Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung / Strafrecht
Die Flucht von Jean-Louis B. 2011 warf Fragen auf über die Qualität des
Strafvollzugs in den Kantonen. Ein überwiesenes Postulat Amherd (cvp, VS) beauftragte nun den Bundesrat mit der Ausarbeitung eines Berichtes über den Stand des Straf- und Massnahmenvollzuges in der Schweiz. Auch die Kantone ergriffen Massnahmen, um künftig Missverständnisse im Strafvollzug zu verhindern. Dazu verabschiedete die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) am 29. März ein fünfseitiges Merkblatt, das die drei regionalen Strafvollzugskonkordate präzisiert und damit Ausgangs- und Urlaubsregeln für Strafgefangene vereinheitlichen soll
[46].
Die Rechtskommissionen beider Räte gaben einer parlamentarischen Initiative von Nationalrat Lang (alternative, ZG) Folge, welche eine Abschaffung von Artikel 293 des Strafgesetzbuches fordert. Dadurch soll die
Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen nicht mehr bestraft werden, während die Verletzung eines Geheimnisses und die Veröffentlichung gewichtiger Geheimnisse neu unter Strafe gestellt werden
[47].
Nur vier Jahre nach seinem Inkrafttreten stand der Artikel 53 StGB betreffend die
Wiedergutmachung in Kritik. Der Artikel war 2007 eingeführt worden, um einerseits die Strafbehörden zu entlasten und andererseits zur Wiederherstellung des öffentlichen Friedens beizutragen. Abschaffen wollte der Nationalrat den Artikel nicht, weshalb er auch der dies fordernden parlamentarischen Initiative Joder (svp, BE) keine Folge gab. Hingegen sprach sich die grosse Kammer mit 171 zu 1 Stimme für eine Revision des Artikels aus, wie sie von seiner Rechtskommission gefordert wurde. Deren Motion sah vor, dass eine Wiedergutmachung nur bei geringfügigen Delikten gegen öffentliches Gut und bei nachgewiesener Reue des Täters möglich ist. Der Ständerat lehnte jedoch angesichts der Revisionsarbeiten zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches die Überweisung der Motion ab
[48].
Der Ständerat stimmte mit seiner Annahme einer Motion seiner Rechtskommission zu, den Bundesrats mit der Ausarbeitung einer gesetzlichen Grundlage, welche die Strafbarkeit der
Datenhehlerei festhält, zu beauftragen. Nach den bestehenden Normen fällt die entgeltliche oder unentgeltliche Verwendung und Weitergabe von unrechtmässig erworbenen Daten durch die Maschen der Gesetze. Durch die Gesetzesrevision soll insbesondere die Hehlerei von Bankdaten bestraft werden. Detaillierter beschrieben ist dies in Teil I, Kapitel 4 (Banken, Börsen und Versicherungen)
[49].
Im vorigen Berichtjahr wandelte der Nationalrat eine Motion Luginbühl (bdp, BE), welche eine Wiedereinführung von
Freiheitsstrafen unter sechs Monaten und eine
Abschaffung von bedingten Geldstrafen fordert, in einen Prüfungsantrag um. Der Ständerat akzeptierte diese Änderung in der Frühjahrssession 2012. Dies erwies sich jedoch als überflüssig, da der Bundesrat bereits selbst aktiv geworden war und im April eine Botschaft zur Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches verabschiedet hatte. Die Revision beabsichtigt mit der Wiedereinführung von kurzen Freiheitsstrafen ab drei Tagen und der Abschaffung bedingter Geldstrafen die Freiheitsstrafe stärker zu gewichten. Da künftig mehr Freiheitsstrafen ausgesprochen würden, solle das Electronic Monitoring, d.h. die elektronische Überwachung des Vollzugs ausserhalb der Strafanstalt, definitiv als Vollzugsform für Freiheitsstrafen zwischen 20 Tagen und 12 Monaten eingeführt werden. Auch will der Bundesrat die strafrechtliche Landesverweisung wieder möglich machen
[50].
Die Räte behandelten im Berichtjahr eine 2004 eingereichte parlamentarische Initiative der christlichdemokratischen Fraktion, welche den Konsum von Betäubungsmitteln des Wirkungstyps von
Cannabis den Ordnungsbussenverfahren unterstellen sowie die Prävention und den Jugendschutz verstärken will. Die Debatte reduzierte sich jedoch auf die Frage nach der Bestrafung des Cannabiskonsums. Einig waren sich die Räte, dass erwachsene Cannabiskonsumenten, die nicht mehr als zehn Gramm Cannabis auf sich tragen, mit einer Ordnungsbusse bestraft werden und dadurch die Polizei und die Justiz entlastet werden sollen. Ein Streitpunkt ergab sich jedoch betreffend der Höhe die Busse. Während der Nationalrat 200 Franken verlangen wollte, beharrte der Ständerat auf 100 Franken. Erst in der dritten Beratung stimmte der Nationalrat dem Antrag der kleinen Kammer zu. So konnte die Gesetzesänderung in der Schlussabstimmung im Ständerat mit 31 zu 11 und im Nationalrat mit 128 zu 57 Stimmen angenommen werden. Im Nationalrat votierte die SVP-Fraktion geschlossen dagegen
[51].
Der Bundesrat verabschiedete im März des Berichtjahres eine Botschaft zu einem Bundesgesetz über Anpassungen des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer (DBG) und des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG). Die Revision hat zum Ziel, die 2001 im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches vorgenommenen Anpassungen bezüglich der
Verjährungsfristen nun auch in diesen beiden Gesetzen nachzuführen, d.h. die Verjährungsfristen für die Strafverfolgung zu verlängern. Zugleich soll ein Artikel im StGH aufgehoben werden, der besagt, dass das Bundesgericht nicht befugt sei, bei Gutheissen einer Beschwerde in der Sache auch selber zu entscheiden. Der Artikel widerspricht dem 2007 in Kraft getretenen Bundesgerichtsgesetz (BGG) und sein Aufheben war bereits vom Bundesgericht gefordert worden
[52].
[46] Po. 11.4072:
AB NR, 2012, S. 535;
NZZ, 30.3.12.
[48] Pa.Iv. 10.522:
AB NR, 2012, S., 249 ff.; Mo. 11.4041:
AB NR, 2012, S. 249 ff.;
AB SR, 2012, S. 919 ff.
[49] Mo. 12.3976:
AB SR, 2012, S. 1073.
[50] Mo. 09.3158:
AB SR, 2012, 73 ff.; BRG. 12.046: vgl.
SPJ 2011, S. 30.
[51] Pa.Iv. 04.439:
AB NR, 2012, S. 267 ff., 1373 ff., 1580 ff., 1815;
AB SR, 2012, S. 408 ff., 777, 931;
BBl, 2012, S. 8153 ff.;
NZZ, 8.7.12.
[52] BRG 12.036:
BBl, 2012, S. 2869 ff.
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