Année politique Suisse 2012 : Wirtschaft / Geld, Währung und Kredit / Banken, Börsen und Versicherungen
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Finanzplatzkrise und Bankgeheimnis
Der Ständerat behandelte im der Februarsession eine vom Nationalrat bereits 2011 angenommene Motion Lüscher, die vom Bundesrat die Erarbeitung eines Souveränitätsschutzgesetzes verlangte. Damit sollten rechtsverletzende Handlungen, die auf Druck eines Drittstaats erfolgen, präventiv verhindert werden. Die Motion ist im Zusammenhang mit dem US-Steuerstreit und dem Erlass der FATCA-Regelungen (siehe unten) zu sehen. Der Ständerat nahm 2012 die vom Bundesrat unterstützte Motion ohne Gegenantrag an. Informationen dazu ebenfalls oben, Teil I, 1b (Staatsschutz) [26].
Eine bereits 2011 überwiesene und ebenfalls im Zusammenhang mit der US-Regulierung FATCA stehende Motion Briner war am Jahresende im EFD hängig. Sie verlangte die entsprechende Anpassung von schweizerischem Recht (Strafgesetzbuch, Bankengesetz), um Souveränitätskonflikten mit den USA vorzubeugen [27].
Die absehbare Einführung der US-Regulierungen des Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) beschäftigte im Berichtsjahr weniger das Parlament als vielmehr die Schweizer Diplomatie. In seiner ursprünglichen Form sah FATCA für alle potenziell in den USA steuerpflichtigen Kunden eine Datenmeldung an die US-Steuerbehörde (IRS) durch die betreuenden Finanzintermediäre vor. Im Falle einer Nicht-Zustimmung zur Datenmeldung durch einen betroffenen Kunden sollten alle US-Zahlungen an diesen sogenannt „unkooperativen“ Kunden mit eine Quellsteuer von 30% belegt werden. Zusätzlich waren in diesem Fall die Einfrierung der betroffenen Kundengelder und die anschliessende Saldierung der entsprechenden Konti vorgesehen. Von der Meldepflicht ausgenommen werden sollten unter anderem Lokalbanken, deren Kunden zu mindestens 98% aus dem Inland stammten. Diese Institute wurden a priori als FATCA-konform angesehen. International stiess FATCA wegen seiner extraterritorialen Wirkung auf Kritik, vor allem weil die Regelung häufig im Konflikt mit den lokalen Rechtsordnungen stand. Zusätzlich bemängelten Finanzverbände die unverhältnismässig hohen Kosten der Umsetzung. Für die Schweiz war besonders stossend, dass kaum eine Lokalbank mindestens 98% Schweizer Kundenbeziehungen unterhielt, weil viele Banken Kunden im grenznahen Ausland betreuten. Derweil wurden den EU-Finanzinstituten die Bürger sämtlicher Mitgliedsstaaten als inländische Kunden angerechnet. Das bilaterale Abkommen zwischen der Schweiz und den USA, das Ende 2012 paraphiert wurde, sah für den Schweizer Finanzplatz verschiedene Erleichterungen bei der Umsetzung von FATCA vor. Unter anderem wurde die Meldungspflicht von potenziell in den USA steuerpflichtigen Personen auf 1.1.14 verschoben. Zusätzlich wurden Sozialversicherungen, Pensionskassen sowie Sach- und Schadenversicherungen von FATCA ausgenommen. Lokalbanken, deren Kunden zu mindestens 98% aus der Schweiz oder der EU stammten, wurden ebenfalls als a priori FATCA-konform angesehen, was einer faktische Ausnahme von der Meldepflicht entsprach und den befürchteten Wettbewerbsnachteil gegenüber Finanzintermediären aus dem EU-Raum abwendete. Im Gegenzug wurde den Schweizer Lokalbanken verboten, US-Kundengelder abzulehnen. Die wichtigste Regelung betraf jedoch die Datenlieferung an die USA, weil diese nach ursprünglichem Abkommen im Konflikt mit dem schweizerischen Bankkundengeheimnis gestanden hätte. Der Vertrag sah vor, dass Schweizer Finanzintermediäre direkt Kundeninformationen in die USA übermitteln sollten, falls der Kunde der Datenlieferung zustimmte. Andernfalls war, im Gegensatz zur erlassenen FATCA-Regelung, weder ein Quellsteuerabzug auf US-Wertschriften noch die Schliessung der betroffenen Kundenkonti vorgesehen. Allerdings verpflichteten sich die Finanzdienstleister