Année politique Suisse 2012 : Wirtschaft / Landwirtschaft
Tierische Produktion
Ein Postulat Gschwind (cvp, JU) wurde im Berichtsjahr vom Nationalrat überwiesen. Der Bundesrat wird mit der Durchführung einer ausführlichen vergleichenden Studie über die
Preisunterschiede von Tierarzneimitteln in der Schweiz und benachbarten Ländern wie Deutschland, Österreich oder Frankreich beauftragt. Eine kurze, nicht repräsentative Studie des Preisüberwachers legte bereits den Verdacht nahe, dass Veterinärmedizin in der Schweiz teurer ist als im Ausland. Damit der Bundesrat Massnahmen einleiten kann, müssen diese Ergebnisse jedoch zuerst bestätigt werden
[19].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Hassler (bdp, BE). Der Bundesrat solle überprüfen, ob die Grossvieheinheit (GVE) bei
Mutterkühen analog zu gemolkenen Kühen von 0,8 auf 1 gesetzt werden sollte. Die GVE wirkt sich direkt auf tierbezogene Beiträge an die Landwirte aus. Da Mutterkühe punkto Pflege und Futter die gleichen Kosten verursachen wie gemolkene Kühe und zudem durch die Produktion von Kalbfleisch ebenfalls zur Ernährung der Bevölkerung beitragen, sei eine Gleichbehandlung im Rahmen des GVE-Ansatzes gerechtfertigt
[20].
Nachdem im Winter 2011/2012 beinahe 50% aller Bienenvölker in der Schweiz verendet waren, rief der Bundesrat im Sommer einen nationalen
Bienengesundheitsdienst ins Leben. Dessen Aufgaben werden die Beratung der Imker und Vereine im korrekten Umgang mit Arznei- und anderen Hilfsmitteln, die Unterstützung kantonaler Vollzugsbehörden und die Überwachung der Gesundheit der Bienen sein. Verantwortlich für das massive Bienensterben war laut der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux nebst Wetterbedingungen der vorangegangenen Saison hauptsächlich die Varroa-Milbe: Es handelt sich hierbei um einen ursprünglich aus Asien stammenden Parasiten, der zurzeit weltweit grosse Schäden anrichtet und bei Imkern zu beträchtlichen wirtschaftlichen Einbussen führt
[21].
Auch das vorliegende Berichtsjahr zeichnete sich durch starke
Spannungen auf dem Milchmarkt aus. An der Delegiertenversammlung der Branchenorganisation Milch (BOM) im Frühling wurde die im vorigen Jahr eingeführte Abgabe auf Milch zum Abbau des Butterbergs wieder abgeschafft. Die Massnahme war auf passiven Widerstand gestossen: Einzelne Verteilorganisationen hatten sich geweigert, die zur Abgabenberechnung benötigten Daten zu publizieren, was die Ausführung faktisch verunmöglichte. Experten befürchteten, dass der Butterberg nun wieder ansteigen und der Milchpreis weiter unter Druck geraten werde. Tatsächlich sank der Preis pro Kilo Milch im Mai auf 58,11 Rappen, was dem tiefsten Wert seit Beginn der Preisbeobachtung 1999 durch das BLW entspricht. Für den tiefen Preis wurden hauptsächlich zwei Gründe angeführt: Erstens hätten nach Aufhebung der Milchkontingentierung zu viele Bauern ihr Heil in einer Mehrproduktion gesucht und so den Markt buchstäblich mit Milch überschwemmt. Zweitens funktioniere das Selbstregulierungssystem der Branchenorganisation nur bedingt: Da die 2009 eingeführte Segmentierung von Milch in drei Preisklassen nicht auf der Qualität der gehandelten Milch, sondern allein auf deren Verwendungszweck beruhe, bestünden für Händler und Weiterverarbeiter grosse Anreize zum Missbrauch. Dadurch würden die Bauern zu den Hauptleidtragenden. Aus Protest gegen dieses „Milchpreis-Dumping“ drohte die Organisation Schweizer Milchproduzenten (SMP) im November mit einem Austritt aus der BOM. Um dies zu verhindern, wurde beschlossen, dass ein Kontrollsystem zur Unterbindung jener Betrügereien errichtet werden soll. Der SMP wurde ausserdem ein dritter Vorstandssitz gewährt
[22].
