Année politique Suisse 2011 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Strukturpolitik
Im August legte der Bundesrat einen Bericht über die administrative Entlastung von Unternehmen vor. Dabei zog er eine positive Bilanz bezüglich der Umsetzung der 125 Massnahmen, welche 2006 mit dem Ziel angesetzt wurden, die Wirtschaft um ca. 1 Milliarde zu entlasten. Die Regierung gab bekannt, dass 99 Massnahmen voll realisiert und weitere 16 teilweise vollzogen oder zumindest eingeleitet wurden. Von den wichtigsten Reformprojekten waren mit Ausnahme der Revision der Mehrwertsteuer, welche das Parlament bis dato abgelehnt hatte, alle umgesetzt worden. Dazu zählten insbesondere die Schaffung eines KMU-Portals, die Einheitsnummer für Firmenidentifikation, Erleichterungen im elektronischen Geschäfts- und Amtsverkehr sowie die elektronische Veröffentlichung des schweizerischen Handelsamtsblattes (SHAB). Auch wenn die Schweiz im internationalen Vergleich dank ihrer schlanken Verwaltung gut dastand, gab sich der Bundesrat damit nicht zufrieden. Im Rahmen der Wachstumspolitik erachtete er es weiterhin als zentral, Unternehmen auf administrativer Ebene zu entlasten und ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu stärken. Zu diesem Zweck enthielt der Bericht 20 neue Massnahmen. Unter anderem wurden Harmonisierungen im Planungs- und Baurecht, Erleichterungen im Bereich der Rechnungslegung und eine Weiterentwicklung von E-Government angestrebt. Der Bundesrat prüfte ausserdem die Einführung eines sogenannten Bürokratiebarometers. Mit dieser regelmässig stattfindenden Umfrage von UnternehmerInnen erhoffte sich der Bundesrat, weitere reformbedürftige Bereiche zu identifizieren [9].
Ende 2011 lief die Finanzierung verschiedener Instrumente der Standortförderung des Bundes aus. Davon betroffen waren die Exportförderung, die Promotion des Wirtschaftsstandorts Schweiz im Ausland (Standortpromotion), die touristische Landeswerbung (Schweiz Tourismus) und das E-Government. Des Weiteren wurden den eidgenössischen Räten eine neue Gesetzesgrundlage und ein Finanzierungsbeschluss über die Förderung von Innovation, Zusammenarbeit und Wissensaufbau im Tourismus (Innotour) unterbreitet. Zudem wurden Anpassungen bezüglich der befristeten Ergänzung der Versicherungsleistungen der Schweizerischen Exportrisikoversicherung (SERV), des Bundesgesetzes über das gewerbliche Bürgschaftswesen sowie in Bezug auf den Finanzierungsbeschluss über die Neue Regionalpolitik (NRP) angestrebt. Im Februar beantragte der Bundesrat dem Parlament, für diese Bereiche gesamthaft 316 Millionen Franken für die Jahre 2012 bis 2015 zu bewilligen. Abweichend von den Anträgen des Bundesrates stockten die beiden Kammern die Beiträge für Schweiz Tourismus und die Agentur für Exportförderung (Osec) auf. Insgesamt sprach das Parlament 360 Millionen Franken für die Standortförderung. Der Löwenanteil von 222 Millionen entfiel dabei auf die Marketingagentur Schweiz Tourismus. Ursprünglich hatte der Bundesrat dafür 187,3 Millionen Franken vorgesehen. Angesichts der auf die Frankenstärke zurückzuführenden Schwierigkeiten der Tourismusbranche einigten sich der Ständerat und der Nationalrat jedoch darauf, die Finanzhilfen deutlich zu erhöhen. Die Beiträge für die Osec hoben die beiden Parlamentskammern von 75 auf 84 Millionen Franken an [10].
In der Sommersession überwies der Nationalrat überdies ein Postulat seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK). Der Bundesrat wurde damit beauftragt, im Rahmen seiner Standortförderungs-Strategie eine bessere Integration der Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung zu prüfen [11].
Mit der Neuen Regionalpolitik (NRP) erfolgte 2008 ein Paradigmenwechsel in der Regionalpolitik des Bundes. Die wirtschaftliche Entwicklung von ländlichen Regionen und Berggebieten wurde nicht mehr nur durch direkte Investitionen in die Infrastruktur, sondern in Form einer Stimulierung der Wertschöpfung auch auf indirekte Weise gefördert. Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) evaluierte diese Neuausrichtung des Bundes. Die Ergebnisse wurden im Januar im Rahmen einer Regionalentwicklungs-Konferenz in Chur präsentiert. Die OECD stellte der Schweiz insgesamt ein gutes Zeugnis für ihre neue Regionalpolitik aus. Dennoch wies der Bericht auf verschiedene Verbesserungspotentiale hin. Die OECD kritisierte die Beschränkung der NRP auf ländliche Gebiete. Aus zwei Gründen riet sie zu einer Ausdehnung auf die Zentren. Zum einen verwies der Bericht auf die geringen entwicklungspolitischen Herausforderungen der Schweiz. In der Peripherie stellten im Urteil der OECD weder die Abwanderung noch die Überalterung ein akutes Problem dar. Zum anderen gab der Bericht zu bedenken, dass der Nichteinbezug der urbanen Gebiete Synergieeffekte zwischen den forschungsintensiven Zentren und den anwendungsorientierten Betrieben in den ländlichen Regionen verunmögliche. Der Bericht der OECD war darüber hinaus der Ansicht, dass die Kluft zwischen den politischen Einheiten und der wirtschaftlich-soziografischen Realität die Effizienz der Standortpolitik erschwere. Schliesslich ortete er Doppelspurigkeiten mit der Agglomerationspolitik des Bundes [12].
