Année politique Suisse 2010 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen / Berufliche Vorsorge
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Abstimmung Anpassung des Mindestumwandlungssatzes
Am 7. März stimmte das Volk über das fakultative Referendum gegen die Anpassung des Mindestumwandlungssatzes bei der zweiten Säule ab. Diese hatte das Parlament im Jahr 2008 beschlossen. Das Volk lehnte die Anpassung des Umwandlungssatzes wuchtig mit einer Mehrheit von 72,7% ab. Das fakultative Referendum unterstützten die Links-Parteien, die Grünen und die CVP sowie die wichtigsten Gewerkschaftsorganisationen. Die Gegner der Anpassung lehnten die Rentenkürzungen im Allgemeinen ab und hielten diese für verfassungswidrig. Sie waren den Pensionskassen und Versicherungen gegenüber sehr skeptisch eingestellt und vertraten die Ansicht, dass diese in erster Linie eine Gewinnmaximierung anstrebten. Befürworter einer Änderung des Mindestumwandlungssatzes waren unter anderem die SVP und die FDP. Sie machten geltend, dass eine Anpassung des Umwandlungssatzes wegen der gesteigerten Lebenserwartung nötig sei und dass die Beiträge ohne die Senkung des Mindestumwandlungssatzes heraufgesetzt werden müssten [23].
Die Änderung des BVG fand in keinem einzigen Kanton Zustimmung. Am deutlichsten war die Ablehnung in den Westschweizer Kantonen Jura, Wallis und Neuenburg, wo es einen Nein-Stimmenanteil von über 80% gab. Abgesehen von Appenzell-Innerrhoden kam kein Stand auf einen Ja-Stimmen-Anteil von über 40%. Entsprechend der Vox-Analyse waren für den Stimmentscheid die sozio-demografischen und die politischen Faktoren von zentraler Bedeutung. Bei Letzteren spielte einerseits die Einordnung in das links-rechts Schema eine wichtige Rolle, aber auch die Verbundenheit mit einer Partei. Die sozio-demografischen Merkmale wirkten dahingehend, dass insbesondere die Ältesten einer Gesetzesänderung zustimmten, da sie von einer solchen Änderung nichts mehr zu befürchten hatten. Auch der Bildungsstand wirkte sich auf den Stimmentscheid aus; der Gesetzesvorlage stimmten vor allem Personen mit einer höheren Bildung zu. Die Stimmmotive der Befürworter waren überwiegend darin begründet, dass die Senkung des Mindestumwandlungssatzes die Rentenfinanzierung stabilisiere und für die nächsten Generationen sichere. Die Begründungen der Gegner und Gegnerinnen der Vorlage waren vielfältiger. Einerseits sahen sie die Vorlage nicht als die richtige Lösung zur Stabilisierung der zweiten Säule an. Andererseits wollten die Befragten keine Rentenkürzungen und lehnten die Pensionskassen, die sich auf dem Rücken der Arbeitnehmer bereichern würden, ab. Auch allgemeinere soziale und ethische Überlegungen wurden angeführt [24].
Anpassung des Mindestumwandlungssatzes
Abstimmung vom 7. März 2010

Beteiligung: 44,9%
Ja: 617 209 (27,3%) / Stände: 0
Nein: 1 646 369 (72,7%) / Stände: 20 6/2