Im Rahmen der Delegiertenversammlung im November erklärte der BOM-Präsident und alt-Nationalrat Markus Zemp, dass der
Butterberg mit Hilfe des Marktentlastungsfonds von 10 000 auf 2 000 t reduziert werden konnte. Die Milchschwemme sei zudem nicht mehr so dramatisch, weil die Milcheinlieferungen seit Juni kontinuierlich gesunken seien. Zemp machte hauptsächlich den heissen Sommer sowie das teure Kraftfutter dafür verantwortlich und hoffte, dass sich der Milchpreis nun bald erholen werde
[23].
Der Nationalrat bekräftigte mit Annahme der Motion Büttiker (fdp, SO) in der Frühlingssession, dass die Milchproduktion in der Schweiz grundsätzlich an die
betriebseigenen Raufutterflächen gebunden werden soll. Damit sollen die Anreize für eine Überproduktion und die damit verbundenen Importe von Kraftfutter eingedämmt werden. Eine Mitte-Rechts-Minderheit, welche in der Abstimmung immerhin 40% des Rates hinter sich zu scharen vermochte, hatte zu Bedenken gegeben, dass bereits heute der Grossteil der Milchproduktion auf Raufutter basiere und dass Markenprogramme existierten, welche die KonsumentInnen auf Produkte aus solcher Produktion hinweisen würden. Weder diese Argumente noch der Hinweis auf den zusätzlichen administrativen Aufwand für die Landwirte vermochte die Räte umzustimmen. Das Anliegen fand in Form der Versorgungssicherheitsbeiträge auch Eingang in die Revision des Agrargesetzes (vgl. oben)
[24].
Die grosse Kammer überreichte im Mai eine Motion Bourgeois (fdp, FR) an den Ständerat, welche die Exekutive zur Stärkung und Ausweitung der im Gesetz festgeschriebenen
Milchverträge auffordert. Die 2009 gegründete Branchenorganisation Milch (BOM) sei mit ihren derzeitigen Instrumenten nicht in der Lage, den Markt im Gleichgewicht zu halten und die grösstmögliche Wertschöpfung für Milch zu gewährleisten. Die Verträge zwischen Produzenten und Abnehmer müssten deswegen mit Mindeststandards bezüglich Vertragsdauer, Milchmenge und Art der Preisfestsetzung versehen werden. Des Weiteren solle ein Mindestanteil von Milch, welche den höchsten Qualitätskriterien der BOM entspricht, in den Verträgen festgelegt werden, um Preisstabilität und gerechte Bedingungen für die Vertragspartner zu garantieren. Bei der Abstimmung garantierten die geschlossenen BDP- und SVP-Fraktionen sowie Mehrheiten der FDP und CVP die Annahme der Motion mit 93 zu 68 Stimmen
[25].
Die grosse Kammer überwies ein Postulat Bourgeois (fdp, FR) im Zusammenhang mit der für 2015 beschlossenen
Aufhebung der Milchkontingentierung in der EU. Der Bundesrat wurde beauftragt, einen Bericht zu verfassen, in dem er die Entwicklung der zukünftigen europäischen Milchproduktion und der dadurch beeinflussten Handelsbeziehungen mit der Schweiz einschätzt, Risiken und Chancen für die einheimische Branche auflistet und mögliche Massnahmen zur Sicherung oder gar zum Ausbau der Schweizer Marktanteile darstellt
[26].
