Année politique Suisse 2010 : Sozialpolitik / Sozialversicherungen / Arbeitslosenversicherung
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Abstimmung Änderung Arbeitslosenversicherungsgesetz
Über das Referendum gegen die 4. Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes, welches die Gewerkschaften zusammen mit den linken Parteien ergriffen hatten, wurde am 26. September abgestimmt. Das Volk nahm die Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetz mit 53,4% an. Gegen die Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes hatten nur die Urheber des Referendums Parolen gefasst; alle anderen grossen Parteien empfahlen die Änderung zur Annahme. Auffallend war, dass sich die Parteien auch bei den kantonalen Sektionen einig waren. Einzig bei der EVP wichen zwei Kantonalparteien vom Parolenentscheid ab [70].
Bei den kantonalen Abstimmungsergebnissen zeigten sich Unterschiede in den verschiedenen Sprachregionen der Schweiz. Während die französische und die italienische Schweiz die Änderung des Arbeitslosengesetzes ausnahmslos ablehnten, gab es in der Deutschschweiz mit Basel-Stadt nur einen einzigen Kanton, der die Änderung nicht befürwortete. Für den Abstimmungsentscheid waren im Wesentlichen der Links-Rechts-Gegensatz und das Alter von Bedeutung. Personen, die sich politisch links einstuften, verwarfen die Vorlage mehrheitlich. Die Altersklassen mit den höchsten Beschäftigungsrisiken, die von der Verlängerung der Karenzzeiten am meisten betroffen sind, also vor allem die jungen Stimmberechtigten, lehnten die Revision deutlich ab. Die über 70-jährigen Stimmbürger, welche als Leistungsbezüger nicht mehr in Frage kommen, stimmten den Leistungskürzungen mehrheitlich zu. Während den Ja-Stimmenden die finanzielle Sicherung der Arbeitslosenversicherung besonders wichtig war, stellte für die Nein-Stimmenden die Solidarität mit den Arbeitslosen das wichtigste Motiv dar [71].
Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes
Abstimmung vom 26. September 2010

Beteiligung: 35,5%
Ja: 958 913 (53,4%)
Nein: 836 101 (46,6%)

Parolen:
Ja: FDP, CVP, SVP, EDU, FP, GLP, BDP; ZSA, eco, SGV, SBV.
Nein: SP, EVP (2*), CSP, PdA, GP, SD, KVP; SGB, TravS.

* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Der Nationalrat führte Anfang März eine ausserordentliche Session zum Thema Arbeitslosigkeit durch. Während im Ständerat keine entsprechenden Beratungsgegenstände vorlagen, gab es im Nationalrat eine ganze Reihe davon. Zunächst erhielten die Sprecher der einzelnen Fraktionen Gelegenheit, sich zum Thema zu äussern, ebenso wie die Vertreterin des Bundesrates. Anschliessend wurde über die zahlreichen Motionen und weitere parlamentarische Vorstösse abgestimmt, die im Folgenden zusammengefasst aufgeführt werden [72].
Von Seiten der SP kamen vor allem Vorstösse im Bereich der Aus- und Weiterbildung von arbeitslosen Personen. Drei dieser Motionen stammten von Josiane Aubert (sp, VD) und wurden vom Nationalrat abgelehnt. Erstere wollte für junge Arbeitslose ohne Grundausbildung zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen und dazu den Bundesrat beauftragen, vorübergehende konjunkturelle Massnahmen zu ergreifen. Unternehmen, die arbeitslose Lernende einstellen, sollten mit einer Jahresprämie von 5000 Fr. pro Ausbildungsplatz belohnt werden [73]. Die zweite Motion wollte die Möglichkeiten des Berufsbildungsgesetzes im Rahmen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes besser ausnützen und forderte, dass Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, die während der Zeit ihrer Arbeitslosigkeit Schritte unternehmen, um ihre Bildungsleistungen validieren zu lassen, von der Verpflichtung der Arbeitssuche befreit werden [74]. Die dritte Motion Aubert (sp, VD) wollte die Ausbildungszuschüsse in der Arbeitslosenversicherung ausbauen, indem das Mindestalter für den Erhalt von Bildungszulagen, welches bei 30 Jahren festgelegt ist, aufgehoben werden sollte [75]. Auch eine Motion Nordmann (sp, VD), welche ein nationales Programm zur Requalifizierung der erwerbstätigen Bevölkerung forderte, hatte im Nationalrat keinen Erfolg [76]. Ebenfalls chancenlos war eine Motion Marra (sp, VD), welche den Bundesrat beauftragen wollte, eine Änderung des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vorzulegen, mit welcher der Erwerb eines neuen Berufes gefördert werden sollte [77].
Drei weitere Vorstösse zielten auf eine stärkere Einbindung der Unternehmen bei der Wiedereingliederung von Arbeitslosen. Ein Postulat Hodgers (gp, GE) verlangte vom Bundesrat, einen Bericht vorzulegen über die Möglichkeiten, denjenigen Unternehmen Steuererleichterungen zu gewähren, die Lehrstellen anbieten oder Personen mit IV-Rente oder Langzeitarbeitslose einstellen. Gegen den Willen des Bundesrates nahm die grosse Kammer das Postulat mit 119 zu 59 Stimmen an [78]. Hingegen lehnte der Nationalrat eine Motion Robbiani (cvp, TI) mit 111 zu 74 Stimmen ab, welche für die Arbeitgeber einen Anreiz schaffen wollte, Arbeitslose anstelle von neu zugewanderten Arbeitskräften einzustellen. Dazu wäre der Bundesrat beauftragt worden, das Arbeitslosenversicherungsgesetz mit einer Bestimmung zu ergänzen, wonach Anstellungszuschüsse ausgerichtet werden könnten, wenn in einzelnen Branchen oder Kantonen, die Arbeitslosigkeit bei 4% oder höher liegt, in diesen Branchen oder Kantonen der Zustrom an ausländischen Arbeitskräften anhält und der Arbeitgeber eine arbeitslose Person unbefristet anstellt [79]. Den dritten Vorstoss in diesem Bereich, eine Motion Ineichen (fdp, LU), welche forderte, dass der Bundesrat eine Regelung zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen unterbreite, analog zu derjenigen des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung, lehnte der Nationalrat diskussionslos ab [80].
Ein weiteres thematisches Bündel an Vorstössen beschäftigte sich mit der Arbeitslosenversicherung und deren Auswirkungen auf die verschiedenen Regionen der Schweiz. Der Nationalrat nahm ein Postulat Fässler-Osterwalder (sp, SG) an, welches den Bundesrat beauftragte, in einem Bericht darzulegen, wie hoch die Kostenverlagerungen aufgrund des in der aktuellen Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes vorgesehenen Leistungsabbaus für Kantone und Gemeinden ausfallen werden [81]. Weniger Erfolg hatten eine Motion Robbiani (cvp, TI) und eine Motion Berberat (sp, NE). Erstere wollte die Höchstzahl der Taggelder auf 520 erhöhen, wenn die gesamtschweizerische Arbeitslosenquote während mindestens sechs Monaten 3,5% übersteigt [82]. Zweitere forderte, dass mittels einer Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes Unterstützungsmassnahmen für Regionen, die besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind, wieder eingeführt werden [83].
 
[70] BBl, 2010, S. 5057 und 8345; Presse vom 26.8.-27.9.10.
[71] Milic, Thomas / Widmer, Thomas, Vox – Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 26. September 2010, Bern / Zürich 2010.
[72] AB NR, 2010, S. 269 ff.; AB SR, 2010, S. 21.
[73] AB NR, 2010, S. 280.
[74] AB NR, 2010, S. 282.
[75] AB NR, 2010, S. 282.
[76] AB NR, 2010, S. 280.
[77] AB NR, 2010, S. 280 f.
[78] AB NR, 2010, S. 283.
[79] AB NR, 2010, S. 97.
[80] AB NR, 2010, S. 2158.
[81] AB NR, 2010, S. 282.
[82] AB NR, 2010, S. 281.
[83] AB SR, 2010, S. 1070 ff.