Parolen:
Ja: FDP (1*), CVP (5*), SVP (6*), EVP (4*), EDU (2*), GLP (3*), BDP (1*); ZSA, eco, SGV, SBV.
Nein: SP, CSP, PdA, GP, SD (1*), Lega; SGB, TravS.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Der Nationalrat lehnte eine Motion Rechsteiner (sp, BS) mit 119 zu 62 Stimmen ab, welche die gesetzlichen Bestimmungen dahingehend ändern wollte, dass Versicherte, die bei einer Teil- oder Gesamtliquidation hohe Rentenverluste hinnehmen müssen einen Zuschuss aus dem Sicherheitsfonds der Vorsorgeeinrichtung erhalten. Der Bundesrat erachtete eine Ausweitung der Leistungspflicht des Sicherheitsfonds im Sinne der Motion aus verschiedenen Gründen für nicht angezeigt und hatte daher die Ablehnung der Motion beantragt [25].
Ein Postulat Parmelin (svp, VD) forderte, dass dem Parlament jeweils alle fünf Jahre (nicht wie bisher alle zehn Jahre) ein Bericht über die Festlegung des Umwandlungssatzes vorgelegt wird, damit jeweils die bestmögliche Sicht auf den aktuellen Stand der Dinge gegeben sei. Nach Ansicht des Bundesrates sprach nichts dagegen, dass dieser Bericht alle fünf Jahre vorgelegt wird. Er beantragte daher die Annahme des Postulates. Dem folgte auch der Nationalrat [26].
Eine parlamentarische Initiative Hutter (fdp, ZH) verlangte, dass sich Selbstständigerwerbende nach der definitiven Erwerbsaufgabe in eine freiwillige Versicherung der beruflichen Vorsorge einkaufen können, sofern die Einkaufsbeiträge aus einem realisierten Liquiditätsgewinn erfolgen. Die vorberatende Kommission des Nationalrates beantragte mit 13 zu 12 Stimmen bei einer Enthaltung, der Initiative keine Folge zu leisten. Die Mehrheit der Kommission argumentierte, dass die Möglichkeit, sich nach Erwerbsaufgabe in die berufliche Vorsorge einzukaufen, einem grundlegenden Systemwechsel in der beruflichen Vorsorge gleichkomme. Eine rechts-bürgerliche Minderheit wollte der Initiative Folge geben, um die Problematik näher zu prüfen und begrüsste grundsätzlich die Möglichkeit, den Liquiditätsgewinn für die Altersvorsorge verwenden zu können. Der Nationalrat folgte mit 104 zu 79 Stimmen der Minderheit seiner Kommission und leistete der Initiative Folge [27].
Eine im Vorjahr vom Nationalrat angenommene Motion Amacker-Amann (cvp, BL) wollte die Regierung beauftragen, die gesetzlichen Regelungen so anzupassen, dass die Auszahlung von Altersleistungen bei Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten in jedem Fall nur unter der Voraussetzung der schriftlichen Einwilligung des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners gewährt wird. In Anlehnung an die Empfehlung ihrer vorberatenden Kommission nahm auch die kleine Kammer die Motion an [28].
Eine Motion Humbel Näf (cvp, AG), welche im Vorjahr vom Nationalrat angenommen worden war, wollte den Bundesrat beauftragen, in der beruflichen Vorsorge und im Freizügigkeitsgesetz die Grundlagen dafür zu schaffen, dass im Scheidungsfall obligatorische und überobligatorische Altersguthaben je im gleichen Verhältnis aufgeteilt werden. Der Ständerat folgte der Empfehlung des Bundesrates und nahm die Motion an [29].
Die FDP forderte in einer Motion, dass die maximalen Steuerfreibeträge für Einzahlungen in die Säule 3a gegenüber heute substantiell erhöht werden, da nach ihrer Ansicht die Eigenverantwortung in der Altersvorsorge zu stärken sei. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion, da nur gerade 10% aller Steuerpflichtigen in der Lage seien, den bereits möglichen vollen Abzug zu machen. Die vorgeschlagene Massnahme sei folglich nicht geeignet, die Vorsorge effektiv zu stärken. Das sah der Nationalrat anders. Er nahm die Motion mit 110 zu 55 Stimmen an [30].
Die kleine Kammer nahm eine Motion Graber (cvp, LU) an, welche eine administrative Entschlackung des BVG forderte. Damit soll erreicht werden, dass die Miliztauglichkeit der zweiten Säule gewährleistet wird und Versicherte von einer möglichst hohen Transparenz profitieren können. Mit mehr Wettbewerb und anderen geeigneten Massnahmen sollen ausserdem die Verwaltungskosten gesenkt werden [31].
 
[23] Presse vom 8.3.10. Siehe SPJ 2008, S. 218 f.
[24] BBl, 2010, S. 2625 ff.; Presse vom 8.2-8.3.10; Lloren, Anouk / Nai, Alessandro / Gavilans, Amanda, Vox-Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 7. März 2010, Bern und Genf 2010.
[25] AB NR, 2010, S. 278.
[26] AB NR, 2010, S. 1131.
[27] AB NR, 2010, S. 665 ff.
[28] AB SR, 2010, S. 79. Siehe SPJ 2009, S. 218.
[29] AB SR, 2010, S. 1088 f. Siehe SPJ 2009, S. 218.
[30] AB NR, 2010, S. 1328.
[31] AB SR, 2010, S. 1089 ff.