in diesem Fall dazu, aggregierte Informationen zu den unkooperativen Kunden an die USA zu übermitteln, worauf diese ein Amtshilfegesuch an die Schweizer Behörden stellen konnten (Gruppenanfrage mit spezifischen Verhaltensmuster, in diesem Falle die Nicht-Zustimmung zur Offenlegung der Konti). Die Schweizer Behörden konnten darauf die Herausgabe der Kundeninformationen verfügen. Bundesrätin Widmer-Schlumpf anerkannte, dass die gefundene Lösung zwar formell keinem automatischen Informationsaustausch entsprach, faktisch diesem aber sehr nahe kam. Für die internationale Verhandlungsposition bezüglich des von der Schweiz gegenüber dem automatischen Informationsaustausch bevorzugten Abgeltungssteuerkonzepts war es offentsichtlich wichtig, formell keinem automatischen Informationsaustausch zuzustimmen. Dies scheint mit ein Grund zu sein, weshalb die Schweiz auf Reziprozität verzichtete, also von den USA keine Datenlieferungen zu in der Schweiz steuerpflichtigen Personen erhalten wollte. Mit dem FATCA-Vertrag setzen sich die eidgenössischen Räte ab 2013 auseinander [28].
Neben FATCA beschäftigte im Berichtsjahr der Steuerstreit mit den USA den Schweizer Finanzplatz. Bis zum Jahresende war weder eine Globallösung für den Finanzplatz gefunden noch hat eine der rund ein Dutzend in den USA in ein strafrechtlichs Verfahren verwickelten Banken ein individuelles Abkommen mit den dortigen Behörden abschliessen können. Das DBA von September 2009 wurde im Berichtsjahr bereits angepasst, war jedoch am Jahresende weder von der Schweiz noch von den USA ratifiziert. Der schweizerisch-amerikanische Steuerstreit spielte sich 2012 hauptsächlich in drei Bereichen ab. Erstens bemühte sich die Diplomatie um eine Globallösung für den Finanzplatz Schweiz. Diese scheiterte bis zum Jahresende unter anderem an der Frage der Bussgeldhöhe. Ebenfalls beharrten die USA für vermutete Steuerhinterziehungsfälle weiterhin auf Datenlieferungen für Fälle, die vor September 2009 zurücklagen. Allerdings war dies aufgrund des Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) von 1996 und dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts von 2010 rechtlich nicht vorgesehen. Einige Rechtsexperten erachteten es zwar als möglich, dass das Parlament ein ergänzendes Protokoll zum DBA 1996 hätte verabschieden können, das die rückwirkende Amtshilfe bei fortgesetzter, schwerer Steuerhinterziehung ermöglicht hätte. Solch ein Vorgehen fand jedoch kaum politische Unterstützung. In diesem Zusammenhang kam es am Rande der Verhandlungen zu amerikanischen Amtshilfegesuchen betreffend Kunden der Credit Suisse, die vor 2009 der Steuerhinterziehung verdächtigt wurden. Das Bundesverwaltungsgericht hiess jedoch eine Klage gegen die eidgenössische Steuerverwaltung gut, die das Recht auf Amtshilfe auch bei Fällen von vermeintlicher Steuerhinterziehung verfügt hatte.
Der zweite Bereich des US-Steuerstreits betraf die rund ein Dutzend in ein strafrechliches Verfahren verwickelten Banken, die vornehmlich unbeobachtet von der Öffentlichkeit versuchten, ein individuelles Abkommen mit den US-Behörden abzuschliessen. Auf Druck der Amerikaner lieferten mindestens fünf Banken im Jahresverlauf Mitarbeiterdaten in die USA: Der Bundesrat hatte diese Handlung auf Basis von Artikel 271 StGB bewilligt. Die irritierten Bankmitarbeiter klagten darauf ihre Arbeitgeber (Verletzung der Fürsorgepflicht) an, worauf diese die Verantwortung an den Bundesrat abschoben. Dieser hielt wiederum fest, dass seine Bewilligung zur Datenlieferung nur vor möglicher strafrechtlicher, jedoch nicht vor zivilrechtlicher Verfolgung befreiende Wirkung entfaltete. Tatsächlich enthielt die Bewilligung des Bundesrats den ausdrücklichen Hinweis auf die zivilrechtlichen Verpflichtungen der Banken aus ihren Arbeitsverhältnissen. Das Vorgehen des Bundesrats erntete trotzdem sowohl juristische als auch politische Kritik.
