR, 2010, S. 96f;
AB SR, 2010, S. 404; Siehe
SPJ 2009, S. 22. Po. Hodgers:
AB NR, 2010, S. 88.
[19] Zu den Gesetzesvorschlägen vgl. auch
SPJ 2009, S.21 f.; zur Vernehmlassung des Vorschlages der SPK siehe Presse vom 3.2.10 und
NZZ, 15.2.10; Zur Vernehmlassung der Revision des Bundesrates siehe
NZZ, 23.3 und 24.3.10.
[20] Bundesamt für Migration,
Migrationsbericht 2010, Bern 2011, S. 25;
NLZ 11.6.10.
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