Im Hinblick auf das Programm 2016-2023 der NRP wurde der Bundesrat durch die Annahme des nationalrätlichen Postulats von Siebenthal (svp, BE) damit beauftragt, über die Umsetzung und die Wirksamkeit der neuen Regionalpolitik eine gründliche und kritische Evaluation vorzunehmen und zuhanden des Parlamentes einen entsprechenden Bericht zu erstatten [13].
Im Bereich der Ladenöffnungszeiten hiess der Nationalrat eine Motion Hutter (fdp, ZH) gut. Diese verlangte, dass die Kantone die Öffnungszeiten von Verkaufsstellen und Dienstleistungsbetrieben nach eigenem Ermessen festlegen. Bisher konnten die Kantone die Öffnungszeiten von Montag bis Samstag jeweils zwischen 6 und 23 Uhr nach ihren regionalen Bedürfnissen gestalten. Der Entscheid des Ständerates stand allerdings noch aus [14].
Im November lancierte ein aus Genfer Weinbauern bestehendes Komitee mit dem Namen La Vrille die Volksinitiative «für eine Wirtschaft zum Nutzen aller». Diese schlug eine radikale Wende zu Gunsten einer Wirtschaftsordnung vor, welche die Umwelt und die lokalen gesellschaftlichen Strukturen berücksichtigt [15].
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KMU
Im Bereich der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) nahmen die eidgenössischen Räte zwei Motionen der FDP-Fraktion an. Der eine Vorstoss zielte darauf ab, anlässlich der Erneuerung der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und Kantonen 2011 die Realisierung von E-Government-Angeboten zur administrativen Entlastungen der Unternehmen im Verkehr mit Verwaltungsstellen zu beschleunigen [16].
Die andere Motion forderte die elektronische Zollabfertigung von Waren via ein interaktives Internetportal [17].
Die Motion Hochreutener (cvp, BE), die eine Erhöhung der Kreditlimiten im gewerblichen Bürgschaftswesen forderte, wurde im Dezember des Berichtsjahres abgeschrieben, da der Urheber des Vorstosses nach den Parlamentswahlen aus dem Nationalrat ausschied [18].
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Tourismus
Der Tourismus litt im Berichtsjahr unter dem starken Schweizer Franken. Gegenüber 2010 ging die Anzahl der Logiernächte um 2% zurück, wobei die Destinationen im Alpenraum überdurchschnittlich viele Gäste einbüssten. Die vom Bundesrat im August in Aussicht gestellten Massnahmen zur Abfederung der Frankenstärke weckten die Begehrlichkeiten der Tourismusbranche. Deren Vertreter setzten sich insbesondere für eine temporäre Senkung des Mehrwertsteuersatzes ein. Die entsprechenden Vorstösse scheiterten jedoch im Parlament. Im Rahmen des Abfederungspakets gegen die Stärke des Schweizer Frankens wurde der Tourismussektor einzig mit einem bis 2015 befristeten Darlehen an die Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit (SGH) in der Höhe von 100 Millionen Franken unterstützt. Diese Gelder kamen erst dann zum Tragen, falls Hoteliers mit zukunftsträchtigen Projekten keine Kredite von Banken mehr erhalten und die regulären Mittel der SGH ausgeschöpft waren [19].
In der Wintersession hiess der Nationalrat mit 93 zu 92 Stimmen eine Motion Graber (svp, BE) gut, die mittels eines dringlichen Bundesbeschlusses durch den Bundesrat die Befreiung der Mehrwertsteuer von Beherbergungsdienstleistungen für das Jahr 2012 forderte. Die SVP, eine Mehrheit der CVP und die Hälfte der FDP-Fraktion stimmten der Motion zu, während sie von der SP und den Grünen abgelehnt wurde. Der Entscheid des Ständerates erfolgte erst im darauffolgenden Jahr [20].
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Eine Motion Flückiger-Bäni (svp, AG) verlangte, die Rückerstattung der Mehrwertsteuer bei der Ausfuhr im Reiseverkehr auf Stufe des Vollzugs zu vereinfachen. Nachdem der Nationalrat diesen Vorstoss bereits im Vorjahr angenommen hatte, stimmte ihm im Berichtsjahr auch der Ständerat zu .
