Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
Im Berichtsjahr wurde an den vier Terminen über insgesamt
zwölf nationale Vorlagen abgestimmt: sieben Volksinitiativen, drei fakultative Referenden und zwei obligatorische Referenden, die beide Gegenentwürfe zweier Volksinitiativen darstellten, wurden am 11. März (5 Vorlagen), am 17. Juni (3 Vorlagen), am 23. September (3 Vorlagen) und am 25. November (1 Vorlage) den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zur Entscheidung vorgelegt. In neun Fällen folgten diese den Empfehlungen der Behörden, wobei für die beiden abgelehnten Bausparinitiativen eigentlich keine Behördenempfehlung vorlag, weil sich National- und Ständerat nicht hatten einigen können. Entgegen den Empfehlungen von Parlament und Bundesrat wurde hingegen die Zweitwohnungsinitiative angenommen aber die Bundesgesetze zu Managed Care und zur Buchpreisbindung, gegen die jeweils das Referendum ergriffen worden war, abgelehnt. Die Stimmbeteiligung betrug im Schnitt 38,5% – der tiefste Wert seit 15 Jahren. Besonders gering war die Partizipation am 25. November: Aufgrund des Scheiterns der Referenden gegen die Staatsverträge über die Abgeltungssteuer mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien wurde im November lediglich über die Revision des Tierseuchengesetzes abgestimmt, gegen die das „Netzwerk Impfentscheid“ erfolgreich das Referendum ergriffen hatte. Nur 27,6% aller Stimmberechtigten gingen an die Urne. Lediglich vier Mal war die Beteiligung seit 1877 (Beginn der Erhebung der Partizipation) geringer
[62].
Die Popularität von
Volksinitiativen war nach wie vor gross (vgl. Tabelle
Volksinitiativen_2012.pdf). Zwar wurden 2012 nur noch etwa halb so viele Initiativen (10) lanciert als noch im Wahljahr 2011 (23), als viele Parteien das Volksrecht als eigentliches Schwungrad für den Wahlkampf gebrauchten. Im Berichtjahr schafften aber nicht weniger als zehn Volksbegehren das Unterschriftenquorum (2011: 8). Mit diesen zehn im Berichtjahr zustande gekommenen Initiativen waren Ende 2012 total 20 Volksvorstösse hängig (2011: 22). Im Unterschriftenstadium befanden sich Ende 2012 total 20 Begehren (2011: 28), neun Anliegen waren im Laufe des Jahres im Sammelstadium gescheitert oder konnten nicht genügend Unterschriften sammeln (2011: 3) und fünf wurden zurückgezogen (2011: 3), zwei davon bedingt (2011: 1).
Mit der Zweitwohnungsinitiative wurde die neunzehnte Volksinitiative seit 1891 angenommen. Mehr als die Hälfte dieser 19 Begehren (11) fanden bei Volk und Ständen seit 1990 Unterstützung. Interessanterweise waren es vor allem Initiativen von Bürgerkomitees mit relativ spezifischen Anliegen, denen bisher Erfolg beschieden war. Ein
Erfolg an der Urne ist aber für Initianten erst der Anfang, da die Umsetzung des Begehrens auf Gesetzesstufe mitunter lange dauern kann, wie etwa das Beispiel der Alpeninitiative zeigt
[63].
Gleich drei Mal musste die Bundeskanzlei die Unterschriften für die letztlich sehr knapp nicht zustande gekommene
Bürokratie-Stopp-Initiative der FDP nachzählen. Ein zweimaliges Nachzählen ist bei knappen Zahlen vorgesehen. Eine dritte Kontrolle wird nötig, wenn die Zahl der Unterschriften zwischen 95 000 und 101 000 liegt. Für die FDP-Initiative, die drei Stunden vor Ablauf der Sammelfrist eingereicht wurde, wurden letztlich 97 537 gültige Unterschriften ausgewiesen. Auch die CVP und die GLP bekundeten einige Mühe, die nötige Zahl an Unterschriften für ihre Initiativen zu sammeln
[64].