In einer dritten Ausprägung des US-Steuerstreits stand die im Parlament behandelte Ergänzung des neuen US-DBA von 2009 mit der Möglichkeit von Gruppenanfragen aufgrund von Verhaltensmustern im Vordergrund. Dieses Geschäft kam in der Frühjahrssession in den Nationalrat, nachdem der Ständerat die Ergänzung bereit 2011 angenommen hatte. Die Zustimmung zu dieser Erweiterung galt als wichtiger Baustein im Zusammenhang mit den Verhandlungen für eine Globallösung zum Steuerstreit mit den USA. Ebenso war abzusehen, dass Gruppenanfragen aufgrund von Verhaltensmuster innert kurzer Frist OECD-Standard erlangen würde und dass sich die Schweiz dieser Neuauslegung nicht widersetzen konnte. Die SVP kritisierte zwar die weitere Aushöhlung des Bankgeheimnisses, kam mit ihrem Nichteintretensantrag allerdings nicht durch. Kurioserweise schlug sie dem Bundesrat gar vor, in einer Notsituation wie im Falle der UBS 2011 zu Notrecht zu greifen, womit der vorauseilende Gehorsam gegenüber den USA und der OECD hinfällig würde. Im Kontrast dazu appellierte die SP an den Bundesrat, Verhandlungen mit der EU über den automatischen Informationsaustausch aufzunehmen. Zusätzlich liess die Partei verlauten, dass sie dem Abkommen nur zustimmen würde, wenn der Bundesrat in der vorgesehenen Weissgeldvorlage, die für 2013 traktandiert ist, eine Selbstdeklaration der Bankkunden vorsehen werde. Eveline Widmer-Schlumpf gab diesbezüglich ein Versprechen ab; am Jahresende schien eine absolute Umsetzung der Selbstdeklaration jedoch nicht sehr wahrscheinlich. Die FDP ihrerseits verlangte vom Bundesrat die Zusicherung, dass das neue DBA erst ratifiziert würde, wenn eine Globallösung gefunden sei. Die Landesregierung sicherte ein solches Vorgehen zu, wollte dies allerdings nicht in den Bundesbeschluss schreiben, um seine Verhandlungsposition nicht zu schwächen. Ein entsprechender Antrag der SVP auf schriftliche Fixierung wurde im Ratsplenum klar abgelehnt. In der Schlussabstimmung stellte sich lediglich die SVP gegen die Vorlage. Das Geschäft passierte in der im Nationalrat mit 134 zu 56 und im Ständerat mit 39 zu 0 Stimmen bei vier Enthaltungen [29].
Eine 2011 von beiden Räten überwiesene Motion Bischof, die vom Bundesrat gefordert hatte, die Diskriminierung des Schweizer Finanzplatzes gegenüber Vertragspartnern von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), namentlich den USA, bezüglich Bankgeheimnis zu bekämpfen, wurde 2012 vom Bundesrat zur Abschreibung empfohlen. Er sah keinen Anlass zu gesetzgeberischen Massnahmen. National- und Ständerat lehnten den Abschreibungsantrag jedoch ab, weshalb das Begehren am Jahresende nach wie vor beim Bundesrat pendent war [30].
