Année politique Suisse 2011 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik / Internationale Organisationen
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UNO
Der Bundesrat kündigte im Januar die Kandidatur der Schweiz für den UNO-Sicherheitsrat an. Würde die Schweiz durch die UNO-Generalversammlung im anvisierten Wahljahr 2022 gewählt werden, wäre das Land nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates für die Periode 2023−2024. Laut Aussenministerin Micheline Calmy-Rey könnte die Schweiz ihre Interessen so besser vertreten und ihr Engagement im Bereich der Friedensförderung verstärken sowie die internationale Vernetzung vertiefen. Die Idee für eine Kandidatur wurde von beiden Aussenpolitischen Ratskommissionen unterstützt. Nach Ansicht des Bundesrates wäre der Einsatz im Sicherheitsrat mit der Neutralität vereinbar und würde den verschiedenen Guten Diensten der Schweiz nicht schaden. Die Mehrheit der Parteien zeigte sich grundsätzlich offen für das Vorhaben, das erwartungsgemäss bei der SVP, welche um die schweizerische Neutralität besorgt war, auf Ablehnung stiess. Die Frage nach der Vereinbarkeit eines möglichen Sicherheitsratsmandats mit der Neutralität wurde auch in der Presse kontrovers diskutiert [80].
Die eidgenössischen Räte überwiesen im Berichtsjahr eine Motion Amherd (cvp, VS), welche den Bundesrat aufforderte, auf UNO-Ebene einen Resolutionsentwurf zur Verpflichtung der Staaten einzubringen, Massnahmen zum Schutz der Kinder vor Missbrauch im Internet zu ergreifen. Sowohl der Bundesrat als auch die ständerätliche Rechtskommission beantragten die Annahme der Motion. Dieser Empfehlung folgten beide Räte [81].
Im Ständerat zur Beratung stand die Motion Gadient (bdp, GR), welche eine möglichst rasche Ratifizierung des von der UNO-Generalversammlung angenommenen Übereinkommens zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen forderte. Das Begehren war bereits 2009 vom Nationalrat angenommen worden. Das internationale Abkommen verlangt Massnahmen zum Schutz aller Personen gegen Freiheitsentzug durch staatliche Organe oder mit Wissen des Staates – ohne dass der Staat diesen Freiheitsentzug bestätigt oder über das Schicksal der betroffenen Person Auskunft erteilt. Folglich wird durch dieses staatliche Handeln den Betroffenen der nötige rechtliche Schutz verweigert. Die Kommission für Rechtsfragen (RK-SR) machte bei der Beratung im Ständerat darauf aufmerksam, dass durch eine Ratifikation für die Kantone gewisse Vollzugsprobleme entstehen könnten. Diese sollten jedoch durch das Vernehmlassungsverfahren gelöst werden und einer Ratifikation nicht im Wege stehen. Die Ständevertreter folgten dieser Argumentation und überwiesen die Motion an den Bundesrat [82].
Die beiden Räte berieten 2011 den Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des UNO-Feuerwaffenprotokolls. Durch diese Vorlage sollte der illegale Waffenhandel wirksamer bekämpft sowie die Herstellung von illegalen Waffen eingedämmt werden. Im Ständerat war das Geschäft unumstritten und der Beschluss wurde einstimmig angenommen. In der grossen Kammer hingegen forderte eine Minderheit Bortoluzzi (svp, ZH) Nichteintreten, weil das Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition nach 2007 bereits wieder abgeändert werden müsste. Der Antrag Bortoluzzi erhielt jedoch nur aus dem SVP- und vereinzelt aus dem FDP-Lager Unterstützung und wurde abgelehnt. In der Schlussabstimmung wurde der Beschluss auch vom Nationalrat mit 140 zu 52 Stimmen angenommen. Die entsprechenden Änderungen am Waffengesetz werden detailliert in Teil I, Kapitel 1b (Waffenrecht) erläutert [83].
Im Zusammenhang mit dem Einsatz der Nato zum Schutz der Zivilbevölkerung in Libyen und auf Basis der Resolution 1973 des UNO-Sicherheitsrats, welche die Schweizer Landesregierung offiziell zur Kenntnis genommen hatte, erteilte der Bundesrat im März einem Konvoi von britischen Militärfahrzeugen die Erlaubnis zur Durchfahrt der Schweiz. Dies rief von seiten der SVP Kritik hervor, welche das Vorgehen des Bundesrats als Aushöhlung der Neutralität wertete. Die Landesregierung argumentierte, dass der Sicherheitsrat das Mandat für den Einsatz erteilt habe. Im selben Monat erteilte das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) der Nato auch die Erlaubnis zum Überflug des schweizerischen Territoriums [84].
Die Schweiz unterstützte die UNO, nebst den üblichen finanziellen Beiträgen, im Berichtsjahr mit einer einmaligen Zahlung von CHF 50 Mio. zwecks Renovierung der UN-Gebäude in Genf. Im Ende Juni vom Bundesrat getroffenen Entscheid wurde die Bedingung festgelegt, dass die Gelder auch zu einer Erhöhung der Energieeffizienz der Gebäude beitragen müssen. Zudem gab die UNO-Generalversammlung Ende Jahr einen Kredit von USD 3.6 Mio. frei, um die Sanierung der Genfer Gebäude zu planen [85].
Alt-Bundesrat Joseph Deiss gab im September sein Amt als Präsident der UNO-Generalversammlung ab. Er erhielt nach Ende seines Amtsjahres von verschiedenen Seiten Lob für sein grosses Engagement. Als persönliche Erfolge schätzte Deiss die vorangegangenen Reformbemühungen im Sicherheitsrat, das Vorgehen der UNO bei der Unterstützung der Demokratisierungsbewegungen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, allen voran in Libyen, sowie die verstärkte Zusammenarbeit zwischen der UNO und den G-20 ein [86].
Ende September wurde eine von der Schweiz zusammen mit Argentinien und Marokko ausgearbeitete Resolution im UNO-Menschenrechtsrat in gegenseitigem Einvernehmen verabschiedet. Durch diesen Entscheid wurde die Position eines neuen Sonderberichterstatters geschaffen, welcher die UNO-Mitgliedsstaaten in Situationen beraten und unterstützen kann, in welchen die Menschenrechte oder das humanitäre Völkerrecht grob verletzt werden [87].
 
[80] Medienmitteilung EDA vom 12.1.11; 24H und SoS, 13.1.11; vgl. SPJ 2010, S. 83.
[81] Mo. 10.4148: AB NR, 2011, S. 529; AB SR, 2011, S. 855; siehe auch Teil I, Kapitel 1b (Sexuelle Straftaten an Kindern).
[82] Mo. 08.3915: AB SR, 2011, S. 72 ff.; vgl. SPJ 2009, S. 67.
[83] BRG 11.025: AB SR, 2011, S. 853 ff. und 1310; AB NR, 2011, S. 1914 ff. und 2284; vgl. SPJ 2010, S. 82.
[84] Medienmitteilungen EDA vom 21.1. und 18.3.11; BaZ, 23.3.11; LT, 24.3.11.
[85] LT, 20.7.11; TG, 27.12.11.
[86] NZZ, 31.8.11; vgl. SPJ 2010, S. 82.
[87] Medienmitteilung EDA vom 29.9.11.