Année politique Suisse 2010 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
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Regierungspolitik
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats reichte 2009 eine parlamentarische Initiative ein, die eine bessere und schnellere Information des Parlaments bei Notverordnungen verlangt. So soll die Geltungsdauer für dringliche Verordnungen zur Wahrung der Landesinteressen im Ausland befristet werden. Für Verfügungen zur Wahrung der Interessen der Schweiz sowie zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit müsste das zuständige parlamentarische Organ konsultiert und informiert werden. Dringliche Finanzbeschlüsse würden die Zustimmung der Finanzdelegation bedingen und bei Bedarf in einer ausserordentlichen Session verhandelt werden können. Die SPK reagierte mit diesem Vorstoss auf den Bericht der Geschäftsprüfungskommission zum Fall Tinner sowie auf die Swissair- und die UBS-Krisen. In allen drei Fällen wurde der Bundesrat kritisiert, das Parlament umgangen zu haben. In der Beratung schloss sich der Nationalrat einem Minderheitsantrag Fluri (fdp, SO) an, der zusätzlich vorsieht, dass Notverordnungen zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit nur in Kraft bleiben, wenn der Bundesrat dem Parlament innert sechs Monaten einen Gesetzesentwurf unterbreitet oder eine Parlamentsverordnung gefasst wird. Die Kommissionsmehrheit hatte lediglich einen Gesetzesentwurf vorgesehen und der Bundesrat hatte eine Frist von einem Jahr für einen Gesetzesentwurf beantragt. Der Ständerat folgte zuerst dem Antrag des Bundesrats, schwenkte aber im zweiten Durchgang auf die Linie des Nationalrats ein. Differenzen zwischen den Räten gab es zudem in Bezug auf die Konsultationspflicht. Der Nationalrat forderte, dass der Bundesrat spätestens 48 Stunden vor dem Erlass notrechtlicher Verfügungen das zuständige parlamentarische Organ zu konsultieren hätte. Der Ständerat begnügte sich mit der vom Bundesrat präferierten Informationspflicht spätestens 24 Stunden nach dem Beschluss. Der Nationalrat schloss sich in der zweiten Beratung dem Ständerat an. Nicht umstritten war die Forderung, dringliche Ausgaben der Zustimmung der Finanzdelegation zu unterstellen. Beschlossen wurde zudem, dass ein Viertel der Mitglieder eines Rats innerhalb einer Woche - statt wie vom Bundesrat vorgesehen von fünf Wochen - eine ausserordentliche Session zu dringlichen Ausgabebeschlüssen über 500 Mio Franken beantragen kann. Keine Chance hatte ein Antrag einer links-grünen Minderheit im Nationalrat, solche Beschlüsse immer von der Zustimmung der Bundesversammlung abhängig zu machen. In der Schlussabstimmung wurde das Gesetz schliesslich von beiden Kammern einstimmig bzw. mit einer Gegenstimme angenommen [19].
Noch nicht endgültig vom Tisch ist die Idee eines Parlamentsvetos gegen Verordnungen des Bundesrates. Der Nationalrat gab einer parlamentarischen Initiative Müller (svp, SG) Folge, die einer 2008 vom Nationalrat überwiesenen, aber vom Ständerat 2009 abgelehnten parlamentarische Initiative der SVP inhaltlich sehr ähnlich ist. Allerdings nimmt sie die Kritik des Ständerats an der ersten Initiative auf, indem sie das Veto von der übereinstimmenden Ablehnung beider Räte abhängig macht [20].
Für Erheiterung nicht nur im Nationalrat sondern in der gesamten Bevölkerung sorgte eine Antwort von Bundesrat Merz auf eine Frage Grin (svp, VD) zum Import von gewürztem Fleisch. Der Bundesrat erlitt einen Lachanfall beim Lesen der arg mit Beamtendeutsch gespickten Botschaft, der nachher sogar in der Werbung für „Bündnerfleisch“ verwendet wurde [21].
Im Berichtsjahr hat der Bundesrat 55 Sitzungen abgehalten (40 ordentliche, 9 ausserordentliche und 6 Klausuren), 2482 Geschäfte behandelt und 97 Botschaften ans Parlament überwiesen [22].
 
[19] AB NR, 2010, S. 1201 ff., 1301 ff., 1929 f. und 2184; AB SR, 2010, S. 1060 ff., 1318 und 1355. BBl, 2010, S. 2803 ff.; zum Fall Tinner siehe SPJ 2009, S. 21.
[20] AB NR, 2010, S. 1806 ff. Siehe SPJ 2009, S. 34.
[21] AB NR, 2010, S. 1335 f.
[22] NZZ, 23.12.10.