Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
Eine parlamentarische Initiative Hodgers (gp, GE) wollte im Sprachengesetz regeln, dass öffentliche Ansprachen von Regierungsmitgliedern immer in einer
offiziellen Amtssprache gehalten werden. Der Initiant stiess sich am Umstand, dass in den letzten Jahren Bundesrätinnen und Bundesräte an öffentlichen Veranstaltungen und in den Medien immer häufiger Dialekt sprechen würden. Dies vermittle nicht nur den Eindruck, dass Hochdeutsch eine zweitrangige Sprache in der Schweiz sei, sondern würde auch den Zugang zu den Äusserungen für die nicht dialektkundige Bevölkerung erschweren. Die WBK-NR begründete ihre Empfehlung, der Initiative nicht Folge zu geben, damit, dass keine stossende Verletzung des Prinzips eines übermässigen und unreflektierten Gebrauchs der Dialektsprache erkennbar sei, und dass die Regierungsmitglieder autonom und ohne gesetzliche Grundlage in der Lage seien, Sensibilitäten situativ richtig abzuwägen. Die grosse Kammer folgte dieser Argumentation mit 149 zu 24 Stimmen. Letztere stammten vorwiegend aus der Grünen Partei aber auch von Ratsmitgliedern der lateinischen Schweiz
[6].
Die SVP erachtet den Umstand als stossend, dass der Bundesrat bei der Ausformulierung der Ausführungsbestimmungen in Verordnungen zu viel Spielraum habe und in Einzelfällen Bestimmungen aufnehme, die vom Gesetzgeber so nicht vorgesehen waren. Da ein Gesetzgebungsprozess mit der Schlussabstimmung eigentlich abgeschlossen sei, könnten diese nachfolgenden Bestimmungen nur mit neuen Vorstössen wieder korrigiert werden. Mit einer parlamentarischen Initiative forderte die SVP-Fraktion deshalb ein einfaches, von einem Viertel der Mitglieder beider Räte einzuforderndes und der einfachen Mehrheit der Räte anzunehmendes
Veto gegen bundesrätliche Verordnungen. Während die SPK-N einstimmig Folge geben empfahl, wandte sich die SPK-S gegen diese Idee. Die Kammern folgten ihren jeweiligen Kommissionen. Ausschlaggebend für das Nein im Ständerat war die Angst vor einer Verletzung der Gewaltentrennung. Zudem hätten die Kommissionen bereits heute Konsultations- und Mitsprachemöglichkeit beim Erlass von Verordnungen. Die Fronten verliefen damit, wie bereits bei früheren ähnlichen Vorstössen, zwischen den Kammern
[7].
Ende Januar legte der Bundesrat seinen Bericht über die
Legislaturplanung 2011-2015 vor. Sechs politische Leitlinien und 26 zugeordnete Ziele und entsprechende zielführende Massnahmen wurden darin formuliert. Die politischen Leitlinien der 49. Legislatur umfassen (1) einen attraktiven, wettbewerbsfähigen, finanziell gesunden und institutionell effizienten Standort Schweiz, (2) eine starke regionale und internationale Positionierung der Schweiz, (3) die gewährleistete Sicherheit des Landes, (4) einen gefestigten gesellschaftlichen Zusammenhalt mit dem sich die demographischen Herausforderungen meistern lassen, (5) die nachhaltige und effiziente Nutzung von Energie und Ressourcen mit welcher dem zunehmendem Mobilitätsbedürfnis Rechnung getragen wird, sowie (6) die Pflege eines Spitzenplatzes in Bildung, Forschung und Innovation. Eine Spezialkommission des Nationalrates (Legislaturplanungskommission) beriet den Bericht, der in einem einfachen Bundesbeschluss zu genehmigen ist, an sechs Sitzungstagen vor. Obwohl in der Ratsdebatte während der Sondersession im Mai lediglich über die Anträge dieser Kommission entschieden werden sollte, verkam die Debatte in der grossen Kammer – wie bereits vor vier und vor acht Jahren – zu einem eigentlichen Marathon. Die Beratung wurde, nachdem der lange diskutierte Rückweisungsantrag der SVP abgelehnt wurde, in sechs Blöcken organisiert, die insgesamt drei volle Sitzungen in Anspruch nahmen. Die Fraktionen wurden nicht müde zu versuchen, ihre eigenen politischen Ziele in den Bericht einzubauen. Die grosse Kammer einigte sich schliesslich darauf, eine siebte Leitlinie aufzunehmen, welche auf die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter abzielt. Mit einer von beiden Räten noch im Sommer überwiesenen Motion beauftragte die Sonderkommission den Bundesrat, die erforderlichen Indikatoren zu entwickeln, welche die Fortschritte in der Gleichstellung erfassen. Darüber hinaus fügte der Nationalrat dem Bericht zahlreiche Massnahmen hinzu. Im Ständerat, der das Geschäft in der Sommersession behandelte, war die Debatte wesentlich kürzer. Die ständerätliche Legislaturplanungskommission beantragte die integrale Übernahme des Berichts mit Ausnahme einer Ergänzung bei einem der 26 Ziele. Sie schlug zudem eine eigene neue Massnahme, sowie die Streichung von 20 bzw. die Ergänzung von vier der vom Nationalrat eingefügten Massnahmen vor. Seit dem revidierten Parlamentsgesetz von 2007 ist vorgesehen, dass es für den