Année politique Suisse 2012 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen / Wahlen in kantonale Regierungen
Ende 2011 hatte Links-Grün bei Ersatzwahlen für den verstorbenen Jean-Claude Mermoud (svp) überraschend mit Béatrice Métraux (gp) die Mehrheit in der Waadtländer Exekutive erobert. Die Bürgerlichen waren im siebenköpfigen Staatsrat nur noch mit drei Sitzen vertreten (2 FDP und 1 LP), während Links-Grün mit je zwei Sitzen von GP und SP die Mehrheit im Conseil d’Etat hielt. Im Zentrum der Erneuerungswahlen 2012 stand die Frage, ob es den Bürgerlichen gelingen würde, diese Mehrheit zurück zu erobern. Schon einmal währte eine links-grüne Mehrheit im Staatsrat nach Ersatzwahlen nur kurz, als 1996 bei einer Ersatzwahl Joseph Zisyadis (pda) gewählt, bei den Gesamterneuerungswahlen aber nicht bestätigt wurde. Spannend war überdies, ob die SVP, die bei der Ersatzwahl ihren einzigen Regierungssitz in der Romandie verloren hatte, diese Charge wieder auswetzen konnte. Der frei werdende Sitz von Infrastrukturdirektor François Marthaler (gp) eröffnete dabei zusätzlichen Spielraum. Die SVP hatte vorerst allerdings Probleme mit der Kür eines Kandidaten. Der bei den Ersatzwahlen 2011 unterlegene Pierre-Yves Rapaz stellte sich zwar wieder zur Verfügung, ihm wurden aber parteiintern nur geringe Chancen auf die Rückeroberung des Staatsratssitzes attestiert. Schliesslich wurde der Lausanner Stadtparlamentspräsident Claude-Alain Voiblet ins Rennen geschickt. Wenig erfreut über diese Wahl zeigten sich die FDP und die LP (in der Waadt zum Zeitpunkt der Wahlen noch nicht fusioniert; siehe Teil IIIa, Parteien) die lieber zusammen mit einem moderateren Kandidierenden ins Rennen gestiegen wären. Trotzdem traten die zwei bisherigen freisinnigen Staatsräte Jacqueline de Quattro und Pascal Broulis und der liberale Staatsrat Philippe Leuba zusammen mit Voiblet auf einer gemeinsamen Liste an. Gemeinsam traten auch die SP und die GP an. Die vier Sitze sollten mit drei Kandidierenden der Sozialdemokraten und der erst Ende 2011 gewählten Béatrice Métraux (gp) gemeinsam verteidigt werden. Die SP strebte also mit Nuria Gorrite einen dritten Sitz an. Die beliebte Stadtpräsidentin von Morges – bei den kommunalen Wahlen erhielt sie mehr als 60% der Wählerstimmen – hätte eigentlich schon bei den Ersatzwahlen für Mermoud antreten sollen, hielt sich damals aber noch zurück. Neben Gorrite wollten die bisherigen Anne-Catherine Lyon und Pierre-Yves Maillard ihre Sitze für die Sozialdemokraten verteidigen. Entgegen dem Ansinnen ihrer Präsidentin, Isabelle Chevalley, verweigerte die Basis der GLP die Unterstützung für die SVP. In der Folge trat ihr Kandidat Patrick Vallet nicht auf einer taktischen gemeinsamen FDP-SVP-GLP-Liste an, sondern auf einer Zentrumsliste zusammen mit je einem Kandidaten der CVP (ex-Post Chef Claude Béglé), der EDU (Maximilien Bernhard) und der BDP (Martin Chevallaz). Nicht weniger als fünf Kandidierende präsentierte die unter dem Namen „La Gauche“ agierende vereinigte extreme Linke. Julien Sansonnens, der Vizepräsident der POP, Jean-Michel Dolivo (SolidaritéS) sowie Yvan Luccarini, Aurélie Wydler und Soufia Fekih (alle drei ohne offizielle Bindung an eine unter der Etikette „La Gauche“ zusammengefassten Bewegungen) traten gemeinsam auf einer Fünferliste an. Darüber hinaus stiegen Roland Villard und Tiziana Cordiani für den Mouvement Citoyens Vaudois (MCVD) ins Rennen. Emanuel Gétaz, der bereits bei den Ersatzwahlen im Vorjahr angetreten war und rund 10% der Stimmen auf sich vereinigen konnte, versuchte für „Vaud libre“ einen Sitz zu erobern. Auf der Liste „Parti de rien“ trat schliesslich auch der parteilose Guillaume Morand an. Insgesamt kandidierten damit 21 Personen aus zehn Parteien und Bewegungen für den Staatsrat – eine noch nie dagewesene Zahl. Trotz der grossen Zahl an Kandidierenden, der spannenden Ausgangslage und dem Zweikampf zwischen Links-Grün und Bürgerlich um die Staatsratsmehrheit verlief der Wahlkampf ausserordentlich ruhig, wurde gar als steif, glanzlos und langweilig bezeichnet. In der Presse wurden mehrere Gründe genannt: Die kurze Zeitspanne seit den Ersatzwahlen; die hohe Wahrscheinlichkeit eines zweiten Wahlganges, bei dem die Stimmen der extremeren Parteien (La Gauche und MCVD) den gemässigteren Parteien zukämen und es deshalb darum gehe, die gemässigte Wählerschaft nicht zu verärgern; die hohe Zahl an Bisherigen, welche betont magistral auftreten wollten; aber auch die eher wenig profilierten Kandidaturen der extremen linken und rechten. Auch der bisher als eher wenig moderat wahrgenommene Voiblet (svp) hielt sich auffällig zurück, um sich den Vorteil der gemeinsamen Liste mit LP und FDP nicht zu nehmen und die Gunst der Mittewähler nicht zu verscherzen.
