Année politique Suisse 2012 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
 
Luftfahrt
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Flugverkehr
Am 9. Mai des Berichtjahres beschloss der Bundesrat auf der Grundlage des bilateralen Luftverkehrsabkommens mit der EU, mehrere europäische Regelungen zu übernehmen. Dies ist eine Anpassung der schweizerischen Gesetzgebung an EU-Recht. Zum einen führte die Schweiz die neue europäische Regelung für das Flugpersonal ein. Diese betrifft das Lizenzwesen und die flugärztlichen Untersuchungen, welchen sich PilotInnen unterziehen müssen. Unter anderem wurde eine Lizenz zum Führen von Leichtflugzeugen eingeführt. Organisationen, welche PilotInnen ausbilden, flugärztliches Personal und die Aeromedical Centers, welche Flugtauglichkeitsbeurteilungen vornehmen, benötigen eine neue Zertifizierung. Weiter übernahm der Bundesrat die europäische Regelung, welche den rechtlichen Rahmen des Einsatzes von Körperscannern zur Flughafensicherheit vorgibt. Zurzeit werden in Schweizer Flughäfen keine Körperscanner eingesetzt, ihr Einsatz liegt im Ermessen der Flughäfen. Drittens übertrug die Schweiz gewisse Aufgaben des Flugverkehrsmanagements an Eurocontrol, welche für die Harmonisierung und Vereinheitlichung des europäischen Luftraumes und der europäischen Flugsicherungssysteme zuständig ist. Diese Bestimmungen traten bereits am 15. Mai 2012 in Kraft [56].
Einer weiteren Übernahme von Regelungen der EU zu Sicherheit und Schutzmassnahmen im Luftverkehr stimmte die Schweizer Delegation an der 11. Sitzung des Gemischten Ausschusses zum bilateralen Luftverkehrsabkommen Schweiz-EU zu. Der Bundesrat hatte dem BAZL im November 2012 ein Verhandlungsmandat erteilt. Bei den übernommenen Regelungen geht es im Wesentlichen um die Anwendungsmodalitäten von Lizenzen des Flugpersonals und der Lotsen und um Anwendungsbestimmungen von Lufttüchtigkeitszeugnissen und Umweltzertifikaten. Die neuen Regelungen treten per 1. Februar 2013 in Kraft [57].
Im Dezember des Berichtjahres rezertifizierte das BAZL die Anbieter von Flugsicherungs- und Flugwetterdiensten Skyguide und MeteoSchweiz für den Einheitlichen Europäischen Luftraum SES. Die Erneuerung der Zertifizierung von 2006 stärkt beide Anbieter als Marktteilnehmer im SES [58].
2011 war ein Rekordjahr bezüglich Flugverkehr: Im Januar 2012 meldete der Flughafen Zürich-Kloten einen neuen Passagierrekord für 2011: 24,3 Mio. Reisende wurden am Flughafen Zürich-Kloten abgefertigt. Das Rekordergebnis von 2010 konnte um weitere 6,4% gesteigert werden. Die Flughafenbetreiberin erklärt die gestiegene Nachfrage mit dem starken Franken, welcher viele SchweizerInnen veranlasst habe, ins Ausland zu reisen. Die Zahl der Flugbewegungen stieg um 3,8 % auf 279 000. Ebenfalls grösser als im Vorjahr war das Passagieraufkommen am Flughafen Genf-Cointrin (+10,5% auf 13,1 Mio. Passagiere) und am Euroairport Basel-Mülhausen (+22,4% auf 5,05 Mio. Passagiere). Die Anzahl der Flugbewegungen stieg dank grösserer Flugzeuge und besserer Auslastung nicht im selben Mass an. Auch die Swiss vermeldete ein Rekordjahr: Sie beförderte mit 15,3 Mio. Passagieren 2011 mehr Reisende als die Swissair zu ihren besten Zeiten [59].
