Année politique Suisse 2011 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Banken, Börsen und Versicherungen
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Bankgeheimnis
Der Druck der US-Behörden auf den Schweizer Finanzplatz nahm im Berichtsjahr erneut zu. Weil das amerikanische Vorgehen eine starke Wirkung auf das Bankgeheimnis entfaltete, wird der Disput hier behandelt. Zu einzelnen Steuerabkommen mit anderen Ländern siehe oben, Teil I, 2, Bilaterale Beziehungen.
Im Februar 2009 hatte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) unter Anwendung von Notrecht (Schutzverfügung nach Art. 25 und 26 Bankengesetz) eine Lieferung von 255 Kundendaten durch die UBS an die USA angeordnet. Damit sollte eine mögliche existenzbedrohende US-Strafklage gegen die UBS verhindert werden. Dieses Vorgehen wurde 2011 vom Bundesgericht gestützt, womit das erstinstanzliche Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 2010 hinfällig wurde. Im Nachgang der durch die Finma angeordneten Datenlieferung und unter dem starken Druck der USA (Zivilklage gegen die UBS) war der Bundesrat bereit, in einem Protokoll zum Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit den USA die ungenaue Rechtslage des DBA zu präzisieren (September 2009). Danach sollte Amtshilfe (rückwirkend) auch bei fortgesetzter, schwerer Steuerhinterziehung möglich sein. Im konkreten Fall führte die Präzisierung zur Prüfung von Datenlieferungen von 4 450 UBS-Kunden, welche seit dem Jahr 2000 der fortgesetzten, schweren Steuerhinterziehung verdächtig wurden. Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Jahr 2010 eine Beschwerde gegen diesen Teil der neuen Regelung gutgeheissen. Es stellte fest, dass die rückwirkend geltende Auslegung der DBA-Regelung im Protokoll zum DBA einer Rechtsgrundlage entbehrte. Das Parlament hatte im September 2010 das mittlerweile als Staatsvertrag behandelte, völkerrechtlich geschlossene und bindende Protokoll zum DBA in Form eines einfachen Bundesbeschlusses widerwillig gutgeheissen. Dadurch wurde die Datenlieferung im Zusammenhang mit den 4 450 UBS-Kunden und deren Steuerhinterziehung ab 2000 legalisiert. Die allgemeine, nicht rückwirkende Anpassung des DBA (Amtshilfe bei Steuerhinterziehung) bedurfte keiner Zustimmung durch das Parlament und kann durch die Vertragsstaaten USA und Schweiz ratifiziert und per September 2009 in Kraft gesetzt werden, was allerdings bis Ende 2011 von keine der Parteien erfolgte [33].
Der Staatsvertrag in Sachen DBA/UBS regelte zwar nur den Einzelfall UBS, sah aber im Sinne eines Präzedenzfalls Verhandlungen über ein ähnliches Abkommen vor, sollte eine weitere Unternehmung in vergleichbarem Ausmass („gleiches Handlungsmuster unter gleichen Umständen“) US-Recht gebrochen haben wie die UBS. Ein solches Abkommen hätte bei entsprechendem Abschluss ebenfalls rückwirkende Datenlieferung im Zusammenhang mit fortgesetzter, schwerer Steuerhinterziehung ausgelöst. Die USA nutzten diese Präzedenzwirkung um im Berichtsjahr Druck auf die ebenfalls systemrelevante Credit Suisse (CS) aufzubauen. Die US-Behörden beschuldigten die Bank, ähnlich wie die UBS gehandelt zu haben und forderten sie dazu auf, ebenfalls rückwirkend, Kundendaten zu liefern. Weil im Bundesbeschluss vom September 2010 betreffend rückwirkende Datenlieferungsoption nur der Einzelfall UBS erfasst war, hätte eine entsprechende Anwendung des genannten Passus erneut via Staatsvertrag und Absegnung durch das Parlament erfolgen müssen. Dies löste unter allen grossen Parteien starken Wiederstand aus, wenngleich anerkannt wurde, dass eine US-Strafklage gegen die CS ebenfalls existenzbedrohendes Ausmass annehmen würde. Der Bundesrat schloss einen neuerlichen Staatsvertrag mit rückwirkender Amtshilfe dezidiert aus, weil er das Verhalten der CS als ungleich weniger gravierend einstufte, als jenes der UBS. Dabei äusserte er rechtsstaatliche Bedenken bezüglich der Rückwirkung. Genannter Passus konnte nur bis zur Erfüllung des UBS-Staatsvertrags angewendet werden, was zum Zeitpunkt der US-Drohungen schon fast vollständig der Fall war (vollständig spätestens ab September 2011). Weil der Bundesrat eine erneute Anwendung von Notrecht kategorisch ausschloss, schien es jedoch ungeachtet der Vorgeschichte möglich, dass die Schweiz erneut den Weg via Staatsvertrag nehmen musste, wenn entsprechender Druck aus den USA im Falle der CS stark und glaubwürdig ansteigen würde [34].
