Année politique Suisse 2010 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
 
Suchtmittel
Der Bundesrat schickte ein neues Alkoholgesetz in die Vernehmlassung. Die Totalrevision des Alkoholgesetzes sah eine Aufteilung vor. Die stark vereinfachten Aspekte der Besteuerung hochprozentiger Alkoholprodukte sind im neuen Spirituosensteuergesetz geregelt. Ein neues Alkoholgesetz fasst hingegen Handels- und Wertbestimmungen zusammen, bei denen der Präventionsgedanke im Vordergrund steht. Durch ein „Lockvogelverbot“ sollen Anlässe wie „Freibier-Partys“ oder „Ladies Nights“ an den Wochenenden untersagt werden. Ausserdem verbietet das neue Alkoholgesetz, dass einzelne Getränke zu Preisen unter dem Marktwert angeboten werden. Künftig sollen Personen eine Strafe erhalten, wenn sie Jugendlichen unter 16 bzw. 18 Jahren den Zugang zu Alkohol ermöglichen. Ausserdem plante der Bund, gesetzliche Grundlagen für Testkäufe festzulegen. Insbesondere der Gewerbeverband stellte sich gegen das neue Gesetz und hielt dieses für unnötig [34].
Laut Statistik ging der Alkoholkonsum in den letzten 40 Jahren um 20% zurück. Das Bundesamt für Landwirtschaft publizierte im Frühjahr Zahlen, die belegen, dass in der Schweiz 2009 fast 1% weniger Wein als im Vorjahr getrunken worden war. Beim Bier betraf der Rückgang 1,3%. Der Abwärtstrend galt, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass, für alle Alkoholika. Obwohl der Alkoholkonsum insgesamt abnahm, zeigten sich Präventionsfachleute nach wie vor besorgt über massive Alkoholprobleme bei Jugendlichen [35].
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Tabak
Am 1. Mai trat das Bundesgesetz über den Schutz vor dem Passivrauchen, welches 2008 vom Parlament gutgeheissen worden war, in Kraft. Die Kantone durften strengere Gesetze erlassen und hatten davon häufig Gebrauch gemacht. Bei der Ausgestaltung und der Durchsetzung dieser Rauchverbote zeigten sich daher grosse regionale Unterschiede. Die Romandie handhabte den Nichtraucherschutz generell am restriktivsten. Durch das neue Gesetz kam es in der Hälfte aller Kantone zu Umstellungen, wobei 10 Kantone die Minimalvariante des Bundes übernahmen [36].
Die Lungenliga wollte möglichen Auflockerungstendenzen beim Rauchverbot Gegensteuer geben und reichte eine Volksinitiative für einen verschärften Schutz vor Passivrauchen ein. Die Initiative wollte auch mit dem oben erwähnten föderalistischen „Flickenteppich“ in Sachen Nichtraucherschutz aufräumen und schweizweit eine einheitliche und strenge Regelung festschreiben. Zum Zeitpunkt der Einreichung der Initiative waren mehrere Bestrebungen im Gang, härtere kantonale Gesetze wieder rückgängig zu machen. So beschloss beispielsweise der Basler Wirteverband die Lancierung einer kantonalen Volksinitiative, mit welcher er die Einführung der milderen Bundeslösung verlangte. Das gleiche Vorgehen wählte auch der Wirteverband des Kantons Appenzell-Ausserrhoden [37].
Die Zahl der Raucherinnen und Raucher sank im Jahr 2009 nicht weiter. Der Anteil der rauchenden Bevölkerung stagnierte bei 27%. Nach wie vor rauchten Frauen deutlich weniger als Männer. Am häufigsten griffen die 20- bis 25-Jährigen zu einer Zigarette. Die Umfrage des BAG zeigte, dass 19% der Wohnbevölkerung täglich rauchten, und zwar im Schnitt 15 Zigaretten pro Tag [38].
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Illegale Drogen
Der Nationalrat nahm ein Postulat seiner Kommission an, welches unter Verwendung eines Teils von Vermögenswerten, die im Rahmen von Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz beschlagnahmt wurden, die Versorgungssicherheit der stationären Einrichtungen der Suchtrehabilitation sicherstellen wollte [39].
Ein im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit erarbeiteter Bericht, der die Straffreiheit für jeglichen Drogenkonsum vorschlug, sorgte für einigen Wirbel. Der Bericht hatte darauf hingewiesen, dass Verbote im Sinne des Strafrechtes nichts bringen würden und es die Illegalität vielmehr erschwere, die Qualität der Substanzen zu kontrollieren. Bürgerliche Parlamentarier verwiesen insbesondere auf das vom Volk 2008 angenommene Betäubungsmittelgesetz, mit welchem sich die Schweizer und Schweizerinnen für eine Repression mit abschreckenden Massnahmen ausgesprochen hatten [40].
Der oben genannte Bericht hatte auch politische Folgen. Eine Motion Geissbühler (svp, BE) nahm der Nationalrat nur teilweise an. Die erste Forderung, welche die umgehende Absetzung derjenigen Drogenexpertengruppe forderte, welche den oben erwähnten Bericht verfasst hatte, wurde abgelehnt. Die drei weiteren Punkte, nämlich die Umsetzung des Betäubungsmittelgesetzes, die Zielsetzung der Abstinenz sowie die Erarbeitung der Verordnungen innerhalb des Bundesamtes für Gesundheit und nicht durch externe Gruppen, wurden angenommen. Der Bundesrat hatte ebenfalls die Annahme der letzten drei Punkte und die Ablehnung des ersten Punktes gefordert. Dies deshalb, weil die von der Motionärin als einseitig zusammengesetzte Drogenexpertengruppe mit der Abgabe des Berichtes ihre Aufgabe bereits erfüllt hatte und aufgelöst worden war [41].
In einem Pilotprojekt wurde von der Universität Bern im Rahmen einer Studie systematisch der Kokaingehalt der Abwasser von fünf grossen Schweizer Städten untersucht. Die Analyse lieferte erstmals genaue Daten über den Konsum von Kokain. Diese bestätigten, dass am Wochenende, insbesondere am Samstag am meisten gekokst wird. Zürich erwies sich vor den Städten Genf, Basel, Bern und Luzern als Kokainhauptstadt der Schweiz. Die höchsten Werte lieferte das Street-Parade-Wochenende [42].
 
[34] EFD, 30.6.10; Presse vom 1.7.10. Zu den steuerlichen Aspekten des neuen Alkoholgesetzes, siehe oben, Teil I, 5 (indirekte Steuern).
[35] SN, 22.4.10.
[36] NZZ, 29.4.10; TA, 30.4.10.
[37] BaZ, 18.5.10.
[38] Presse vom 8.6.10.
[39] AB NR, 2010, S. 1538 f.
[40] TA, 2.8.10; Presse vom 3.8.10.
[41] AB NR, 2010, S. 2159.
[42] NLZ, 26.5.10.