Année politique Suisse 2011 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft / Raumplanung
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Raumplanungsgesetz (RPG)
Im Berichtsjahr eröffnete der Nationalrat als Zweitrat die Detailberatung zur Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG). Die Revision, welche der Volksinitiative „Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)“ als indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden soll, beinhaltet Massnahmen zur Lenkung der Siedlungsentwicklung, zur Eindämmung der Zersiedelung und zum verbesserten Schutz des Kulturlandes. Dem Geschäft lag ein Nichteintretensantrag einer Kommissionsminderheit angeführt durch Hans Rutschmann (svp, ZH) vor. Die Minderheit war der Ansicht, dass die Initiative mit dem 20-jährigen Bauzonenmoratorium dermassen unrealistische Forderungen stelle, dass das Anliegen an der Urne chancenlos bleiben werde und es somit nicht nötig sei, ihm einen Gegenvorschlag gegenüber zu stellen. Zu einem anderen Schluss waren im Vorfeld jedoch zwei Umfragen gelangt, die im Mai 2011 je rund 1000 Personen zur Initiative befragten. Laut M.I.S. Trend unterstützten dazumal 61 Prozent der Befragten ein Bauzonenmoratorium; in der Umfrage von gfs.bern waren es gar deren 66 Prozent. Die Kommissionsminderheit monierte des Weiteren, dass der Gegenvorschlag verschiedene Elemente des in der Vernehmlassung gescheiterten Entwurfs zur Totalrevision des Raumplanungsgesetzes wieder aufnehmen würde. Neben dem Nichteintretensantrag lag ein Rückweisungsantrag der BDP-Fraktion vor. Im Gegensatz zum SVP-Minderheitsantrag vertat die BDP die Ansicht, dass dem Volk auf alle Fälle ein indirekter Gegenvorschlag gegenüber gestellt werden soll. Jedoch erachtete sie den zum Zeitpunkt vorliegenden Entwurf als zu wenig ausgereift, um den kantonalen Gegebenheiten angemessen Rechnung zu tragen. Die obligatorische Mehrwertabgabe sei zudem verfassungswidrig. Nach längerer Diskussion beschloss die grosse Kammer unter geschlossener Opposition der SVP, auf das Geschäft einzutreten. Ebenfalls deutlich abgelehnt wurde der Rückweisungsantrag der BDP, welcher nur bei der SVP volle Unterstützung fand. Hauptdiskussionspunkt in der nationalrätlichen Debatte war besagte Mehrwertabgabe, welche im Vorjahr vom Ständerat eingefügt worden war. Nach ständerätlicher Vorstellung wären die Kantone bei Neueinzonungen zur Erhebung einer Abgabe von mindestens einem Viertel des Mehrwertes verpflichtet, die sie dann in erster Linie als Entschädigung bei Enteignungen verwenden könnten. Die FDP-Liberale Fraktion machte nun im Nationalrat geltend, dass sie diese Abgabe als derart starken Eingriff in die kantonale Hoheit ansehe, dass sie einer „Entmündigung der Kantone“ gleichkomme. Schliesslich brachten die SVP, eine beinahe geschlossene FDP und eine Mehrheit der CVP den ständerätlichen Vorschlag betreffend Mehrwertabgabe mit 89 zu 72 Stimmen zu Fall. Ebenfalls abgelehnt wurde der von der nationalrätlichen Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie (UREK) erarbeitete Kompromissvorschlag, welcher den Kantonen die Wahl lassen wollte zwischen der Erhebung einer Mehrwertabgabe und der Möglichkeit, neu eingezontes Bauland durch eine entsprechende Fläche Landwirtschaftsland zu kompensieren. Der Nationalrat schuf weitere Differenzen zum Ständerat: So folgte die grosse Kammer ihrer Kommissionsmehrheit und strich den im Vorjahr vom Ständerat eingefügten Zusatz, dass überdimensionierte Bauzonen zu reduzieren seien. Diese Streichung stiess insbesondere bei der Ratslinken auf Widerstand: Franziska Teuscher (gp, BE) bezeichnete die vom Ständerat befürwortete Regelung als „Kernstück“ des indirekten Gegenvorschlags zur Landschaftsinitiative. Darüber hinaus wurden zwei weitere Änderungen zum Entwurf des Bundesrates beschlossen, welche ebenfalls darauf abzielten, Grundeigentümer von noch