Im Frühjahr 2011 lancierte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf die Diskussion zur Übernahme der in absehbarer Zeit erneut überarbeiteten OECD-Standards für Amtshilfe in Steuersachen (OECD Musterabkommen für Doppelbesteuerungsabkommen), wonach Amtshilfe auch für Gruppenanfragen ohne spezifische Namensnennung und aufgrund von Verhaltensmustern möglich sein soll, sofern der Bank „aktives, schuldhaftes Verhalten“ angelastet werden kann. Bundesrätin Widmer-Schlumpf argumentierte, dass nach der ersten Anerkennung des OECD-Amtshilfestandards eine Nichtübernahme der angepassten Standards international kaum akzeptiert würde. Deshalb sprach sie sich für eine entsprechende Anpassung der in der Zwischenzeit abgeschlossenen DBA rückwirkend per Änderungsdatum (USA: September 2009) aus. Rechtsexperten wiesen darauf hin, dass das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom März 2009 Gruppenanfragen erlaubt habe, weshalb eine Anpassung des DBA rechtlich nicht nötig sei. Nach anderer Meinung wurde entsprechender Gerichtsbeschluss auf Basis des DBA mit den USA von 1996 gefällt, was nicht impliziere, dass Gruppenanfragen auch auf Basis des neuen DBA mit den USA von 2009 möglich sein würden. Der Bundesrat erachtete es aber, abgesehen von der rechtlichen Notwendigkeit, als angezeigt, dass Parlament über die Auslegeregelung befinden zu lassen, weil die neue Auslegung der bisher vom Bundesrat kommunizierten Position teilweise widerspräche [35].
Die Verhandlungen mit den USA zu Beilegung des Steuerstreits entwickelten sich im Sommer 2011 dahingehend, dass ein Vergleich immer wahrscheinlicher wurde. Kurz bevor der Ständerat als Erstrat die Anpassung der bestehenden DBA an die zukünftig zu erwartenden OECD-Standards (Zulassung von Gruppenanfragen) beriet, berichtete Staatssekretär Michael Ambühl (Chefunterhändler mit den USA), dass die Vereinigten Staaten zu einer Globallösung bereit wären. Dazu forderten die USA die Übernahme der künftigen OECD-Standards im neuen US-Doppelbesteuerungsabkommen per September 2009 sowie die Lieferung von anonymisierten statistischen Daten zu US-Kundenbeziehungen von zehn Schweizer Banken (Mindestguthaben USD 50 000; Zeitraum 2002 bis 2010). Diese Datenlieferung, die nach gängiger Leseart keinen Bruch mit dem Bankgeheimnis darstellte, wurde im September 2011 teilweise direkt durch die Banken, in Absprache mit dem zuständigen Staatssekretariat für internationale Finanzfragen getätigt. Weiter sollte der gesamte Finanzplatz eine Busse im Umfang von ungefähr CHF 2 Mia. bezahlen. Im Gegenzug versicherten die USA, auf Straf- und Zivilklagen gegen Schweizer Banken verzichten zu wollen. Der Vergleich scheiterte vorerst am Widerstand des Ständerats: Politiker der SVP, CVP und FDP monierten, dass der Umfang der Gruppenanfragen zu wenig genau umrissen und daher die seriöse Prüfung der Vorlage nicht möglich sei. Das Geschäft wurde vertagt. In der Wintersession 2011 verhalfen die Mitteparteien, ideell unterstützt durch die Bankiervereinigung, der Vorlage im Ständerat zum Durchbruch. Lediglich die SVP wehrte sich gegen die vorzeitige Übernahme der künftigen OECD-Standards im neuen DBA mit den USA mit Hinweis auf den Bruch des Bankgeheimnisses. Die Ergänzung der bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen mit den künftigen OECD-Standards wird 2012 vom Nationalrat behandelt werden [36].
Die USA verschärften ab Dezember 2011 den Druck auf den Schweizer Finanzplatz erneut. Sie forderten zusätzlich zu den bereits erhaltenen anonymisierten statistischen Angaben zu US-Kundenbeziehungen in der Schweiz unter anderem Informationen bezüglich Korrespondenz mit und über die US-Kunden und die Bezahlung einer Busse in der Grössenordnung von nun CHF 3 Mia. (Summe für den gesamten Finanzplatz). Abkommen dieser Form wurden elf Schweizer Banken individuell unterbreitet, womit sich die Krise von einer Globallösung (Vergangenheitsbewältigung für den gesamten Finanzplatz) wegbewegte. Die Erfüllung der Bedingungen hätte für das einzelne Institut Klagefreiheit bedeutet, nicht aber für den gesamten Finanzplatz. Die Angelegenheit war am Jahresende pendent [37].