Im Berichtjahr wurde gegen sechs parlamentarische Beschlüsse ein
Referendum ergriffen. Erfolgreich zu Stande kamen drei, nämlich das Referendum gegen das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (Managed Care; am 14. Februar mit 131 158 gültigen Unterschriften), das Referendum gegen das Tierseuchengesetz (am 16. Juni mit 51 110 gültigen Unterschriften) und das Referendum gegen das Bundesgesetz über die Raumplanung (am 16.10.12 mit 69 277 gültigen Unterschriften). Über die ersten beiden wurde noch im Berichtjahr abgestimmt. Die Abstimmung über die Raumplanungsrevision wurde für das Frühjahr 2013 traktandiert. Kein Erfolg war den drei Referenden gegen die Bundebseschlüsse über die Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland (48 604 Unterschriften), Österreich (46 848 Unterschriften) und Grossbritannien (47 363 Unterschriften) beschieden. Alle drei verfehlten laut Bericht der Bundeskanzlei vom 30. Oktober das Quorum (siehe nachfolgend). Im Vergleich zu den Vorjahren wurde die Referendumswaffe damit wieder häufiger eingesetzt (2010 und 2011: je 1 zustande gekommenes Referendum; 2009: 1 zustande gekommenes und 1 nicht zustande gekommenes Referendum)
[65].
Für einigen Wirbel sorgten die
Referenden gegen die Steuerabkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich, die von der Auns, dem Bund der Steuerzahler, der Juso und der jungen SVP ergriffen wurden. Aufgrund von Termindruck musste das Abstimmungsbüchlein mit den Referenden bereits gedruckt werden, obwohl noch nicht klar war, ob die Referenden überhaupt zustande kommen würden. Erst Ende Oktober verfügte die Bundeskanzlei das Nichtzustandekommen der drei Referenden aufgrund fehlender Unterschriften. Vom 56-seitigen Bundesbüchlein waren also nur noch 18 Seiten (für die Änderung des Tierseuchengesetzes) gültig. Die Mehrkosten für den Druck betrugen rund 1 Mio. CHF. Für lange Diskussionen sorgte aber auch die Kritik der Referendumskomitees an einzelne Gemeinden, welche für die Beglaubigung der Unterschriften zu viel Zeit gebraucht hätten. Das Bundesgesetz über politische Rechte (Art. 62) sieht vor, dass die Unterschriften „unverzüglich“ beglaubigt und dem Komitee zurückgegeben werden müssen. Vor allem die Auns bemängelte insbesondere Gemeinden aus dem Kanton Genf, die beglaubigte Unterschriften mittels B-Post zurückgeschickt hätten, welche dann nicht fristgerecht eingereicht werden konnten. Sie kündigte eine Liste säumiger Gemeinden und gar eine Beschwerde ans Bundesgericht an. Auch der Gewerbeverband beklagte das Verhalten der Gemeinden im Rahmen seiner Unterschriftensammlung gegen das Raumplanungsgesetz. In der Folge wurden verschiedene Lösungen diskutiert. Den Gemeinden solle etwa eine Frist vorgeschrieben werden oder die Beglaubigung sei ausserhalb der Referendumsfrist von 90 Tagen anzusetzen. Eine ähnliche Diskussion wurde bereits Anfang der 1990er Jahre geführt, als das Referendum gegen die NEAT nur sehr knapp zustande gekommen war. Die Staatspolitische Kommission reichte in der Folge eine Kommissionsmotion ein, die getrennte Fristen für das Sammeln und Beglaubigen der Unterschriften verlangt. Noch in der Wintersession nahm die grosse Kammer das Begehren an. Im Ständerat stand das Geschäft 2012 noch aus. Ebenfalls noch nicht behandelt war eine Motion Stamm (svp, AG), die die Verantwortung für die Beglaubigung nach der Frist für die Unterschriftensammlung an die Bundeskanzlei übertragen will
[66].
