Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Föderativer Aufbau
Territorialfragen
Seit Bestehen des Bundesstaates ist es zu keinen
Kantonszusammenschlüssen gekommen. Die Diskussionen um Fusionen einzelner Gliedstaaten haben aber seit einigen Jahren an Schwung gewonnen. Besonders virulent war die Diskussion einer möglichen Fusion der beiden Basel. Anfang August – genauer am 3.8. in Erinnerung an die Schlacht an der Hülftenschanz von 1833, bei der sich die beiden Basel getrennt hatten – lancierte ein Komitee aus Politikern beider Gliedstaaten je eine Volksinitiative mit dem Ziel einer Wiedervereinigung. Bei Annahme der Initiativen, die unter dem Namen „ein Basel“ die Aufnahme eines Fusionsartikels in beide Kantonsverfassungen forderten, soll ein Verfassungsrat gebildet werden, der eine Fusion, die spätestens in zehn Jahren vonstattengehen soll, vorbereitet. Die Idee eines Kantons Basel ist nicht neu; bereits in den 1930er Jahren und 1969 wurden entsprechende Vorstösse an der Urne verworfen. Die aktuellen Befürworter argumentierten, dass mit der starken Zusammenarbeit zwischen Basel-Landschaft und Basel-Stadt die Kantonsgrenze nicht mehr der Realität entspreche und die politischen Strukturen angepasst werden müssten. Das Komitee ist mit Politikern verschiedenster Couleur – ausser der SVP Baselland waren alle Parteien vertreten – und mit Wirtschaftsvertretern relativ breit abgestützt. Die grösste Skepsis gegenüber einem Zusammenschluss herrscht im oberen Baselbiet. Auch innerhalb der meisten Parteien gab es zahlreiche kritische Stimmen. Als Reaktion auf die Fusionsinitiative lancierten etwa Kreise um den ehemaligen Wirtschaftskammer-Chef Hans Rudolf Gysin Volksbegehren, mit denen eine bessere Zusammenarbeit der Kantone der Nordwestschweiz sowie je zwei Ständeratssitze für die beiden Basel verlangt werden. Für viel Gesprächsstoff sorgte der Entscheid der Regierungen der beiden Basel, mit einer bereits vor der Fusionsinitiative durch einen parlamentarischen Vorstoss vorgeschlagenen Fusionssimulation abzuwarten, bis über die Fusionsinitiative abgestimmt wird
[9].
Im Rahmen der Jurafrage (siehe unten) wurde auch die Idee eines Kantons Jurabogen wieder aufgenommen. Eine im Berner Kantonsparlament eingereichte Motion Gsteiger (BE, evp) wollte die Berner Regierung auffordern, Verhandlungen nicht nur mit dem Kanton Jura, sondern auch mit dem Kanton Neuenburg für einen
canton l‘Arc jurassien aufzunehmen. Sozusagen als Plan B müsse diese Idee mit einbezogen werden. Die Berner Regierung sprach sich gegen den Vorstoss aus. Es sei zu früh, über einen Grosskanton zu diskutieren; die Jurafrage habe Priorität
[10].
In der Innerschweiz lancierte der alt Regierungsrat Ulrich Fässler (LU, fdp) nach der Lancierung der Fusionsinitiative beider Basel die Idee eines
Kantons Zentralschweiz bestehend aus den Kantonen Luzern, Uri, Schwyz, Zug, Ob- und Nidwalden. Der Föderalismus könne sich nur mit Kantonsfusionen weiterentwickeln. Die kantonalen Aufgaben könnten heute nur noch im Verbund wahrgenommen werden, oder aber sie würden immer mehr an den Bund delegiert. Ein Zusammenschluss von Kantonen würde deshalb den Föderalismus wieder stärken, so Fässler. In der Presse wurde die Idee breit rezipiert, stiess aber mehrheitlich auf Skepsis
[11].
Nach jahrelangen und zahlreichen, zähen Diskussionen und Verhandlungen über die nach wie vor nicht gelöste Jurafrage, legte die 1994 gegründete Assemblé Interjurassienne (AIJ) – die Tripartite Konferenz bestehend aus den beiden Kantonen Jura und Bern und einer Vertretung des Bundes – eine
Absichtserklärung vor. Das in Anwesenheit von Bundesrätin Sommaruga und dem Präsidenten der AIJ, Dick Marty, verabschiedete Dokument sieht rund 40 Jahre nach der ersten Jura-Abstimmung ein neues Referendumsprozedere vor. Zwei Volksabstimmungen sollen gleichzeitig im Kanton Jura und im Berner Jura durchgeführt werden. Die Abstimmungsfrage lautet dabei, ob ein Verfahren für die Gründung eines neuen Kantons eingeleitet werden solle, der den jetzigen Kanton Jura und den französischsprachigen Teil des Kantons Bern umfassen soll. Im Kanton Jura soll diese Frage im Rahmen einer Verfassungsänderung beantwortet werden, während es sich im Berner Jura um eine Konsultativabstimmung handeln wird. Die Vereinbarung wurde möglich, nachdem die Berner Regierung in der von der Presse so betitelten „Moutierfrage“ eingelenkt hatte: Nach der ersten Abstimmungsrunde können die bernjurassischen Gemeinden innert zwei Jahren einzeln eine kommunale Abstimmung durchführen mit der sie – je nach Ausgang der ersten Abstimmung – einen Verbleib beim Kanton Bern oder aber einen Wechsel zum Kanton Jura beantragen können. Erwartet wird, dass der Berner Jura sich für den Verbleib im Kanton Bern aussprechen wird, die ziemlich separatistische Berner Gemeinde Moutier dann aber eine zweite kommunale Abstimmung einfordern könnte
[12].
