Année politique Suisse 2011 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation / Verkehrspolitik
Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV), die SBB und der Preisüberwacher einigten sich per 11.12.2011 auf eine
Preiserhöhung im öffentlichen Verkehr von durchschnittlich 1,2%. Dies nachdem die Preise im vorangehenden Jahr im Schnitt um 5,9% gestiegen waren. Die Anhebung der Normal- und Tageskartentarife für Reisende der 1. Klasse war nicht umstritten. Auf Intervention des Preisüberwachers verzichtete der VöV hingegen auf eine Verteuerung der Generalabonnemente (GA) für Junioren/Studierende, Senioren und Lernende. Dadurch müssen die dem VöV angeschlossenen Betriebe einen Ertragsausfall von rund 7,5 Mio. CHF hinnehmen
[8].
Anfang 2011 gab der Bundesrat bekannt, die geplante Vorlage zur
Finanzierung und zum Ausbau der Bahninfrastruktur FABI als Gegenentwurf zur VCS-Initiative „Für den Öffentlichen Verkehr“ ausgestalten zu wollen. Ende März gab er die FABI-Vorlage in die Vernehmlassung. Kernstück bildet der sogenannte Bahninfrastrukturfonds BIF, der künftig Betrieb, Unterhalt und Ausbau des Bahn- und Agglomerationsverkehrs finanziell tragen soll. Dazu sollten der FinöV-Fonds (Neat- und ZEB-Projekte, Anschlüsse ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz HGV, Lärmschutz) und die bisherigen über Leistungsvereinbarungen mit den SBB bzw. Rahmenkredite fliessenden allgemeinen Bundesmittel für den öffentlichen Verkehr in den BIF überführt werden. Zur Deckung des geschätzten Mehrbedarfs von knapp 1 Mia. CHF jährlich für den Unterhalt und den Ausbau der Schieneninfrastruktur von SBB und Privatbahnen bis 2030 sollen neue Finanzierungsquellen erschlossen werden. Diskutiert wurden Kantonsbeiträge, Mehreinnahmen bei der direkten Bundessteuer über eine Pauschalierung bzw. Plafonierung des Fahrkostenabzugs für Auto- und Bahnpendler sowie die weitere Erhöhung der Trassenpreise. In der Vernehmlassung wurde v.a. die geplante Plafonierung des Fahrkostenabzugs auf der Höhe eines Jahresabonnements im Agglomerationsverkehr (bei 800 CHF) sowie die dauerhafte Übertragung des Mineralölsteueranteils von 25% aus dem FinöV-Fonds in den BIF und damit die Perpetuierung der Querfinanzierung Strasse-Schiene kritisiert. In der Presse fand zudem die zu erwartende Verteuerung der Bahntarife breite Resonanz
[9].
Mit der
Institutionalisierung des BIF im Rahmen der FABI-Vorlage soll die bestehende Mittel- und Langfristplanung im öffentlichen Verkehr angepasst werden. Im Grundsatz ergeben sich die Abkehr von eigentlichen Grossprojekten und eine rollende, an die jeweilige Finanzkraft des BIF angepasste Planung, v.a. des Infrastrukturausbaus in Vier- bis Achtjahresschritten. Auf Vorschlag der Arbeitsgruppe Fibi (Finanzierung Bahninfrastruktur: Uvek und EFD) soll das bisherige Planungsinstrument
Bahn 2030 durch das strategische Entwicklungsprogramm Bahninfrastruktur
STEP abgelöst werden. Es deckt derzeit den Zeithorizont bis in die Jahrhundertmitte ab und sieht Investitionen von knapp 43 Mia. CHF vor. Es konzentriert sich auf den Kapazitätsausbau bei den Bahnhöfen (Knotensystem), in den Zügen (Erhöhung Sitzplatzangebot) und auf der Schiene (Halbstundentakt als Regel, Viertelstundentakt auf stark frequentierten Strecken und im Agglomerationsverkehr). In der FABI-Vorlage schlägt der Bundesrat dem Parlament in Ergänzung zu und abgestimmt mit den bereits im Rahmen von ZEB beschlossenen Infrastrukturmassnahmen, die Realisierung weiterer Projekte zum Kapazitätsausbau im Umfang von 3,5 Mia. CHF vor. Mit dem sogenannten Ausbauschritt 2025 soll auf den Strecken Locarno–Lugano, Zürich–Chur, Zürich–Lugano und Bern–Luzern der Halbstundentakt eingeführt, die v.a. den Güterverkehr beeinträchtigende eingleisige Streckenführung zwischen Ligerz und Twann beseitigt, die Publikumsanlagen in den Bahnhöfen verbessert und Infrastrukturinvestitionen der Privatbahnen unterstützt werden. Die im ZEB-Gesetz (ZEBG) festgelegten Verbesserungen auf der Ost–Westachse in den Räumen Lausanne/Genf, Bern und Basel sollen mit Ausnahme des Chestenbergtunnels realisiert werden. Sein Bau soll zurückgestellt werden und die nötigen Mittel zum Einsatz längerer Doppelstockzüge auf der stark belasteten Achse Genf−Winterthur freimachen. Um den immensen Investitionsbedarf zu bewältigen, soll das FinöV-Viertel aus der Mineralölsteuer bis 2030 auch für den BIF beibehalten werden. Die Botschaft zur FABI-Vorlage ist auf Anfang 2012 geplant
[10].
