Année politique Suisse 2010 : Bildung, Kultur und Medien / Medien / Neue Kommunikationstechnologien
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Cyberkriminalität
Mit dem Aufgreifen des digitalen Potenzials und der Entwicklung unterschiedlichster Nutzungsformen und Angebote v.a. im Internet ist in den vergangenen Jahren mit der Missbrauchsgefahr auch der Regulierungsbedarf gestiegen. So wurden im National- und Ständerat zahlreiche Vorstösse eingereicht oder behandelt, welche den unlauteren Gebrauch des Internets thematisierten, um ihm mit staatsschützerischen Massnahmen bis hin zum Jugendmedienschutz zu begegnen. In der Sommersession überwies der Ständerat ein Postulat von Luc Recordon (Grüne, VD), das den Bundesrat beauftragte, in einem Sonderbericht darzustellen, inwieweit die Schweiz auf einen möglichen Angriff auf zentrale zivile und militärische Einrichtungen im Internet vorbereitet sei. Damit verbunden war die Aufforderung, die entsprechende Gefahrenlage in den Sicherheitsbericht 2010 einfliessen zu lassen [29].
In die gleiche Richtung zielte eine Motion der Sicherheitskommission des Nationalrats, welche die grosse Kammer im Dezember annahm. Darin wird die Vorbereitung von Gesetzesgrundlagen verlangt, welche die Sicherung wichtiger ziviler und militärischer Daten(-Netzwerke) erlauben und regeln. Die Veröffentlichung geheimer Protokolle aus dem Irakkrieg und diplomatischer Depeschen der USA im Oktober 2010 durch die Enthüllungsplattform Wikileaks intensivierten gegen Ende Jahr den öffentlichen Diskurs um die Datensicherheit im Internet. Im Dezember gab der Bundesrat die Einsetzung einer Arbeitsgruppe bekannt, die eine Strategie zur Abwehr von Internetangriffen (Cyber-Defense) zu erarbeiten hat. Bis Ende 2011 soll sie zudem die Bündelung der zwölf dezentralen, mit Cyber-Defense beauftragten Verwaltungsstellen prüfen [30].
In Beantwortung der Motion Glanzmann-Hunkeler, die 2007 die Ratifizierung der bislang einzigen internationalen Übereinkunft über die Internetkriminalität gefordert hatte, unterbreitete der Bundesrat im Juni dem Parlament die „Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung des Übereinkommens des Europarates über die Cyberkriminalität“ vom November 2001 zur Annahme [31].
Im Bereich des Jugendmedienschutzes überwies der Ständerat im März drei Nationalratsmotionen: Er stimmte der Motion Glanzmann-Hunkeler (cvp, LU) zu, welche die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für die Registrierungspflicht von Wireless-Prepaid-Karten als Massnahme gegen Kinderpornografie im Internet verlangt. Damit verbunden überwies er ein Postulat der Kommission für Rechtsfragen, die den Bundesrat auffordert, eine umfassende Strategie zur Ermittlung von Internetstraftätern vorzulegen. Im weiteren nahm er die Motionen von Norbert Hochreutener, cvp, BE und Evi Allemann (sp, BE) an, die ein Verkaufsverbot für Killerspiele fordern [32].
Im Juni verabschiedete der Bundesrat das Programm „Jugendmedienschutz und Medienkompetenz“, das 2011–2015 vom Bundesamt für Sozialversicherungen koordiniert und umgesetzt werden wird. Im Gegensatz zu den Killerspielvorstössen aus dem Parlament setzt dieses v.a. auf Sensibilisierung und Prävention. Weitergehende Regulierungsmassnahmen auf Bundesebene, wie sie v.a. aus den Reihen der CVP verlangt wurden, gedachte der Bundesrat bis Programmabschluss und dem allfälligen Nachweis eines zusätzlichen Regulierungsbedarfs zurückzustellen. Der Ständerat überwies ein Postulat Savary (sp, VD), welche die Erstellung eines Berichts zur Praxis des illegalen Herunterladens von Musik im Internet fordert (siehe auch Kapitel 8b Kulturpolitik) [33].
