Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Politische Manifestationen
Der Kanton Luzern fällte als erster Kanton einen Kantonsbeschluss, nach dem Demonstrationsveranstalter zur Übernahme der Polizeikosten gezwungen werden können, falls eine Veranstaltung aus dem Ruder läuft. Verläuft die Demonstration friedlich, übernimmt der Kanton die Kosten für das Polizeiaufgebot. Bei der Einführung der Verantwortlichkeit nach dem Verbraucherprinzip liegt jedoch die Beweislast beim Kanton [32].
Der Kanton Genf hat in der Volksabstimmung vom 11. März eine Verschärfung des Kundgebungsgesetz (Loi sur le manifestations) mit 53.9% Ja-Stimmen angenommen. Die Gesetzesrevision stützt sich auf vier Säulen: Prävention, Zusammenarbeit zwischen Organisatoren und der Polizei, Verantwortung der Organisationen und schliesslich Bestrafung derselben, wenn sie ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Nach der Abstimmung formierte sich aus der SP-Genf und der Communauté genevois d’action syndicale (CGAS) ein Referendumskommittee. Laut den Gegnern ist die Vorlage undemokratisch und verfassungswidrig, weshalb sie sie Einspruch beim Bundesgericht erhoben. Auch der Uno-Berichterstatter für Versammlungsfreiheit kritisierte das neue Gesetz [33].
Die Occupy-Bewegung in Zürich, welche vergangenes Berichtjahr noch 1000 Personen mobilisieren konnte, wurde zunehmend marginalisiert. Im Januar sorgte sie noch mit einem Iglu-Camp am WEF in Davos für Aufsehen. Weil sich die Bewegung nicht an die Spielregeln gehalten hatte, wird die Occupy in Zürich nicht mehr toleriert, so dass es keine unbewilligten Demonstrationen und Camps auf öffentlichem Grund mehr geben wird [34].
Am 11. März fand in Mühleberg die dritte Manifestation „Menschenstrom gegen Atom“ statt. Tausend Menschen forderten friedlich die sofortige Abschaltung der AKW Mühlenberg und Beznau. Ebenfalls im März demonstrierten in der Bundeshauptstadt 4000 Physiotherapeuten für höhere Leistungstarife, welche seit vierzehn Jahren nicht mehr angepasst worden sind. Für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten auch die St. Galler Volksschullehrer. Am 12. Dezember forderten 15000 Lehrerinnen und Lehrer weniger Arbeitsaufwand für Lehrkräfte. In Bern fand unter dem Namen „Tanz dich frei“ in der Nacht auf den 4. Juni die grösste Jugendemonstration seit 25 Jahren statt. Rund 10‘000 Jugendliche nahmen am via Facebook organisierten, unbewilligten aber tolerierten Anlass teil, um gegen die Trägheit des Berner Nachtlebens zu demonstrieren. Am 23. Juni fand in Bern ein Protestzug von rund 5000 Personen gegen die Verschärfung des Asylrechts statt. Der Anlass war eine Antwort auf die vom Nationalrat gutgeheissene Revision des Asylrechts, nach welcher Asylsuchende nur noch Not- statt Sozialhilfe beziehen können. Im August haben in Bern gegen 1000 Personen für die Rechte von Nicht-Heterosexuellen demonstriert [35].
Mit einer einstündigen Aktion, bei welcher ein Banner mit der Aufschrift „Free Pussy Riot“ auf dem Grossmünster entrollt wurde, sorgten die Mitglieder des „Freien Punk Komitees“ für Aufsehen. Sie wollten damit nicht nur für die Freilassung von Pussy Riot sondern auch von allen politischen Gefangenen ein Zeichen setzen. Eine ähnliche Aktion gab es am 1.Oktober in Bern, wo ein Transparent mit derselben Aufschrift am Münster befestigt wurde [36].
 
[32] TA, 2.7.12.
[33] TG, 10.2. und 4.5.12; LT, 12.3.12; NZZ, 21.6.12.
[34] TA, 20.3.12; vgl. SPJ 2011, S. 30.
[35] Kundgebungen mit mindestens 1000 Beteiligten (ohne 1. Mai-Demonstrationen): Bern: NZZ, 12.3.12 (1000/Stilllegung der AKW Mühlenberg und Beznau); NZZ, 20.3.12 (4000/Mehr Lohn für Physiotherapeuten); NZZ, 4.6.12 (10000/Tanz dich frei); Bund, 25.6.12 (5000/Gegen die Verschärfung der Asylpolitik); TA, 6.8.12 (1000/Für die Rechte von Nicht- Heterosexuellen) St. Gallen: NZZ, 13.12.12 (1500/Lehrer); Zürich: TA, 21.8.12 (1500/Albisgüetli-Tagung der SVP).
[36] TA, 21.8.12; BZ, 2.10.12.