Um eine Abkürzung der
Frist bei der Behandlung einer Volksinitiative zu erzwingen, wurden im Berichtsjahr gleich fünf gleich lautende im Berichtjahr noch nicht behandelte Motionen eingereicht. Normalerweise hat der Bundesrat nach Einreichung einer Initiative ein Jahr Zeit, um eine Botschaft vorzulegen. Er hat zudem die Möglichkeit, einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag zu unterbreiten, womit sich die Frist für die Botschaft um sechs Monate verlängert. Von dieser Möglichkeit wollte die Regierung für die Volksinitiative „für eine öffentliche Krankenkasse“ eigentlich Gebrauch machen. Die Motionen verlangten nun aber, dass die Initiative möglichst rasch und ohne Gegenvorschlag zur Abstimmung gelangt. Offiziell begründet wurde dies mit der Behandlung verschiedener Vorstösse zum Krankenversicherungswesen. Inoffiziell wollten die bürgerlichen Parteien, von denen die Vorstösse stammten, verhindern, dass die von der SP eingereichte Initiative zur Einheitskrankenkasse den Sozialdemokraten im Wahljahr 2015, wenn die Initiative aufgrund der verlängerten Frist wahrscheinlich zur Abstimmung gelangen würde, Aufwind verleihen könnte. Eine Verkürzung der Behandlungsfrist für Volksinitiativen war Gegenstand einer parlamentarischen Initiative Graf-Litscher (sp, TG). Das Parlament hat aktuell zweieinhalb Jahre Zeit für die Behandlung einer Volksinitiative, wobei sich diese Frist um ein Jahr verlängert, wenn ein direkter oder indirekter Gegenentwurf angenommen wird und noch einmal um ein Jahr, wenn dieser in die Differenzbereinigung muss. Graf-Litscher zog ihr Begehren zurück, nachdem die SPK-N einstimmig zugesagt hatte, das Geschäft im Rahmen der Revision des Parlamentsgesetzes zu behandeln (vgl. oben)
[67].
[62] 11. März: VI „Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen“, VI „Bauspar-Initiative“, VI „6 Wochen Ferien für alle“, BB über die Regelung der Geldspiele, BG über die Buchpreisbindung; 17. Juni: VI „Eigene vier Wände dank Bausparen“, VI „Staatsverträge vors Volk“, BG Managed Care; 23. September: BB über die Jugendmusikförderung, VI „Sicheres Wohnen im Alter“, VI „Schutz vor Passivrauchen“; 25. November: Revision Tierseuchengesetz. Über die einzelnen Abstimmungen berichten wir in den jeweiligen Kapiteln (vgl. auch Tabellen im Anhang); www.swissvotes.ch.
[63]
TA, 13. und 14.3.12;
BaZ, 17.3.12;
SGT und
NZZ, 19.3., 12.4., 27.4., 6.7. und 5.9.12;
Lit. Rohner.
[64]
NZZ, 21.6.12; Presse vom 12.-14.4.12; Presse vom 5.7.12.
[65] Managed Care: BBl. 2012, S. 7685; Tierseuchengesetz: BBl., 2012, S. 7503; Raumplanung: BBl., 2012, S. 8527; Doppelbesteuerungsabkommen: BBl. 2012, S. 8555, 8591 und 8575; zu den einzelnen Vorlagen vgl. auch die jeweiligen Kapitel.
[66] Mo. 12.3975 (SPK-N):
AB NR, 2012, S. 2106 f.; Medienmitteilung SPK-N vom 18.10.12; Mo.12.4260 (Stamm);
NZZ, 2.7. und 24.8.12; Presse vom 4.10.12;
TA, 6.10.12;
NZZ, 9.10. und 10.10.12;
24h, 12.10.12;
BZ und
Blick, 15.10.12;
NZZ, 19.10.12;
AZ, 25.10.12;
SGT, 30.10.12; Presse vom 16.11.12; Neat: vgl.
SPJ 1992, S. 162 ff.
[67] Mo. 12.4123 (de Courten); 12.4157 (Humbel); 12.4164 (Cassis); 12.4207 (Hess); Mo. 12.4277 (Schwaller); Pa.Iv 11.455 (Graf-Litscher): Medienmitteilung SPK-N vom 14.5.12; Revision Parlamentsgesetz: 10.440.
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