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Geldspiel
Im Jahr 2009 hatte die Loterie Romande mit über 170 000 Unterschriften die Volksinitiative «für Geldspiele im Dienste des Allgemeinwohls» eingereicht. Deren Ziel bestand darin, das Lotteriemonopol der Kantone in der Verfassung zu verankern. Dadurch wollten die Initianten erreichen, dass die Gewinne aus den Lotteriegeldern weiterhin für kulturelle undsoziale Projekte sowie für die Sportförderung eingesetzt werden konnten. Die beiden Lotteriegesellschaften Swisslos (Deutschschweiz und Tessin) und die Loterie Romande lieferten jährlich rund 550 Millionen Franken an die kantonalen Lotterie-und Sportfonds ab. Der Bundesrat, der 2007 noch eine vorsichtige Liberalisierung des Lotteriewesens ins Auge gefasst hatte, nahm das Aufliegen der Volksinitiative vollumfänglich auf, indem er auf Verfassungsebene einen direkten Gegenvorschlag ausarbeitete. Dieser schrieb das Lotteriemonopol der Kantone in der Verfassung fest und sah die ausschliessliche Verwendung der Gewinne für gemeinnützige Zwecke vor. Somit wurde der Status quo auf Verfassungsebene zementiert. In der Frühjahrssession stellte sich der Ständerat einstimmig hinter diesen Gegenentwurf. Auch im Nationalrat war das das Geschäft parteipolitisch breit abgestützt. Ende September wurde der Gegenentwurf mit 137 zu 3 Stimmen angenommen. Aufgrund der Tatsache, dass das Parlament die Anliegen der Volksinitiative aufnahm, zeichnete sich der Rückzug der Volksinitiative ab. Dieser erfolgte dann im Oktober. Somit musste die Stimmbevölkerung nur noch über den direkten Gegenvorschlag befinden (obligatorisches Referendum). Der Bundesrat setzte die entsprechende Abstimmungsvorlage auf den 11. März 2012 an [22].
Im Bereich der Besteuerung von Lotteriegewinnen beantragte der Bundesrat im August Zustimmung zu einem Gesetzesentwurf, der auf eine 2009 eingereichte parlamentarische Initiative Niederberger (cvp, NW) zurückging. Das Bundesgesetz über die Vereinfachung von Lotteriegewinnen sah vor, die steuerliche Freigrenze von 50 auf 1000 Franken anzuheben, was der ersten Anpassung seit 1945 entsprach. Im September stimmte der Ständerat der Vorlage mit 28 zu 0 Stimmen zu. Dieser Entscheid musste noch vom Nationalrat bestätigt werden [23].
Der Bundesrat entschied im Juni über die Konzessionen von zwei Spielbankenprojekten. Den Zuschlag erhielt in der Stadt Zürich die Swiss Casinos Zürich AG im „Haus Ober“ und in der Region Neuenburg die FBAM Neuchâtel SA im „Casino de la Rotonde“ [24].
 
[9] Medienmitteilung Seco vom 24.8. 12; Die Volkswirtschaft (Nr. 9/2011); NZZ, 25.8.11.
[10] BRG 11.019: AB NR, 2011, S. 806 ff.; AB SR, 2011, S. 1609 ff.; BBl, 2011, S. 2337 ff.; NZZ, 23.9.11.
[11] Po. 11.3466: AB NR, 2011, S. 819.
[12] Lit. OECD; NZZ und SGT, 22.1.11.
[13] Po. 11.3697: AB NR, 2011, S. 1844.
[14] Mo. 09.3938: AB NR, 2011, S. 756 f.
[15] BBl, 2011, S. 8067 f.
[16] Mo. 10.3946: AB NR, 2011, S. 528; AB SR, 2011, S. 805.
[17] Mo. 10.3949: AB NR, 2011, S. 529; AB SR, 2011, S. 933.
[18] Mo. 10.3792; SPJ 2010, S. 112.
[19] Zu den Logiernächten: Medienmitteilung BFS, 21.2.12. Zum Massnahmenpaket zur Abfederung der Frankenstärke: BRG 11.048: AB SR, 2011, S. 774 ff.; AB NR, 2011, S. 1525 ff.; NZZ, 1.9.11; TA, 15.9.11.
[20] Mo. 11.3950: AB NR, 2011, S. 2221.
[21] Mo. 09.4060: AB SR, 2011, S. 206.
[22] BRG 10.093: AB SR, 2011, S. 2 ff.; AB NR 2011, S. 1610ff.; BBl, 2011, S. 7398 ff.; BBl, 2011, S. 7991; Lib., 1.3.11; NZZ, 15.2.1 und 29.9.11; vgl. SPJ 2010, S. 112 f.
[23] Pa.Iv. 09.456: AB SR, 2011, S. 870 f.; NZZ 22.9.11.
[24] Medienmitteilung EJPD vom 22.6.11.