Im September nahm der Ständerat eine Motion von Ivo Bischofberger (cvp, AI) an, welche die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für ein koordiniertes Vorgehen gegen Internetkriminalität und im Bereich des Jugendmedienschutzes unter der Führung des Bundes fordert. Bislang sind diverse Bundes-, aber auch interkantonale und kantonale Stellen und Sondereinrichtungen mit entsprechenden Präventions- und Schutzaufgaben sowie mit der Strafverfolgung betraut. Der Nationalrat wird die Motion 2011 behandeln. Bereits im Sommer hatte Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (cvp, ZH) eine parlamentarische Initiative mit gleicher Forderung eingereicht, die im Berichtsjahr noch nicht zur Verhandlung ins Plenum gelangt war [34].
In der Herbstsession nahm der Ständerat eine weitere Motion zum Thema Jugendmedienschutz an. FDP-Vertreter Rolf Schweiger (ZG) fordert darin die Entwicklung eines Medienführerscheins für Jugendliche samt Verankerung eines Programms zur Förderung der Medienkompetenz im Lehrplan 21. Diese Vorlage sowie zwei im Dezember eingereichte Postulate ähnlicher Stossrichtung waren Ende des Jahres im Nationalrat noch hängig [35].
Im Bestreben, die Sicherheit des elektronischen Datentransfers im Geschäfts- und Behördenverkehr zu erhöhen, lancierte das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco Anfang Mai das Pilotprojekt Suisse-ID. Der elektronische Identitätsnachweis soll Privaten und Unternehmen einen sicheren Datenaustausch über das Internet bis hin zur Abgabe einer rechtsverbindlichen elektronischen Unterschrift ermöglichen [36].
Im Zusammenhang mit dem Internet beschäftigten Fragen zur Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit sowie zur Handhabung von Personendaten die Gerichte diverser Stufen. Im Februar bestätigte das Bundesgericht ein Urteil der Aargauer Justiz, die den Geschäftsführer einer Einzelfirma wegen Begünstigung verurteilte. Über die Internetplattform der Firma waren ehrverletzende Aussagen über einen Lokalpolitiker verbreitet worden. Statt die IP-Adressen der Plattformbenutzer nach „Bundesgesetz betreffend Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs“ ordnungsgemäss zu speichern und aufzubewahren waren diese gelöscht worden. Das Gericht befand, dass der Geschäftsführer dadurch die Strafverfolgung behindert und sich der Begünstigung einer über das Internet begangenen Straftat schuldig gemacht hatte. Im Fall einer Ehrverletzungsklage hielt das Bundesgericht im November in einem Grundsatzurteil fest, dass der Quellenschutz auch für Blogbeiträge gilt, solange diese ein Minimum an Information beinhalten. Provider könnten nicht dazu verpflichtet werden, die Internetadresse einer Quelle bzw. eines Informationslieferanten herauszugeben. Bei Berufung auf das Redaktionsgeheimnis hätten sie sich jedoch anstelle der Quelle einem allfälligen strafrechtlichen Verfahren zu stellen [37].
 
[29] AB SR, 2010, S. 550.
[30] AB NR, 2010, S. 1800 ff.; NZZ, 3.12. und 11.12.10; CdT, 11.12.10.
[31] BBl, 2010, S. 4697 ff.
[32] AB SR 2010, S. 354 f.; NZZ, 13.4.10.
[33] Medienmitteilung EDI, 14.6.10; AB NR 2010, Beilagen Wintersession, S. 370 f.; NZZ, 20.11.10.
[34] AB SR 2010, S. 825 f.; Pa.Iv. 10.473; SGT, 5.7.2010; NZZ, 17.9.10.
[35] AB SR 2010, S. 823 ff.; NZZ, 17.9.10.
[36] SGT, 4.5.10; NZZ, 4.5. und 6.8.10.
[37] BGE 69 IV 118, BaZ, 2.2.10; BGE 136 IV 145; NZZ, 11.11.10.