Legislaturplanungsbericht ein abgekürztes Differenzbereinigungsverfahren gibt, indem eine Einigungskonferenz gleich nach der ersten Lesung eingesetzt wird und die Differenzen einzeln diskutiert und bereinigt werden, was noch in der Sommersession geschah. Für die total 25 Differenzen wurden jeweils Einzelanträge gestellt, über die in der Folge in den Räten einzeln abgestimmt werden musste. Bei den einzelnen Anträgen hatte sich neunzehnmal der Ständerat und sechsmal der Nationalrat durchgesetzt. Darüber hinaus wurde vierzehnmal eine Rückkehr zum Entwurf des Bundesrates vorgeschlagen. Der Nationalrat nahm alle Vorschläge der Einigungskonferenz an. Der Ständerat seinerseits hielt an einer seiner eigenen Bestimmungen fest, und folgte in zwei Fällen dem Antrag des Bundesrates und entschied damit gegen die Einigungskonferenz, womit die jeweiligen Bestimmungen aufgrund der Differenz gestrichen wurden. Während der Eintretensdebatte im Ständerat drehte sich die Diskussion weniger um materielle als vielmehr um verfahrenstechnische Fragen. Sprich: um die Unzufriedenheit mit der Art der Behandlung der Legislaturplanung durch das Parlament. Da diese Planung ein Produkt der Exekutive sei, komme es zu einer Vermischung, wenn das Parlament das Recht auf Änderungen habe. Darüber hinaus handle es sich bei den parlamentarischen Entscheidungen nur um Grundsatzbeschlüsse und somit lediglich um Vorentscheidungen für die Planung bestimmter Massnahmen. Der grosse Aufwand für die Beratung des Legislaturplanungsberichtes stehe deshalb in keinem vernünftigen Verhältnis zum relativ geringen Nutzen. Die Unzufriedenheit manifestierte sich in einer parlamentarischen Initiative der Sonderkommission, die forderte, dass die Bundesversammlung die Legislaturplanung in einer Debatte nur noch zur Kenntnis nimmt, aber keine Änderungen mehr beschliessen kann. Die SPK-S empfahl Folge geben. Eine Antwort der SPK-N stand im Berichtsjahr noch aus. Im Nationalrat wurde im Mai eine parlamentarische Initiative der CVP-EVP-Fraktion mit gleicher Stossrichtung eingereicht. Zudem forderte eine parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion neben der Änderung hin zur reinen Kenntnisnahme eine Anpassung des Aufbaus des Berichtes, so dass Prioritäten und Schwerpunkte klarer ersichtlich seien. Beide nationalrätlichen Vorstösse wurden im Berichtsjahr ebenfalls noch nicht behandelt. Mit einer Motion verlangte schliesslich die FDP-Fraktion, dass der Bundesrat für seine nächste Legislaturplanung keine sektorielle, sondern eine interdepartementale Herangehensweise wähle. Damit könnten Probleme vernetzter und damit effizienter angegangen werden. Beide Räte nahmen diese vom Bundesrat unterstützte Motion diskussionslos an
[8].
Die Übernahme eines Verwaltungsratsmandates von alt Bundesrat Moritz Leuenberger bei der Baufirma Implenia, die zur Amtszeit Leuenbergers einige wichtige Bundesaufträge erhalten hatte, hatte seit 2010 zu einigen Vorstössen geführt. Die staatspolitischen Kommissionen beider Räte hatten 2011 zwei parlamentarischen Initiativen Folge gegeben, die eine
Wartefrist für die Übernahme bezahlter Mandate durch ehemalige Bundesrätinnen und Bundesräte fordern. Der Bundesrat hatte in der Folge angekündigt, in dieser Frage selber aktiv zu werden. Die Ergänzung seines „Aide-mémoires“ ging beiden SPK aber zu wenig weit. Die Beratung der parlamentarischen Initiativen Binder (svp, ZH) und Leutenegger Oberholzer (sp, BL) wurden deshalb auf 2013 traktandiert
[9].
Auch 2012 führte der Bundesrat die Idee von
Bundesratssitzungen ‚extra muros‘ fort, um seine Verbundenheit mit der Bevölkerung in allen Regionen der Schweiz zu bekunden. Die 2010 begonnene Tradition führte im Berichtsjahr nach Schaffhausen, wo die Regierung nach ihrer Sitzung mit der Bevölkerung zusammenkam und den Schaffhauser Regierungsrat zu einem Arbeitsessen einlud
[10].
[6] Pa.Iv. 10.476:
AB NR, 2012, S. 62 f.
[7] Pa.Iv. 11.480:
AB NR, 2012, S. 1395 ff.;
AB SR, 2012, S. 973 f.; für Vorstösse in den Vorjahren vgl.
SPJ 2011, S. 44 f.,
SPJ 2010, S. 42 und
SPJ 2009, S. 34;
NZZ, 14.9. und 28.11.12.
[8] BRG 12.008:
BBl 2012, S. 481 ff.;
AB NR, 2012, S. 568 ff. und 1152 ff.;
AB SR, 2012, S. 456 ff. und 635 ff.; Mo 12.3339 (Kommission 12.008-NR):
AB NR, 2012, S. 638;
AB SR, 2012, S. 469; Pa.Iv. 12.433 (Kommission 12.008-SR); Pa.Iv. 12.427 (SVP); Pa.Iv. 12.432 (CVP-EVP). Mo. 12.3185:
AB NR, 2012, S. 1210;
AB SR, 2012, S. 977;
NLZ, 22.3.12; Presse vom 3.5.12;
NZZ, 7.6.12;
SPJ 2008, S. 35.
[9] Pa.Iv 10.511 (Binder) und Pa.Iv. 10.517 (Leutenegger Oberholzer); Medienmitteilung SPK-N vom 24.2.12; vgl.
SPJ 2011, S. 45.
[10] Medienmitteilung der Bundeskanzlei vom 15.3.12;
SN und
SGT, 29.3.12; vgl.
SPJ 2011, S. 45.
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