Die Umsetzung der Absichtserklärung für eine zweite Jurafrage stiess vor allem im Kanton Bern auf beträchtliche Widerstände. Die Vorbereitung einer in der Absichtserklärung der AIJ vorgesehenen
Volksabstimmung, die voraussichtlich Ende 2013 stattfinden wird, bedingt die Schaffung von entsprechenden Rechtsgrundlagen und einer Abänderung des Sonderstatuts des Berner Jura. Der Conseil du Jura Bern (CJB), ein mit dem Sonderstatut gebildetes, gewähltes Regionalparlament mit Kompetenzen in Kultur- und Bildungsfragen, forderte vom Kanton Jura die Garantie, dass dieser nach der geplanten Abstimmung die Jurafrage als gelöst bezeichnen wird. Mit einer Empfehlung wolle der CJB abwarten, bis diese wichtige Frage geklärt sei. Die Jurassische Regierung bekräftigte daraufhin ihren Willen zu einer guten Lösung in der Jurafrage und versprach, die Frage nach einem neuen Kanton Jura nach den Abstimmungen fallen zu lassen. Ende Juni stimmte der CJB dann mit 16 zu 7 Stimmen für den Abstimmungsprozess mit dem Hinweis, die Entwicklungen weiterhin kritisch zu verfolgen. Auf Berner Seite ging insbesondere die SVP früh in Fundamentalopposition. Es sei unverständlich, dass ohne Not und ohne eigentliche Nachfrage durch die Bevölkerung der Frieden im Berner Jura aufs Spiel gesetzt werde, liess die Volkspartei Ende Juni verlauten. Zudem bestehe mit der Erlaubnis einer nachträglichen Gemeindeabstimmung die Gefahr einer Zerstückelung der Region. Nach dem kritischen Ja des CJB legte die Berner Regierung ihren Vorschlag zur Änderung des Sonderstatuts vor. Regierungsrat Philippe Perrenoud (sp), dem das Dossier unterstand, sprach von einem aufwändigen Prozess, der aber ohne Alternative sei. Zeitgleich gab auch die Regierung des Kantons Jura die Verfassungsrevision in die Vernehmlassung. Anfang September lagen die Vernehmlassungsantworten im Kanton Bern vor. Die meisten Teilnehmer äusserten sich positiv, einzig die SVP, die chambre d’agriculture du Jura bernois und der Verband Bernischer Burgergemeinden stellten sich gegen das Abstimmungsprozedere. Vorbehalte meldete die EDU an und auch die BDP wies den zweiten Schritt mit der gemeindeweisen Abstimmung zurück. Die Beratungen in den kantonalen Parlamenten waren auf Januar 2013 geplant. Für Wirbel sorgte die SVP Bern aber bereits Anfang November mit einer Motion, die ein Verbot der nachgelagerten gemeindeweisen Abstimmungen verlangte. Zudem forderte die Partei, dass die Änderung des Sonderstatuts in einem Referendum der gesamten Berner Bevölkerung vorgelegt werden müsse. Ende November nahm der Grosse Rat die Motion mit 67 zu 64 Stimmen bei zwei Enthaltungen an. Allerdings legte die so genannte Jura-Delegation des Kantonsparlamentes ihr Veto ein. Die Abgeordneten aus dem Berner Jura haben ein Vetorecht bei Fragen die den Berner Jura betreffen. Der Entscheid wurde entsprechend auf Januar 2013 vertagt. Die Berner Regierung machte deutlich, dass die gemeindeweise Abstimmungen ein Bestandteil des Abkommens sei. Bleibe es bei der Entscheidung gegen den zweiten Schritt, so müssten die Kantone neu verhandeln. In der Person von Rudolf Joder (svp, BE) wurde der Konflikt auch ins nationale Parlament getragen. Joder verlangt in einem noch nicht behandelten Postulat, dass der Bundesrat das geplante Verfahren zur Jurafrage auf Recht- und Verfassungsmässigkeit überprüfe
[13].
[9]
BaZ, 4.2. und 27.2.12;
NZZ, 26.4.12;
BaZ, 26.4., 15.5., 5.7. und 27.7.12;
NZZ, 15.6. und 6.7.12;
BaZ, 3.8.12; Presse vom 4.8.12;
BaZ, 8.8., 30.8., 7.9. und 10.11.12 ; vgl.
SPJ 2011, S. 65 f.
[10]
QJ, 3.3., 16.5., 23.5. und 17.11.12.
[11]
NLZ, 10.8., 11.8.12;
SGT, 11.8.12;
NLZ, 18.8.12;
WW, 23.8.12.
[12]
QJ, 18.2.12; Presse vom 21.2. und 22.2.12;
NZZ, 27.3.12.
[13]
BZ, 21.2.12;
QJ, 2.3. und 31.3.12;
Bund, 31.3.12;
QJ, 11.5., 6.6. und 21.6.12;
LT, 21.6.12;
BZ und
Bund, 26.6.12;
QJ, 27.6.12; Presse vom 29.6. und 30.6.12;
QJ und
NZZ, 4.7.12;
Bund, 6.9.12;
WoZ, 18.10.12;
BZ, 8.11.12; Presse vom 30.11.12;
QJ, 4.12.12;
BZ, 27.12.12;
Lib. 28.12.12; Po. 12.4256 (Joder).
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