Mit Bezug auf die FABI-Botschaft verlangte ein Posulat Reymond (svp, GE) vom Bundesrat eine Zusammenstellung der
Quersubventionierung Strasse-
Schiene seit den 1950er Jahren. Sie soll die fehlende Darstellung der Finanzflüsse in der Vorlage nachliefern. Der Bundesrat zeigte sich zu einer Zusammenstellung der Rechtsgrundlagen, der politischen Entscheidungen und Begründungen, der Finanzierungsquellen, der Mittelverwendung und der Finanzflüsse bereit. Der Nationalrat nahm die Vorlage stillschweigend an
[11].
Ebenfalls im Zusammenhang mit der FABI-Diskussion überwies die Grosse Kammer ein Postulat Teuscher (gp, BE), das ein
Preisentwicklungsszenario für die nächsten zehn Jahre
im öffentlichen Personen- und Güterverkehr forderte. Hintergrund dazu bildete die Befürchtung, dass übermässig steigende Preise im öffentlichen Verkehr einen Umsteigeeffekt auf die Strasse bewirken könnten
[12].
In Anbetracht des
Finanzierungsengpasses im öffentlichen Verkehr, kündigte der Bundesrat im Herbst des Berichtsjahrs an, eine erste
Erhöhung der Trassenpreise, wie sie als zusätzliche Finanzierungsquelle für den BIF diskutiert wurde, bereits auf Anfang 2012 und damit vor der Verabschiedung der FABI-Botschaft und ungeachtet von deren Akzeptanz in den Räten umsetzen zu wollen. Er sah dazu eine entsprechende Revision der Netzzugangsverordnung vor und rechnete mit jährlichen Mehreinnahmen von 200 Mio. CHF. Begründet wurde dieses Vorgreifen mit den erhöhten Unterhalts- und Erneuerungskosten an der bestehenden Schieneninfrastruktur, verursacht durch den Mehrverkehr, mit ansteigenden Grenzkosten und mit dem Rückstand bei der Überwälzung der Teuerung auf den Trassenpreis. Das BAV rechnete damit, dass diese Massnahme zu einer Erhöhung der Bahnticketpreise um 7% führen werde
[13].
Im Zusammenhang mit der Motion Germanier (fdp, VS)
Investitionssicherheit für Nutzfahrzeuge. Beibehaltung der LSVA-Kategorie für sieben Jahre“ befürchtete der Bundesrat eine Schwächung der Einnahmen aus der Lenkungsabgabe zu Lasten des öffentlichen Verkehrs. In seiner Antwort wies er darauf hin, dass bereits nach bestehendem Schwerverkehrsabgabegesetz ein Transportfahrzeug sechs Jahre ab Zulassung in derselben LSVA-Kategorie verbleibe und er die Verlagerungspolitik nicht mit einer Minderung der Einnahmen schwächen wolle. Der Nationalrat erachtete die finanzielle Entlastung der Fuhrhalter in einem wirtschaftlich schwierigen Umfeld jedoch als nötig und nahm die Motion mit 112 (FDP, SVP überwiegende Mehrheit der CVP) zu 65 (SP, Grüne) Stimmen an. Knapp, mit 6 zu 5 Stimmen, beantragte die KVF-SR ihrem Rat die Annahme der Motion in veränderter Form. Um den Anreiz zur Anschaffung und zum Betrieb möglichst emissionsarmer Fahrzeuge mit einem entsprechenden Investitionsschutz zu stärken und die Einkünfte des Bundes aus der LSVA in den anderen Kategorien nicht zu beschneiden, beschränkte die Kommission den Anreiz auf die günstigste, weil emissionsärmste Fahrzeugkategorie. Der Bundesrat zeigte sich mit der angepassten, durch die Kleine Kammer diskussionslos überwiesenen Motion einverstanden
[14].