Mit der Annahme einer Motion seiner WAK bestätigte der Nationalrat, dass er einen Bericht des Bundesrats über die Folgen einer möglichen sektoriellen
Marktöffnung für Milchprodukte hin zur EU wünscht. Darin sollen Einschätzungen über die Vereinbarkeit einer solchen Öffnung mit den bilateralen Abkommen und Darstellungen hierzu notwendiger interner Marktstützungs- und Begleitmassnahmen enthalten sein. Schliesslich soll auch die Beurteilung der Milchbranche in den Bericht einfliessen. Die SVP-Fraktion hatte sich in der Abstimmung geschlossen gegen die Motion gestellt, zusammen mit einer Mehrheit der BDP und beinahe der Hälfte der Christdemokraten. Dank dem geschlossenen Abstimmen von Grünen, SP und Grünliberalen sowie einer Mehrheit der FDP und der anderen Hälfte der CVP fand sich aber eine Mehrheit für das Anliegen
[27].
Die beiden Kammern beschäftigten sich im Berichtsjahr mit
zwei Standesinitiativen der Kantone Jura und Waadt, welche den Betrieb eines Nationalgestütes durch den Bund gesetzlich verankern wollten. Beide wurden von den behandelnden Räten unter Verweis auf die Motion Bieri (cvp, ZG) abgelehnt, dank welcher dieses Ansinnen bereits 2011 im Landwirtschaftsgesetz verankert worden sei. Die Initiative des Kantons Jura wurde damit endgültig abgeschrieben, während diejenige des Waadts am Ende des Berichtsjahres noch auf Antwort aus dem Nationalrat wartete
[28].
Im Berichtsjahr wurden die Diskussionen über das
revidierte Tierseuchengesetz (TSG) fortgeführt. Der Ständerat als Zweitrat änderte in der Frühlingssession den Entwurf dahingehend, dass der Bund sich nicht an den Kosten der Tierseuchenbekämpfung beteiligen, sondern diese den Kantonen überlassen solle. Da bereits die Projektplanung und -leitung, die Überwachung als auch Forschungsarbeiten zu dieser Thematik durch den Bund finanziert würden, sei es an den Kantonen, für Laborkosten, Probeentnahmen, Tierarztkosten und dergleichen aufzukommen. Zwei Drittel der kleinen Kammer stellten sich hinter diesen Beschluss. Ferner wurde entschieden, dass die Kompetenzen des Bundesamtes für Veterinärwesen (BVET) im Falle einer akuten Bedrohung erweitert werden: So soll es nicht nur vorübergehend den Tierverkehr oder die Freilandhaltung sowie Märkte, Tierversteigerungen o.Ä. verbieten dürfen, sondern auch Ställe, Weiden und Ortschaften für den Tierverkehr absperren, Desinfektionen vornehmen oder den Personen- und Warenverkehr einschränken können. Die für diesen Artikel obligatorische Ausgabenbremse wurde einstimmig gelöst. Ein Antrag Schmid (fdp, GR), der die Kantone explizit in die Entscheidungsfindung über zeitlich begrenzte Abgabenerhebungen zur Bekämpfung von Tierseuchen einbinden wollte, wurde abgelehnt. Nachdem der Nationalrat in der Differenzbereinigung die vorgenommenen Abänderungen ausnahmslos akzeptiert hatte, wurde das revidierte Gesetz in den Schlussabstimmungen im Ständerat einstimmig und im Nationalrat mit 192 zu 1 Stimme angenommen
[29].
Gegen das TSG wurde das
Referendum ergriffen. Die Gegner, die sich um den Naturheiler Daniel Trappitsch formierten, konzentrierten ihre Abstimmungskampagne hauptsächlich auf die Bekämpfung der staatlichen Kompetenz, Impfzwänge zu verhängen. Dies war insofern speziell, als dass die Revision sich gar nicht mit dieser Thematik beschäftigt hatte. Die Referendumsgegner beriefen sich jedoch auf das 2008 verhängte Impfobligatorium gegen die Blauzungenkrankheit, welches bei vielen Kühen zu entzündeten Eutern und Verwerfungen geführt habe. Die Parteien stellten sich mit Ausnahme der SVP nach wie vor geschlossen hinter die Revision. Die Parlamentsfraktion der SVP hatte sich in der Schlussabstimmung noch einstimmig dafür ausgesprochen. Bei der nationalen Delegiertenversammlung wurden die Parteileitung und Hansjörg Walter, der damalige Präsident des SBV, jedoch deutlich überstimmt, was besonders für eine agrarpolitische Vorlage aussergewöhnlich war: Die Gegner hatten die Mehrheit der Basis mit dem Argument des bei der SVP verpönten Machtzuwachses des Bundes und dem Hinweis auf den angeblich grossen finanziellen Aufwand nationaler Präventionsprogramme zu überzeugen vermocht
[30].