Im Berichtsjahr war nicht nur der Steuerstreit mit den USA ein wichtiges Thema, sondern auch jener mit Deutschland (siehe dazu auch oben, Teil I, 2, Bilaterale Beziehungen). Das bereits 2011 unterzeichnete Abgeltungssteuerabkommen mit Deutschland wurde 2012 nachverhandelt und vom Parlament angenommen (Entwurf 1). In seiner ursprünglichen Form sah das Abkommen vor, dass auf in der Schweiz lagernden Schwarzgeldern aus Deutschland eine Abgeltungssteuer von 19 bis 34% erhoben werden sollte, sofern die betroffenen Kunden einer Offenlegung ihrer Bankbeziehungen gegenüber den deutschen Steuerbehörden nicht zustimmten. Bundesrätin Widmer-Schlumpf sah in dieser Abgeltungssteuer ein probates Mittel, um den legitimen Steuerinteressen Deutschlands gerecht zu werden, ohne das Schweizer Bankgeheimnis zu verletzen. Noch bevor das Abkommen zur Ratifikation ins eidgenössische Parlament kam, wurden jedoch Nachverhandlungen angestrengt, weil die deutsche Opposition drohte, den Vertrag in der Länderkammer scheitern zu lassen. Die Nachverhandlungen erhöhten unter anderem die Spanne der zu zahlenden Abgeltungssteuer auf 21 bis 41% und unterstellten nicht offengelegte Erbschaften einer Abgeltungssteuer von 50%. Die SVP kritisierte diese Steuersätze als prohibitiv hoch. Sie argumentierte, dass diese einer faktischen Offenlegungspflicht gleichkämen und somit das Bankgeheimnis vollständig aushebelten. Auch Teile der SP äusserten sich skeptisch, weil sie das international aufkommende Prinzip des automatischen Informationsaustauschs bevorzugten. Das Abkommen passierte dennoch relativ klar mit 36 zu 4 Stimmen in Ständerat und mit 109 zu 76 Stimmen im Nationalrat. Weil die sozialdemokratische Opposition im deutschen Bundesrat (Länderkammer) das Abkommen im November ablehnte, wurde der Vertrag hinfällig [31].
Zwei weitere, dem mit Deutschland gescheiterten Abkommen sehr ähnliche Abgeltungssteuerabkommen mit dem Vereinigten Königreich und Österreich nahmen die Räte in der Sommersession ebenfalls an und setzten sie per Anfang 2013 in Kraft (siehe oben, Teil I, 2, Bilaterale Beziehungen). Zwar ergriffen die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns), die Juso und die Junge SVP gegen alle drei Steuerabkommen das Referendum. Allerdings brachten diese Organisationen die Anzahl benötigter Unterschriften knapp nicht zusammen. Betreffend der Diskussion um die Einreichung der Unterschriften, siehe oben, Teil I, 1c (Volksrechte) [32].
Ein Rahmengesetz zur Umsetzung der Steuerabkommen (Bundesgesetz über die internationale Quellenbesteuerung) wurde gleichzeitig mit den oben erwähnten Staatsverträgen behandelt. Das Gesetz sah Bestimmungen zu Organisation und Verfahren der Quellenbesteuerung vor und beschrieb Rechtswege und Strafbestimmungen. Die SVP lehnte auch das Rahmengesetz mit Verweis auf die Lockerung des Bankgeheimnisses ab. Die SP versuchte sich ihre Zustimmung zur Vorlage von weitgehenden Konzessionen abhängig zu machen. Verschiedene Minderheitsanträge der Sozialdemokraten, die unter anderem den Bundesrat verpflichten wollten, den automatischen Informationsaustausch in der Schweiz umzusetzen, sobald dieser internationaler Standard wäre, setzten sich jedoch nicht durch. Die Vorlage wurde im Nationalrat (Zweitrat) in erster Lesung aufgrund der Nein-Stimmen von SVP und SP abgelehnt. Erst bei der zweiten Behandlung passierte das Gesetz mit knappen 88 zu 85 Stimmen, weil sowohl einige SVP- als auch einige SP-Parlamentarier von ihrer ablehnenden Haltung absahen. Im Ständerat war das Gesetz kaum umstritten. In den Schlussabstimmungen wurde die Vorlage mit 37 zu 0 bei 4 Enthaltungen (Ständerat) und 96 zu 86 (Nationalrat) angenommen [33].