Aufgrund der geplanten Übernahme von rund 400 km Kantonsstrassen durch den Bund auf Basis des Sachplans Verkehr vom 26. April 2006 steigen auch die
Investitionen für die Nationalstrasseninfrastruktur. Die vom Bund vorgeschlagene Finanzierung in Form einer Kompensationslösung mit den Kantonen war 2009 in der Vernehmlassung breit durchgefallen. Ende März gab der Bundesrat bekannt, die Botschaft zum
Netzbeschluss zeitgleich mit der FABI-Botschaft Anfang 2012 an die Räte richten zu wollen. Die zu erwartenden Mehraufwendungen in der Höhe von rund 305 Mio. CHF sollen in Reaktion auf die Vernehmlassung nur mit der teilweisen Reduktion von Bundesbeiträgen an die Kantone (30 Mio. CHF) kompensiert werden. Die restlichen 275 Mio. CHF sollen über eine Erhöhung des Preises für die Autobahnvignette (von 40 auf 100 CHF; inkl. Einführung einer Zweimonatsvignette für 40 CHF) finanziert werden. Dabei soll die Preisanpassung erst dann erfolgen, wenn die Rückstellungen in den Spezialfinanzierungen für die Strasse unter 1 Mia. CHF sinken (was nach Schätzung des Bundesrats 2017 der Fall sein dürfte). Der neu vorgeschlagene Finanzierungsmodus für die Komplettierung des Nationalstrassennetzes erfordert eine Revision des Gesetzes über die Abgabe und Benützung der Nationalstrassen. Diese gab der Bundesrat zeitgleich mit FABI in die Vernehmlassung. Angesichts mangelnder Alternativen beurteilten knapp zwei Drittel der Vernehmlassungsteilnehmer den Vorschlag des Bundesrats als gangbaren Weg mit mittelfristiger Präferenz hin zu einem elektronischen Abrechnungssystem anstelle der Klebevignette. Abgelehnt wurde die Erhöhung des Vignettenpreises von der SVP, einer überwiegenden Mehrheit der Verkehrsverbände (TCS, strasseschweiz, autoschweiz, Astag) sowie von gewichtigen gesamtschweizerischen Dachverbänden (Bauernverband, Economiesuisse, Hotelleriesuisse)
[15].
[8] Presse vom 4.5., 5.5. und 21.7.11;
SPJ 2010, S. 175.
[9] Presse vom 20.1.–22.1. und 28.1.–29.1.11 (Billettpreise), Presse vom 5.2., 1.4. und 2.4.11;
NZZ, 18.1.11 und 25.6.11; Presse vom 13.7.11 (Vernehmlassung);
NLZ, 22.7.11,
Exp., 28.7.11 (regionalpolitisch geprägte Berichterstattung zu FABI);
NZZ, 27.8.11; Presse vom 3.11.11;
SPJ 2009, S. 162 (Einsetzung der interdepartementalen Arbeitsgruppe [UVEK, EFD] zur Finanzierung der Bahninfrastruktur Fibi Ende 2009);
SPJ 2010, S. 174.
[10] AZ, 2.2. und 18.7.11 (Rückstellungspläne Chestenbergtunnel);
NLZ, 1.4.11;
NZZ, 11.7.11; Presse vom 12.7.11;
LT, 21.11.11;
Lit. BAVb;
Lit. Uvek / EFD;
SPJ 2010, S. 183 f.
[11] Po. 11.3391:
AB NR, 2011, S. 2010.
[12] Po. 11.3736:
AB NR, 2011, S. 1845.
[13]
NZZ, 27.9.11 und Presse vom 1.9.11.
[14] Mo. 09.3133:
AB NR, 2011, S.405 f.;
AB SR, 2011, S. 899 f.
[15]
AZ, 1.4.11;
CdT, 16.5.11;
NLZ, 29.6.11; Presse vom 8.7.11;
SPJ 2008, S. 157;
SPJ 2009, S. 159.
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