Der Bundesrat publizierte im Berichtsjahr die Botschaft zum Bundesgesetz über internationale Amtshilfe (Steueramtshilfegesetz). Der Entwurf beinhaltet verfahrensrechtliche Grundlagen für den Vollzug von Amtshilfegesuchen bei Steuerbetrug sowie (einfacher und schwerer) Steuerhinterziehung. Ebenso regelt er, inwiefern die kantonalen Steuerverwaltungen die für ausländische Behörden im Zuge eines Amtshilfegesuchs erhobenen Steuerdaten ebenfalls nutzen dürfen. Der Bundesrat hatte dazu in der Vernehmlassung zwei unterschiedliche Regelungen vorgeschlagen: Erstere sollte es den Kantonen erlauben, Amtshilfedaten über möglichen Steuerbetrug und schwere Steuerhinterziehung auch im Inland zu nutzen. In der zweiten Variante sollten die Daten den Kantonen ohne Einschränkungen zur Verfügung stehen. Die aktuell gültige Regelung erlaubt den Kantonen die Nutzung von Daten, die für ausländische Behörden ermittelt werden nur dann, wenn die Daten auch nach schweizerischem Steuerrecht hätten erhoben werden dürfen (analog zu Variante 1). Der Bundesrat präferierte denn auch Variante 1, um eine Ungleichbehandlung von in der Schweiz steuerpflichtigen Personen zu vermeiden, während eine Mehrheit der Kantone (Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren) Variante 2 vorzog, um gegenüber den ausländischen Steuerbehörden nicht diskriminiert zu werden. (Diese könnten unter den Bestimmungen der neu ausgehandelten DBA auch bei einfacher Steuerhinterziehung Amtshilfe erwarten) [38]. Der Bundesrat entschied sich für Variante 1 und verabschiedete die Botschaft zum Amtshilfegesetz im Sommer 2011. Im Plenum wurde das Geschäft noch nicht behandelt [39].
Eine Motion Bischof (cvp, SO) beschäftigte sich mit den Doppelbesteuerungsabkommen der Schweiz mit dem Vereinigten Königreich (UK) und den USA. Sie verlangte, dass alle Vertragspartner in Sachen Bankkundengeheimnis ähnliche Regelungen vorsehen müssten. Ivo Bischof erwähnte rechtliche Möglichkeiten in Grossbritannien und den USA, die verhinderten, die wirtschaftlich Berechtigten eines Vermögenswerts offenzulegen. Der Bundesrat wurde beauftragt, eine entsprechende Gesetzesänderung für die Schweiz vorzuschlagen, die eine solche Möglichkeit ebenfalls einschliesse. So sollte ein kompetitiver Rechtsrahmen für den Schweizer Finanzplatz geschaffen werden. Bischof sah ein, dass die Lösungen im Vereinigten Königreich und den USA unbefriedigend seien, ging aber offensichtlich davon aus, dass die ausländischen Regelungen in den Verhandlungen nicht zur Disposition stehen würden. Trotz Einwand des Bundesrats, dass die Motion seinen Handlungsspielraum in den Verhandlungen um die Doppelbesteuerungsabkommen einschränke, wurde sie im Nationalrat (Erstrat) mit 81 zu 75 und im Ständerat (Zweitrat) mit 21 zu 12 angenommen. Zusätzlich zur CVP unterstützte allein die SVP die Motion, während die übrigen Parteien den Vorstoss ablehnten [40].
 
[33] Allgemeines: NZZ, 28.1.11; vgl. SPJ 2009, S. 109 ff., 2010, S. 127 ff. Entscheid Bundesgericht: BGE 2C_127/2010 vom 15.7.2011; NZZ und TA, 16.7.11.
[34] Allgemeines: vgl. SPJ 2010, S. 127 ff. Meinungen der Parteien: TA, 26.2.11. Rechtslage: NZZ, 1.3., 1.7. und 24.8.11. Erfüllung UBS-Staatsvertrag: TA, 26.2.11.; NZZ, 7.9.11.
[35] NZZ, 16.2. und 7.4.11; TA, 7.7. und 22.9.11; vgl. SPJ 2009, S. 111, 2010, S. 132.
[36] BRG 11.027: BBl, 2011, S. 3749 ff. und 6663 ff.; AB SR, 2011, S. 865 ff. und 1146 ff.; Statistische Angaben: NZZ, 8.9.11; TA, 10.9.11. Globallösung: TA und NZZ, 17.9.11. Herbstsession Ständerat: TA, 21.9. und 22.9.11.
[37] TA, 19.12. und 21.12.11.
[38] Betreffend dem Einwand des Bundesrats: Bei einfacher Steuerhinterziehung wäre den kantonalen Behörden bei in der Schweiz und gleichzeitig im Ausland steuerpflichtigen Personen erlaubt, entsprechende Daten für ein Verfahren zu nutzen, bei nur in der Schweiz steuerpflichtigen Personen jedoch nicht.
[39] BRG 11.044: BBl, 2011, S. 6193 ff.; TA, 28.5. und 7.7.11.
[40] Mo. 09.3147: AB NR, 2011, S. 205 f.; AB SR, 2011, S. 864 f.