Année politique Suisse 2010 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Parlament
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Parlamentsmandat
Die Regelung des Zugangs von Lobbyisten ins Bundeshaus und dabei insbesondere die Forderung nach Offenlegung der Interessenbindungen zur Schaffung von Transparenz beschäftigte die Räte auch in diesem Berichtsjahr. Eine parlamentarische Initiative Freysinger (svp, VS), die eine Offenlegung der jährlichen Einkünfte verlangte, die mit Vorstands- und Verwaltungsratsmandaten erzielt werden, war 2009 erst im Ständerat gescheitert. Eine weitere parlamentarische Initiative des Walliser SVP-Politikers forderte eine angemessene Vertretung der Interessengruppen in den Kommissionen, um die Konzentration spezifischer Interessen in einzelnen Arbeitsgruppen zu verhindern. Der Vorstoss war in der vorberatenden Staatspolitischen Kommission umstritten. Im Nationalrat wurde ihm dann aber mit 99 zu 74 Stimmen keine Folge gegeben. Die parlamentarische Initiative Graf-Litscher (sp, TG), die den Zugang von Lobbyisten zum Bundeshaus gesetzlich regeln wollte, scheiterte am Veto der Staatspolitischen Kommission des Ständerates. In der Schwesterkommission im Nationalrat war sie noch unterstützt worden – allerdings nur dank des präsidialen Stichentscheids. Damit stand zu diesem Thema im Berichtsjahr noch die Motion Reimann (svp, SG) aus, die ebenfalls mehr Transparenz verlangt, von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates jedoch bereits zur Ablehnung empfohlen worden war [36].
Der Nationalrat regelte im Berichtsjahr das Absenzenwesen neu. Bisher galt für die Veröffentlichung der Namensabstimmungen als „entschuldigt“, wer aufgrund eines Mandats für eine ständige parlamentarische Delegation abwesend war. Anderweitig fehlende Parlamentarier wurden unter der Rubrik „nicht teilgenommen“ aufgeführt. Die Parlamentarische Initiative Moser (glp, ZH) forderte, auch Mutterschaft als Entschuldigungsgrund zu akzeptieren. Die Staatspolitische Kommission schlug vor, alle rechtzeitig beim Ratssekretariat eingetroffenen Abmeldungen als Entschuldig zu akzeptieren. Dies ging dem Nationalrat allerdings zu weit und er nahm einen Minderheitsantrag an, der einen abschliessenden Katalog forderte. Neu soll als entschuldigt gelten, wer sich aufgrund eines Mandats in einer ständigen Delegation, wegen Unfall, Krankheit oder Mutterschaft abmeldet [37].
Der SP-Nationalrat Ricardo Lumengo (BE) wurde im November wegen Wahlfälschung angeklagt. Bei den Berner Grossratswahlen von 2006 soll er 44 Stimmzettel eigenhändig ausgefüllt haben. Lumengo erklärte, dass er lediglich einigen Leuten beim Ausfüllen geholfen habe und diese dann den entsprechenden Zettel eingeworfen hätten. Der Verdacht, dass Lumengo bei den Nationalratswahlen ebenfalls Wahlfälschung betrieben hatte, erhärtete sich hingegen nicht. Obwohl Lumengo Berufung einlegte, forderte ihn seine Partei zum Rücktritt aus dem Nationalrat auf. Lumengo trat in der Folge aus Partei und Fraktion aus, ohne sein Nationalratsmandat niederzulegen [38].
 
[36] Pa. Iv. Freysinger: AB NR, 2010, S. 429 ff. Pa. Iv. 09.486 (Graf-Litscher): Mo 09.3835 (Reimann); NZZ, 18.1.10; siehe SPJ 2009, S. 36.
[37] AB NR, 2010, S. 1541 ff.
[38] Presse vom Februar 2011 und vom 10.3.10 sowie vom 13. (Urteil) und 17.11.10 (Rücktritt).