Der internationale Druck auf das Schweizer Bankgeheimnis hatte sich seit 2010 auch in Form von Datenkäufen ausländischer Steuerbehörden manifestiert. Dabei hatte Deutschland zwischen 2010 und 2012 mindestens sechs Datenträger mit Angaben zu deutschen (Schwarzgeld-)Kunden erworben. In der Schweiz wurden diese illegalen Praktiken vor allem von bürgerlicher Seite als einem Rechtsstaat unwürdig eingestuft. Deshalb versuchte sie, die Verwendung, Weitergabe und Publikation von Bankkundendaten (Datenhehlerei) härter zu bestrafen. Eine Motion aus der ständerätlichen Kommission für Rechtsfragen wurde im Ständerat in der Wintersession auf Antrag des Bundesrats angenommen und war am Jahresende im Zweitrat hängig. Bereits 2011 war einer in ähnliche Richtung gehende parlamentarische Initiative aus der FDP-Liberalen Fraktion Folge gegeben worden. Die Annahme des neuerlichen Vorstoss geschah nachdem das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen im Sommer 2012 erneut einen Datenträger aus der Schweiz kaufte, obwohl die deutsche Regierung in einer 2011 abgegebenen Erklärung zum damals im Ratifikationsprozess stehenden Abgeltungssteuerabkommen festgehalten hatte, dass es zu keinem weiteren „aktive Erwerb“ von in der Schweiz entwendeten Bankkundendaten kommen sollte [34].
Nach dem Scheitern des Abgeltungssteuerabkommens mit Deutschland war am Jahresende ungewiss, ob das Konzept der Abgeltungssteuer Zukunft haben würde. Zwar konnte mit verschiedenen Ländern ein Abgeltungssteuerabkommen geschlossen werden, andererseits schien sich abzuzeichnen, dass in Europa der Trend in Richtung eines automatischen Informationsaustauschs gehen würde, unter anderem weil das deutsche Parlament nicht von der Abgeltungssteuer überzeugt werden konnte. Zusätzlich stärkte die Umsetzung von FATCA in Luxemburg und Österreich – beide Länder blockierten die Einführung eines automatischen Informationsaustauschs in der EU – die Verhandlungsposition anderer EU-Länder, die den Informationsaustausch einführen wollten. Dies, weil die EU eine Meistbegünstigungsklausel kannte und FATCA faktisch zu einem Informationsaustausch führte. Am Jahresende äusserte sich Bundesrätin Widmer-Schlumpf dahingehendend, dass eine Diskussion um den Informationsaustausch auch für die Schweiz kein Tabu sein dürfe. Dafür wurde sie von den Vertretern der bürgerlichen Parteien scharf kritisiert [35].
In Sachen Finanzplatzkrise verdienen zwei weitere Geschäfte Erwähnung. Im Nationalrat wurde ein Postulat Leutenegger-Oberholzer (sp; BL) überwiesen, das einen Bericht zu den Entwicklungsmöglichkeiten des Schweizer Finanzplatz unter den geänderten Rahmenbedingungen, insbesondere der angekündigten Weissgeldstrategie, forderte. Zum anderen war eine 2010 vom Nationalrat angenommene Motion Graber, die eine Priorisierung des Abgeltungssteuerkonzepts bei internationalen Steuerverhandlungen beantragt hatte, noch immer im Zweitrat pendent [36].
Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen zum Vollzug der Amtshilfe nach Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) waren ab 1.10.10 in einer bundesrätlichen Verordnung geregelt worden. Im Frühjahr 2012 präsentierte der Bundesrat ein Steueramtshilfegesetz, das die Bestimmungen der Verordnung übernehmen und diese ablösen sollte. Unter anderem sah der Entwurf vor, dass Amtshilfe lediglich auf Ersuchen „im Einzelfall“ erfolgen sollte, womit also Gruppenanfragen nicht möglich sein sollten. Ebenso sollte Amtshilfe verweigert werden können, wenn das Gesuch auf illegal beschafften Informationen beruhte. Damit nahm der Bundesrat eine weit verbreitete Forderung auf, wonach ausländischen Steuerbehörden keine Amtshilfe geleistet werden sollte, wenn diese die dazu nötigen Informationen durch den Kauf von entwendeten Datenträgern erlangten. Der Entwurf hatte auch eine innenpolitische Dimension. So sah der Bundesrat vor, dass den inländischen Steuerbehörden die Verwendung von Daten, die im Rahmen