Bei der Abstimmung am 25. November war die Stimmbeteiligung mit 26,9% so tief wie seit 1972 nicht mehr. Die im Anschluss an den Urnengang durchgeführte
Vox-Analyse fand als möglichen Grund dafür die geringe persönliche Betroffenheit: Über 60% der Stimmberechtigten gaben an, dass sie das TSG für unwichtig erachteten, und beinahe 70% derjenigen, die sich an der Abstimmung beteiligt hatten, taten dies, weil sie prinzipiell keine Abstimmung auslassen. Das Referendum wurde mit 68,3% deutlich abgelehnt, und auch die Stände sprachen sich mit Ausnahme der Kantone Uri und Appenzell Innerrhoden einhellig für die Revision aus. SP-, CVP- und FDP-AnhängerInnen folgten grossmehrheitlich den Empfehlungen ihrer Parteien. Die SVP-SympathisantInnen waren hingegen wie bereits die Basis bei der Delegiertenversammlung gespalten: Mit 56% entschied sich eine knappe Mehrheit, die Vorlage abzulehnen. Entscheidend für die Abstimmungshaltung war allerdings die Meinung zu staatlich verordneten Impfobligatorien: Die 76% der ImpfgegnerInnen, welche die Revision ablehnten und die 87% der ImpfbefürworterInnen, die sie annahmen sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die Referendumskampagne die Diskussion erfolgreich auf dieses eigentlich vorlagenfremde Thema konzentrieren konnte. Bei der Frage nach dem Inhalt der Abstimmung gaben denn auch 19% an, dass es um das Impfobligatorium gegangen sei, während bemerkenswerte 16% antworteten, sie wüssten nicht, worüber sie abgestimmt hatten
[31].
Änderung des Tierseuchengesetzes
Abstimmung vom 25. November 2012
Beteiligung: 26,9%
– Ja: 946 200 (68,3%) / 19 5/2 Stände
– Nein: 439 589 (31,7%) / 1 1/2 Stände
Parolen:
– Ja: FDP, CVP, SP, EVP, CSP, GPS (1*), GLP, BDP; SBV, SGB.
– Nein: SVP (7*), EDU; VKMB, Bio Suisse, Uniterre.
* In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
[19] Po. 12.3568:
AB NR, 2012, S. 1797.
[20] Po. 12.3559:
AB NR, 2012, S. 1797.
[21]
Bund, 23.5.12;
NZZ, 24.5.12.
[22]
NZZ, 5.5.12;
SGT, 19.5.12;
BaZ,
8.8.12;
TA, 14.8.12;
LM, 28.8.12;
SGT, 12.11.12;
BZ, 13.11.12.; vgl.
SPJ 2011, S. 211.
[24] Mo. 11.3066:
AB NR, 2012, S. 387 ff.
[25] Mo. 10.3813:
AB NR, 2012, S. 659 f.
[26] Po. 12.3344:
AB NR, 2012, S. 1796.
[27] Mo. 12.3665:
AB NR, 2012, S.1715 ff.
[28] Kt.Iv. 10.336 und 12.312:
AB SR, 2012, S. 1223;
AB NR, 2012, S. 1715 ff. ; vgl.
SPJ 2010, S. 139;
SPJ 2011, S. 207.
[29] BRG 11.059:
AB SR, 2012, S. 111 ff. und S. 274;
AB NR, 2012, S. 385 f. und S.558; vgl.
SPJ 2011, S. 212.
[30]
NZZ, 12.4. und 12.10.12;
LZ,
23.10.12;
SGT,
29.10. und 19.11.12.
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