Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Parlament
Im Berichtsjahr wurden in den Räten total
1486 neue Geschäfte (exklusive einfache Anfragen und Fragen) neu eingereicht. Die Zahl an neuen Vorstössen hatte damit im Vergleich zum Vorjahr, als insgesamt 1402 neue Begehren lanciert wurden, leicht zugenommen. Während die Anzahl neu eingereichter Parlamentarischer Initiativen von 102 (2011) auf 87 (2012) zurückging, nahm die Zahl an Standesinitiativen zu (2011: 21; 2012: 26). Es wurden zwar weniger Motionen (2011: 542; 2012: 445), aber dafür mehr Postulate (2011: 196; 2012: 251) und Interpellationen (2011: 476; 2012: 582) eingereicht als im Vorjahr. Zudem legte der Bundesrat im Berichtjahr 95 neue Geschäfte vor, was ebenfalls eine Zunahme bedeutete (2011: 65). Verglichen mit dem langjährigen Durchschnitt (1.1.1996 bis 31.12.2012) war insbesondere die Zahl an parlamentarischen Initiativen relativ gering. Im Schnitt wurden in den 17 Jahren seit 1996 pro Jahr 84 Bundesratsgeschäfte, 90 parlamentarische Initiativen, 19 Standesinitiativen, 352 Motionen, 166 Postulate und 376 Interpellationen eingereicht
[34].
Verglichen mit dem Vorjahr war die
Erledigung von Vorstössen in den Räten im Berichtsjahr, also im ersten Jahr der neuen Legislatur, weniger umfangreich. Zwar wurden etwas mehr parlamentarische Initiativen behandelt als im Vorjahr (2011: 130; 2012: 135), aber sowohl die Behandlung von Standesinitiativen (2011: 33; 2012: 30), von Motionen (2011: 715; 2012: 420), von Postulaten, (2011: 265; 2012: 215), von Interpellationen (2011: 634; 2012: 477) und von Bundesratsgeschäften (2011: 94; 2012: 80) war rein zahlenmässig weniger umfangreich, allerdings im langjährigen Mittel dennoch überdurchschnittlich. Im Schnitt wurden in den 17 Jahren seit 1996 pro Jahr 82 Bundesratsgeschäfte, 1 parlamentarische Initiativen, 15 Standesinitiativen, 326 Motionen, 161 Postulate und 353 Interpellationen erledigt
[35].
Nachdem der Ständerat im Vorjahr der Initiative seiner staatspolitischen Kommission zwecks
Verbesserungen der Organisation und des Verfahrens des Parlamentes Folge gegeben hatte, war das Geschäft in der grossen Kammer Gegenstand einer längeren Debatte in der Wintersession. Die vorgeschlagenen kleineren Änderungen, Präzisierungen und Schliessungen von Gesetzeslücken waren unbestritten. Zu reden gaben hingegen drei substanzielle Änderungen mit denen der Ständerat der Vorstossflut in der grossen Kammer und der inflationären Einberufung von ausserordentlichen Sessionen Einhalt gebieten will: die Forderung, dass parlamentarische und Standesinitiativen nur noch in Form eines ausgearbeiteten Vorentwurfs statt wie bisher als allgemeine Anregung eingereicht werden dürfen, die Bedingung hängiger Geschäfte in beiden Räten für die Einberufung von ausserordentlichen Sessionen sowie die Verankerung eines Obligatoriums für die mündliche Beratung von Motionen. Die Kommission des Nationalrats stellte sich gegen die Forderung eines ausgearbeiteten Vorentwurfs für parlamentarische und Standesinitiativen. Die Anwendung des Instruments der parlamentarischen Initiative werde dadurch zu stark eingeschränkt und die Forderung beschneide aufgrund des nötigen juristischen Vorwissens bei der Ausformulierung eines Vorentwurfs letztlich die Rechte der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Die SPK-N schlug zudem mit der Idee der aktuellen Debatte eine Neuerung vor. Eine solche Debatte, die von 75 Mitgliedern des Nationalrats beantragt werden könnte, würde die Diskussion aktueller Ereignisse in der grossen Kammer ermöglichen, ohne dass eine Sondersession einberufen werden müsste. Hinsichtlich der mündlichen Beratung von Motionen schloss sich die nationalrätliche Kommission dem Vorschlag ihrer Schwesterkommission an. Damit solle der Entwicklung im Nationalrat Einhalt geboten werden, in organisierten Debatten zahlreiche Vorstösse gleichzeitig zu überweisen ohne im Detail auf die einzelnen Vorstösse einzugehen. Dies – so akzeptierte die SPK-N – erschwere die Arbeit des Ständerats als Zweitrat. Allerdings wollte die nationalrätliche Kommission so genannte organisierte Debatten mit maximal 20 Vorstössen zum selben Thema explizit von dieser Detaildiskussionspflicht ausnehmen. Die grosse Kammer folgte in allen Punkten ihrer Kommission. Das Geschäft wurde an den Ständerat zurückgegeben, der es im Berichtjahr nicht mehr behandelte
[36].