eines Amtshilfeverfahrens gewonnen wurden, nur dann gestattet werden sollte, wenn diese auch nach inländischem Recht hätten beschafft werden dürfen. Die Regierung anerkannte, dass dies zu einer Schlechterstellung der inländischen Behörden gegenüber den ausländischen führen würde, weil das Ausland via Amtshilfeverfahren an Informationen von Steuerhinterziehern kommen konnte, während die Schweizer Behörden diese Daten nicht nutzen durften. Allerdings konnte mit dieser Version das inländische Bankgeheimnis aufrechterhalten und eine Diskriminierung von in der Schweiz steuerpflichtigen Personen vermieden werden. Die Vorlage kam in der Frühlingssession erstmals in den Nationalrat. Der Antrag der SVP, der eine explizite Verunmöglichung von Gruppenanfragen forderte, war chancelos. Ebenso abgelehnt wurde ein Antrag der Ratslinken, die Gruppenanfragen aufgrund von Verhaltensmustern explizit ermöglichen wollte. Die grosse Kammer hielt letztlich an der bundesrätlichen Version fest, die Amtshilfe „auf Ersuchen im Einzelfall“ ermöglichen wollte. Ein weiterer Streitpunkt betraf die Identifikationsmerkmale, die für das Gewähren von Amtshilfe vorhanden sein mussten. Nach Vorstellung der SVP sollte nur Amtshilfe geleistet werden, wenn Name und Adresse des betroffenen Kunden genannt werden konnte, was einer Verschärfung des bundesrätlichen Entwurfs entsprach. Demgegenüber wollten die SP und die Grünen die Identifikationskriterien lockern. Beide Minderheitsanträge setzten sich wiederum nicht durch. Auch ein Antrag der Linken, der den inländischen Behörden erlauben wollte, die im Amtshilfeverfahren gewonnen Daten auch für die Durchsetzung von schweizerischem Steuerrecht zu nutzen, blieb erfolglos. Der Ständerat (Zweitrat) befasste sich betreffend der Verwendung von im Amtshilfeverfahren gewonnenen Daten mit demselben Vorstoss der Ratslinken, lehnte ihn aber ebenfalls ab. Im Unterschied zum Bundesrat und zum Nationalrat wurde aber ohne Gegenantrag beschlossen, Amtshilfe auch bei Gruppenanfragen zu ermöglichen, weil zum Zeitpunkt der Beratungen absehbar war, dass dieses Prinzip neuer OECD-Standard werden würde. Gegen den Widerstand der SVP folgte der Nationalrat in der Herbstsession der kleinen Kammer. Dies, nachdem die OECD im Sommer entschieden hatte, Gruppenanfragen aufgrund von Verhaltensmustern zuzulassen. Verschiedene Redner argumentierten, dass die Schweiz nicht riskieren könne, die 2009 erstmals übernommenen Regelungen bereits 2012 wieder zu missachten. Eine letzte Diskussion entbrannte ob der Frage, ob das Gesetz rückwirkend per 18.7.12 (Einführung der neuen OECD-Standards) oder per 1.1.13 in Kraft gesetzt werden sollte. Einige Kommentatoren sprachen sich für die rückwirkende Einsetzung aus, um der deutschen Opposition die Zustimmung zum Abgeltungssteuervertrag schmackhaft zu machen. Davon wurde jedoch abgesehen. Das Gesetz passierte in der Schlussabstimmung mit 134 zu 50 (Nationalrat) und 40 zu 5 Stimmen (Ständerat) [37].
Im Zuge der Verabschiedung des Steueramtshilfegesetzes wurden verschiedene parlamentarische Vorstösse erfüllt oder aufgrund ihrer Hinfälligkeit vom Zweitrat abgelehnt. Dazu zählte eine 2010 vom Nationalrat angenommene Motion Leutenegger-Oberholzer, die eine Beschleunigung der internationalen Amtshilfeverfahren gefordert hatte und 2012 vom Ständerat ohne Gegenantrag abgelehnt wurde. Eine Motion der WAK-NR, die im Erstrat bereits 2010 angenommen worden war und die Ausarbeitung eines Amtshilfegesetzes verlangt hatte, wurde von der kleinen Kammer ebenfalls abgewiesen. Das von der FDP-Liberalen Fraktion mittels parlamentarischer Initiative vorgebrachte, von beiden Kommissionen 2011 gut geheissene Begehren, wonach Amtshilfe nur im individuellen Amtshilfeverfahren erlaubt sein sollte, nicht aber in Form eines automatischen Informationsaustauschs wurde im bundesrätlichen Entwurf zum Steueramtshilfegesetz aufgenommen, dann aber in der Detailbehandlung aufgegeben (siehe oben) [38].