unbebautem Bauland zu schützen. Desweiteren entschärfte der Nationalrat die raumplanerischen Massnahmen, indem er sich erfolgreich gegen zwei zentrale Elemente betreffend Erschliessung von Bauzonen stellte. Zum einen strich er den vom Ständerat eingeführten Zusatz, dass bei Neuerschliessung der Anschluss an den öffentlichen Verkehr gewährleistet und die Entstehung eines kompakten Siedlungsbildes als Kriterien berücksichtigt werden sollen. Zum anderen sprach er sich in den Übergangsbestimmungen dagegen aus, dass vor Genehmigung der Richtplananpassung keine Vergrösserung der Bauzonen erfolgen darf. Auch hier zeigten sich dieselben Mehrheitsverhältnisse wie bei den anderen Differenzen: Die geschlossene Ratslinke opponierte erfolglos, trotz Unterstützung einiger Mitglieder aus der CVP/EVP/glp-Fraktion. Eine weitere Differenz zum Bundesrat schuf der Nationalrat in Art. 8, Abs. 2. Besagter Absatz verlangt, dass Vorhaben mit gewichtigen Auswirkungen für Raum und Umwelt einer Grundlage in den kantonalen Richtplänen bedürfen. Auch gegen diesen Absatz opponierte eine breite bürgerliche Mehrheit erfolgreich. Zu guter Letzt sorgte Artikel 18a zur Installation von Solaranlagen für zusätzliche Diskussionen. Laut Roberto Schmidt (cvp, VS) zeigte sich hier die „Euphorie der Atomausstiegsdebatte“: Eine bürgerlich dominierte Kommissionsmehrheit ging in ihrem Antrag weiter als der vorliegende bundesrätliche Entwurf und verlangte eine bewilligungsfreie Installation von Solaranlagen in Bau- und Landwirtschaftszonen. Lediglich eine Meldepflicht an die zuständigen Behörden sollte bestehen bleiben. Eine Kommissionsminderheit aus Parlamentariern von Mitte-Links sprach sich zwar für ein vereinfachtes Verfahren aus, erachtete eine vollständige Abschaffung der Bewilligungspflicht aufgrund von Rechtsunsicherheit jedoch als nicht zielführend. Mit 109 zu 66 Stimmen fand die Abschaffung der Bewilligungspflicht dann aber deutliche Zustimmung. Während die CVP sich beinahe geschlossen dagegen stellte, unterstützten sowohl die Fraktionen der SVP und der FDP das Anliegen. Gespalten zeigten sich Grüne und SP. In der Gesamtabstimmung wurde der Entwurf mit 92 zu 62 Stimmen und 20 Enthaltungen angenommen. Eine knappe Mehrheit der Grünen stimmte gegen die Revision, ebenso eine beinahe geschlossene SVP. Die BDP enthielt sich als Fraktion der Stimme, während die übrigen Parteien die Vorlage unterstützten [6].
In der Wintersession gelangte das Geschäft zur Differenzbereinigung in den neu gewählten Ständerat. Im Gegensatz zu ihrer Schwesterkommission im Nationalrat war sich die UREK-SR im Grundsatz einig. Insbesondere konkretisierte die kleine Kammer den Ausgleich von Planungsvorteilen, basierend auf einem Kompromissvorschlag, den die Kantone an der letzten Hauptversammlung der kantonalen Bau- Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz (BPUK) einstimmig gefällt hatten. Der vom Ständerat übernommene Kompromissvorschlag gewährt den Kantonen grossen Handlungsspielraum im Bezug auf den Ausgleich der durch Einzonungen entstandenen Planungsvorteile. Sie können dies zum Beispiel über eine Mehrwertabgabe, die Grundstückgewinnsteuer oder über einen öffentlich-rechtlichen Vertrag tun. Bei der Installation von Solaranlagen kam die kleine Kammer dem Nationalrat entgegen, präsentierte jedoch erneut eine abgeänderte Version. Solaranlagen sollen nach Willen des Ständerats bewilligungsfrei sein, sofern sie „sorgfältig“ auf Dächern integriert würden. In allen weiteren zentralen Differenzen beschloss der Ständerat Festhalten. Die erneute Differenzbereinigung im Nationalrat fand im Berichtjahr noch nicht statt [7].
Da sich durch die vielen Differenzen in besagter Teilrevision des RPG eine längere Debatte abzeichnete, verlängerten die Räte die Behandlungsfrist der Volksinitiative „Raum für Mensch und Natur (Landschaftsinitiative)“ um ein Jahr bis zum 14.2.13 [8].