Beim ersten Wahlgang am 11. März schafften vier Bisherige das absolute Mehr (81 961 Stimmen). Die meisten Stimmen erhielt Maillard (97 357 Stimmen) gefolgt von den drei bisherigen Bürgerlichen Broulis (94 216 Stimmen), de Quattro (89 268 Stimmen) und Leuba (89 220 Stimmen). Unter der nötigen Stimmenzahl blieben die beiden anderen Bisherigen Métraux (73 341 Stimmen) und Lyon (72 660 Stimmen). Die Beantwortung der Frage nach einer bürgerlichen oder linken Mehrheit in der Waadtländer Regierung wurde damit auf den zweiten Umgang verschoben und blieb auch deshalb spannend, weil Gorrite (72 326 Stimmen) und Voiblet (62 475 Stimmen) auf den Rängen 7 und 8 folgten; allerdings musste Voiblet bereits einen recht deutlichen Rückstand hinnehmen. Die restlichen Kandidierenden hatten allesamt keine Chancen auf einen Sitzgewinn. Einzig Béglé (15 527 Stimmen) und Dolivo (10 981 Stimmen) erhielten mehr als 10 000 Stimmen. Von den 17 verbliebenen Kandidierenden trat neben dem links-grünen Frauentrio und Voiblet denn auch nur noch Emmanuel Gétaz an, der mit knapp 5% der Wählerstimmen im ersten Wahlgang der Wählerschaft noch einmal einen „echten Bürgerlichen“ anbieten wollte. Während La Gauche die links-grünen Kandidatinnen empfahl, sprachen sich die FDP, die LP, die GLP und die BDP für eine Unterstützung von Voiblet aus, mit dem Ziel, die links-grüne Mehrheit zu verhindern. Die CVP beschloss Stimmfreigabe. Die Ausgangslage verhiess noch einmal Spannung und der Ton zwischen beiden Lagern verschärfte sich deutlich. Links-grün unterstrich die Nähe Voiblets zum Zürcher Flügel der SVP und das bürgerliche Lager bezeichnete die Wahl Voiblets als „utilité politique“. Für Aufregung sorgten zudem Kleber, welche passgenau auf Plakaten von Gétaz heimlich angebracht für eine Unterstützung Voiblets warben. Die Wählerinnen und Wähler – 36% machten von ihrem Recht Gebrauch – entschieden sich am 1. April relativ deutlich für eine
Bestätigung der links-grünen Mehrheit. Mit der Wahl von Nuria Gorrite (74 438 Stimmen) sowie der Bestätigung von Béatrice Métraux (73 325 Stimmen) und Anne-Catherine Lyon (70 165 Stimmen) kam es zudem – bisher einzigartig auf kantonaler Ebene – zu einer Frauenmehrheit im Staatsrat. Claude-Alain Voiblet (62 480 Stimmen) konnte das bürgerliche Lager nicht mehr genügend mobilisieren. Emmanuel Gétaz (12 485 Stimmen) erreichte die 10%-Stimmenanteile nicht mehr ganz. Die neue Regierung musste sich nach dem deutlichen Rechtsrutsch im Parlament (siehe oben) allerdings auf eine „Cohabitation“ einstellen. Zum Regierungspräsidenten wurde der Wahlsieger Pierre-Yves Maillard bestimmt. Der Kanton Waadt kennt eine vierjährige Präsidentschaft
[17].
[17] Ersatzwahlen Mermoud:
SPJ 2011, S. 129 f.; Wahlen vom 11.3.12 (1. Wahlgang): Presse vom 12.3.12; Wahlkampf:
LT, 5.1.12;
24h, 9.1.12;
LT, 10.1.12;
24h, 10.1.12;
LT, 11. und 12.1.12;
24h, 16.1.12; Presse vom 17.1.12;
24h, 29.2.12;
LT, 10.3.12; Wahlen vom 1.4.12 (2. Wahlgang): Presse vom 2.4.12; Wahlkampf:
24h, 16.3.12;
LT, 26.3.12;
24h, 27.3.12;
LT, 29.3.12.
Copyright 2014 by Année politique suisse