Das Geldwäschereigesetz (BRG 12.065) behandeln wir oben, Teil I, 1b (Strafrecht).
 
[26] Mo. 11.3120: AB NR, 2011, S. 1264; AB SR, 2012, S. 53; vgl. SPJ 2011, S. 200.
[27] Mo. 10.3915: AB SR, 2011, S. 228 f.; AB NR, 2011, S. 2225; vgl. SPJ 2011, S. 199 f.
[28] EFD Medienmitteilung vom 21.6.12; NZZ, 18.5., 22.6., 17.11. und 5.12.12.
[29] Parlamentarische Behandlung DBA: BRG 11.027: BBl, 2011, S. 3749 ff., 6663 ff.; AB SR, 2011, S. 865 ff., 1146 ff.; AB NR, 2012, S. 109 ff., 189 ff., 555; AB SR, 2012, S. 271; BBl, 2012, S. 3511 f.; vgl. SPJ 2010, S. 132, SPJ 2011, S. 201 ff.; NZZ, 27.2.,1.3. und 6.3.12. Ausserparlamentarische Debatte: BVGer A-737/2012 vom 5.4.12; NZZ, 23.4., 26.7., 27.7., 4.8., 22.8. und 15.10.12.; vgl. SPJ 2011, S. 201 ff. Weissgeldvorlage: SGT und NZZ, 15.12.12.
[30] Mo. 09.3147: AB NR, 2011, S. 205 f.; AB SR, 2011, S. 864 f.; AB NR, 2012, S. 841; AB SR, 2012, S. 590; BR, Bericht des Bundesrates vom 2. März 2012 über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahr 2011, S. 24; vgl. SPJ 2011, S. 203 f.
[31] BRG 12.050 (Deutschland, Entwurf 1): BBl, 2012, S. 4943 ff.; AB SR, 2012, S. 278 ff., 643.; AB NR, 2012, S. 736 ff., 1243; BBl, 2012, S. 5823 f.; Medienmitteilung EFD vom 5.4.12; NZZ, 7.4., 30.5. und 14.12.12.
[32] BRG 12.050 (UK, Entwurf 2): BBl, 2012, S. 4943 ff.; AB SR, 2012, S. 278 ff., 643; AB NR, 2012, S. 736 ff., 1243; AS, 2013, S. 133 f. BRG 12.051 (Österreich): BBl, 2012, S. 5307 ff.; AB SR, 2012, S. 278 ff., 292 und 643 ; AB NR, 2012, S. 736 ff., 1243; AS, 2013, S. 95 f.; NZZ, 30.5. und 14.8.12; BZ, 3.10.12.
[33] BRG 12.050 (Entwurf 3): BBl, 2012, S. 4943 ff.; AB SR, 2012, S. 278 ff., 468 f., 542, 643.; AB NR, 2012, S. 736 ff., 1032 ff., 1243; AS, 2013, S. 27 ff.; NZZ, 1.6. und 6.6. und 12.6.12.
[34] Mo. 12.3976 (RK-SR): AB SR, 2012, S. 1037; NZZ, 19.7. und 14.12.12. Pa.Iv. 10.450 (FDP-Lib.): noch nicht im Plenum behandelt.
[35] NZZ, 21.12., 22.12. und 24.12.12.
[36] Po. 12.3513: AB NR, 2012, S. 1795. Mo. 10.3074: AB NR, 2010, S. 1128.
[37] BRG 11.044: BBl, 2011, S. 6193 ff.; AB NR, 2012, S. 80 ff., 1346 ff., 1817; AB SR; 2012, S. 295 ff., 934; BBl, 2012, S. 837 ff.; NZZ, 11.9. und 13.9.12; vgl. SPJ 2011, S. 203.
[38] Mo. 09.3063 (Leutenegger-Oberholzer): AB NR, 2010, S. 1326 f.; AB SR, 2012, S. 300. Mo. 10.3341 (WAK-NR): AB NR, 2010, S. 915; AB SR, 2012, S. 300. Pa.Iv. 10.449 (FDP-Lib.): noch nicht im Plenum behandelt.