Sowohl der National- wie auch der Ständerat stimmten im Berichtsjahr einer weiteren Änderung des RPG zu, welche die Vorschriften für den Abbruch und Umbau von Bauernhäusern ausserhalb der Bauzonen lockern will. Die Änderung geht auf eine Standesinitiative des Kantons St. Gallen zurück, welche im 2008 eingereicht worden war. Konkret verlangt das Geschäft, dass Eigentümer von Bauten, welche vor dem Stichtag vom 1.7.1972 landwirtschaftlich bewohnt oder genutzt wurden, über dieselben baulichen Möglichkeiten von Abbruch, Wiederaufbau und Erweiterung verfügen dürfen wie die Besitzer von nichtlandwirtschaftlichen, altrechtlichen Bauten. Dies ist jedoch an die Bedingung gekoppelt, dass Veränderungen am Erscheinungsbild in das Landschaftsbild passen müssen. In der Vernehmlassung stiess die Gleichstellung aller altrechtlichen Bauten auf einhellige Zustimmung. Ähnlich klar sprach man sich für den Erhalt des Landschaftsbildes aus; Bedenken wurden lediglich zum Vollzug dieser Bestimmung geäussert. In der Vernehmlassung wurde moniert, dass durch Annahme der Standesinitiative genannte Anpassungen in Form einer isolierten Teilrevision vorgenommen werden müssten, obwohl eine gesamte Überprüfung der Vorschriften zum Bauen ausserhalb der Bauzonen im Rahmen einer zweiten Teilrevision des RPG bereits in Angriff genommen worden sei. Diese Bedenken teilte auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Geschäft; er erachtete den Entwurf aber als vertretbare Lösung, um das als dringlich eingestufte Anliegen der Standesinitiative umzusetzen. Der Kanton St. Gallen als Urheber des Anliegens zeigte sich ebenfalls zufrieden mit dem von der UREK-NR erarbeiteten Entwurf. Im Dezember verabschiedete der Nationalrat das Geschäft in der Schlussabstimmung unter Opposition der Grünen und der SP mit 121 zu 53 Stimmen bei 20 Enthaltungen, darunter die komplette Fraktion der Grünliberalen. Die kleine Kammer verabschiedete die Änderung mit 27 zu 2 Stimmen bei 15 Enthaltungen [9].
Wyss (gp, SO) und Vischer (gp, SO) äusserten in zwei Postulaten Bedenken, dass Pendlerströme zur Zersiedelung der Landschaft beitragen und hohe Infrastrukturkosten verursachen würden. Aus diesen Gründen verlangten die zwei Geschäfte vom Bundesrat einen Bericht, der aufzeigen soll, mit welchen Anreizen Arbeitsplatz und Wohnort wieder näher zusammengeführt werden können. Der Bundesrat zeigte sich bereit, die den Anliegen zu Grunde liegenden Fragestellungen im Rahmen der zweiten Etappe der RPG-Revision oder allenfalls in der Botschaft zur neuen Energiepolitik aufzugreifen. In der Herbstsession überwies der Nationalrat das Postulat Wyss, lehnte in der folgenden Session das Postulat Vischer, welches vom Bundesrat das Aufzeigen von konkreten Massnahmen in der Raumplanung forderte, jedoch ab [10].
Der Ständerat überwies ein Postulat Imoberdorf (cvp, VS), das vom Bundesrat eine Übersicht über bestehende raumplanerische Bestimmungen zum Agrotourismus im angrenzenden Ausland verlangte. Es forderte von der Regierung, dass diese aufzeige, wie das Schweizer Recht im Rahmen einer umfassenden Teilrevision des RPG an die weniger restriktiven, ausländischen Bestimmungen angepasst werden könnte. Dieser Vorstoss nahm das Anliegen einer abgeschriebenen Motion Zemp (cvp, AG) wieder auf, welche aufgrund eingeschränkter raumplanerischer Möglichkeiten bereits im 2008 um die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Agrotourismus im Vergleich zum benachbarten Ausland besorgt war [11].
Im Berichtsjahr wurden zudem drei Motionen überwiesen, die sich durch Änderungen im Raumplanungsgesetz einen wirksameren und umfassenderen Schutz von Kulturland zum Ziel setzten. Weitere Ausführungen zu den drei Vorstösse finden sich oben in Teil I, 4c (politique agricole) [12].
 
[6] BRG 10.019: AB NR, 2011, S. 1567 ff. und 1788 ff.; LT, 13.5.11 und SoZ, 15.5.11 (Umfragen); TA und SGT, 22.9.11 (Debatte); vgl. SPJ 2010, S. 203 f.
[7] BRG 10.019: AB SR, 2011, S. 1174 ff.
[8] BRG 10.018: AB NR, 2011, S. 1804; AB SR, 2011, S. 1184 f.; vgl. SPJ 2010, S. 202 f.
[9] Kt.Iv. 08.314: BBl, 2011, S. 3727, 7083 ff. und 7095 ff.; AB NR, 2011, S. 1808 ff. und 2279; AB SR, 2011, S. 1161 ff. und 1305; BBl, 2012, S. 59 f.; am Stichtag vom 1.7.1972 war die konsequente Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet in Kraft getreten.
[10] Po. 11.3726 (Wyss): AB NR, 2011, S. 1844; Po. 11.3702 (Vischer): AB NR, 2011, S. 2262.
[11] Po. 11.3081: AB SR, 2011, S. 433; vgl. auch Mo. 08.3877 (Zemp).
[12] Vgl. auch SPJ 2010, S. 136 f. und 204 f.