Im Berichtjahr wurde über
Massnahmen gegen die zunehmende Gesetzesflut diskutiert, wobei parlamentarische Initiativen von rechts und von links eingereicht wurden. Die Initiative Stahl (svp, ZH) forderte eine Ergänzung in der Bundesverfassung, die den Gesetzgeber dazu verpflichten sollte, bei neuen Gesetzen sowie bei Revisionen systematisch die wirtschaftlichen Auswirkungen auf Institutionen, Bevölkerung und Unternehmen darzustellen. Die staatspolitische Kommission betrachtete das Anliegen in der Sache zwar gerechtfertigt, aber als im Parlamentsgesetz (Art. 141) bereits geregelt. Der Argumentation der Kommissionsminderheit, dem Anliegen durch eine Verankerung in der Bundesverfassung mehr Gewicht zu geben, folgte nur eine Ratsminderheit von 54 vorwiegend SVP-Fraktionsstimmen, die 129 Stimmen gegenüberstanden, welche der Initiative keine Folge gaben. Das gleiche Schicksal ereilte eine parlamentarische Initiative Zisyadis (lg, VD) die einen unbürokratischen Gesetzesvollzug und die Formulierung allseits verständlicher Gesetze gefordert hätte. Nachdem die SPK-NR im Vorjahr der Initiative Folge gegeben, ihre Schwesterkommission dazu allerdings ihre Zustimmung verweigert hatte, kam es im Berichtsjahr zu Debatten in den Räten. Im Nationalrat stiess das Begehren zwar noch auf offene Ohren und die grosse Kammer folgte ihrer Kommission mit 130 zu 40 Stimmen, den Ständerat passierte das Anliegen allerdings nicht. In der Zwischenzeit war die von der FDP lancierte Volksinitiative „Bürokratie-Stopp!“ mit praktisch identischem Text im Unterschriftenstadium knapp gescheitert (siehe dazu auch Teil III a). Dies veranlasste zwar ein paar FDP-Ständeräte dazu, die parlamentarische Initiative zu unterstützen, die Mehrheit der kleinen Kammer (28:8 Stimmen) sprach sich aber gegen Folge geben aus
[37].
Nicht weniger als die
Abschaffung der Fragestunde forderte eine parlamentarische Initiative Landolt (bdp, GL). Die Fragestunde dient der mündlichen Auskunft durch den Bundesrat. Die Fragen sollten zwar auf ein aktuelles Thema Bezug nehmen, müssen aber weder Dringlichkeit noch Wichtigkeit unter Beweis stellen. Der Initiant machte geltend, dass dies nicht nur Ressourcen binde – der Bundesrat muss bei den Fragen anwesend sein und gleichzeitig werden immer mehr Vorstösse eingereicht – sondern auch ineffizient sei. Die einfache Anfrage, die in der Regel schriftlich beantwortet wird, würde ausreichen. Zudem komme der Ständerat ohne Fragestunde zurecht. Die staatspolitische Kommission des Nationalrates begründete ihr einstimmig gefälltes negatives Urteil gegen den Vorstoss mit der Attraktivität der Fragestunde, die es der Öffentlichkeit und den Räten erlaube, zu sehen, wie der Bundesrat zu aktuellen Problemen Stellung beziehe. Darüber hinaus sei das Instrument sehr wohl effizient, da zu erwarten wäre, dass viele Fragen bei einem Verbot in Form von Vorstössen eingereicht würden, was zu einer noch grösseren Belastung führen könnte. Der Nationalrat folgte dieser Begründung und gab der Initiative mit 146 zu 18 Stimmen keine Folge
[38].
[34] www.parlament.ch;
BaZ, 27.12.12.
[36] Pa.Iv. 10.440:
AB NR, 2012, S. 1535 und 2067 ff.; vgl.
SPJ 2011, S. 49;
NZZ, 8. und 11.12.12.
[37] Pa.Iv. 10.534 (Stahl):
AB NR, 2012, S. 246 f.; Pa.Iv. 10.537 (Zisyadis):
AB NR, 2012, S. 26;
AB SR, 2012, S. 974 ff.
[38] Pa.Iv. 11.443:
AB NR, 2012, S. 462.
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