Année politique Suisse 2010 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
Nachdem im Wahljahr 2007 die SVP-Kundgebung auf dem Bundesplatz zu massiven Ausschreitungen geführt hatte, wollte die Stadt Bern Kundgebungsumzüge vor nationalen Wahlen generell verbieten. Das Berner Verwaltungsgericht erklärte diese Bestimmung jedoch als verfassungswidrig und unverhältnismässig. Die Stadtberner Stimmbevölkerung lehnte zudem im Juni eine Initiative knapp ab, welche die Einschränkung des Demonstrationsrechts vorsah, indem der Polizei das Recht auf schnelles Auflösen von Kundgebungen eingeräumt worden wäre. Die gleiche Idee wurde kurz darauf im Nationalrat als Motion eingereicht (Motion Hochreutener, cvp, BE) [23].
Im Berichtsjahr fanden 14 Grossdemonstrationen mit 1000 und mehr Beteiligten statt. An zwei Kundgebungen nahmen mehr als 5 000 Personen teil. Im März demonstrierten rund 6 000 Personen auf dem Bundesplatz für die Gleichstellung der Geschlechter und im April unterstützten rund 5 000 Personen die Solidaritätskundgebung für Tibet in Zürich. In Bern fanden acht Grossdemonstrationen statt, in Genf und Zürich je zwei, in Freiburg und in Gösgen je eine. Im Gegensatz zum Vorjahr, als bei 25 Grossdemonstrationen mehrheitlich aussenpolitische Fragen bewegt hatten, standen 2010 vermehrt spezifische Interessen einzelner Gruppen im Vordergrund: neben Gleichstellungsfragen waren etwa Proteste von Wirten gegen die Mehrwertsteuer, von Lehrern für bessere Arbeitsbedingungen, von Postangestellten gegen Poststellenabbau und Rationalisierung, von Jugendlichen für Genfer Konzertlokale oder von Velofahrern gegen den Autoverkehr Gründe für die Protestaktionen. Darüber hinaus bewegten Solidaritätskundgebungen für verfolgte Christen und für Ausländer, darunter die Protestdemonstration gegen die Annahme der Ausschaffungsinitiative. In Gösgen demonstrierten rund 4 000 Personen gegen das AKW und in Bern nahmen etwa 1000 Linksautonome am antifaschistischen Abendspaziergang teil [24].
 
[23] NZZ, 19.2.10; WOZ, 10.6.10; TA, 21.6.10.
[24] Kundgebungen mit mindestens 1000 Beteiligten (ohne 1. Mai-Demonstrationen): Bern: Bund, 15.3.10 (6000/Frauen für Gleichstellung); TA, 20.4.10 (2000/Wirte zu MwSt); Bund, 28.6.10 (4000/für mehr Rechte für Ausländer); NZZ-So, 26.9.10 (1000/gegen Verfolgung von Christen); Bund, 25.11.10 (1200/Postangestellte gegen Rationalisierung); Bund, 1.11.10 (2500/gegen Sparmassnahmen bei der IV); BZ, 13.11.10 (4000/Lehrer für bessere Arbeitsbedingungen); BZ 4.10.10 (1000/Antifaschistischer Abendspaziergang, Linksautonome); Freiburg: BZ, 6.9.10 (2000/Gegen Schliessung Brauerei Cardinal); Genf: Bund, 1.11.10 (1500/Jugendliche für Konzertlokale); BAZ, 24.8.10 (2000 Velofahrer gegen Autoverkehr); Gösgen (SO): Bund, 25.5.10 (4000/gegen AKW); Zürich: TA, 29.11.10 (1500/ Protest gegen Annahme der Ausschaffungsinitiative); NZZ 12.4.10 (5000/ Solidaritätskundgebung für Tibet).