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Flughäfen
Anfang Berichtsjahr verständigten sich Bundesrätin Leuthard als Vorsteherin des UVEK und der deutsche Verkehrsminister Ramsauer darauf, die Bemühungen zur Lösung des deutsch-schweizerischen Fluglärmstreits zu intensivieren. Eine Absichtserklärung dazu wurde am World Economic Forum in Davos unterzeichnet. Da für Deutschland eine zahlenmässige Beschränkung der Anzahl Nordanflüge prioritär war und die in Aussicht gestellten Zugeständnisse der Schweiz den deutschen Verhandlungspartnern nicht weit genug gingen, gestalteten sich die Verhandlungen schwierig. Den Durchbruch brachte der Ansatz, Deutschland mit anflugfreien Zeitfenstern zu entlasten. Beide Parteien konnten sich auf die weitere Anwendung der geltenden Anflugregime einigen, da die Evaluierung von Optionen für eine Neuordnung der Anflugverfahren über Süddeutschland durch die Deutsche Flugsicherung DFS und Skyguide keine bessere Lösung hervorbrachte. Am 2. Juli 2012 wurde ein Staatsvertrag entworfen und am 4. September 2012 wurde dieser unterzeichnet. Zum Verhandlungsergebnis gehören folgende Punkte: Über deutschem Staatsgebiet sind Nordanflüge an Werktagen von 6:30 bis 18:00 Uhr zulässig, an Wochenenden und Feiertagen von 9:00 bis 18:00 Uhr. Die Anflüge müssen somit an Werktagen drei und an Wochenenden zwei Stunden früher über die Schweiz erfolgen. Gut 17 Prozent der Anflüge auf den Flughafen Zürich müssen somit auf andere Anflugwege verschoben werden. Um dies zu bewältigen, sind Infrastrukturausbauten an den Pisten erforderlich. Die Schweiz erhält eine Übergangsfrist bis Ende 2019, damit diese realisiert werden können. Ab dem Zeitpunkt der Ratifikation des Vertrages werden die Anflüge ganzwöchig ab 20 Uhr nicht mehr über Deutschland durchgeführt. Im Vertrag ist weiter der „gekrümmte Nordanflug“ als Option vorgesehen. Dieser führt nur über Schweizer Gebiet. Der Vertrag ist zudem bis 2030 nicht kündbar. Dieser Punkt erhöht die Planungs- und Rechtssicherheit enorm. Mit der Festlegung anflugfreier Zeiten verringert sich die Zahl der möglichen Anflüge über Deutschland massiv (20 000 Flugbewegungen weniger pro Jahr ab 2020), doch ausserhalb der Sperrzeiten bleibt dem Flughafen ein gewisses Wachstumspotenzial: Die Regelung mit Sperrzeiten lässt mehr Handlungsspielraum offen als eine Kontingentierung der Anflüge. Die neuen Verhandlungen zogen zu jedem Zeitpunkt Kritik auf sich: Schon die Absichtserklärung wurde im Landkreis Waldshut deutlich kritisiert, auch die Ostschweizer Kantone fürchteten sich vor einer massiven Zunahme des Fluglärms über ihrem Gebiet. In einer „Klotener Erklärung“ forderten die Kantone Zürich, Aargau, Schaffhausen, St. Gallen, Thurgau und Zug faire Verhandlungen. Sie bezeichneten die „Stuttgarter Erklärung“, an welcher sich die deutsche Seite orientierte, als inakzeptabel einseitig und stärkten damit Bundesrätin Leuthards Verhandlungsposition. Als Anfang Juli der gekröpfte Nordanflug wieder ins Spiel gebracht wurde, reagierten sowohl süddeutsche als auch Schweizer Gemeinden nördlich des Flughafens mit massiver Kritik, welche sich mit der Unterzeichnung des Vertrages noch verstärkte. Insbesondere der Kanton Aargau, vom gekröpften Nordanflug betroffen und Heimatkanton von Bundesrätin Leuthard, sah sich geprellt. Im August berief die Verkehrsministerin ein Treffen der Begleitgruppe ein, welcher die betroffenen Kantone angehören. Ziel sei die Verteilung des Lärms in der Schweiz. Die innerschweizerischen Verhandlungen gestalteten sich ebenfalls schwierig. Derweil zeichnete sich im deutschen Parlament ab, dass der Staatsvertrag einen schweren Stand haben würde: Die Landesgruppe Baden-Württemberg der CDU kündigte an, sie werde dem Vertrag im Bundestag nicht zustimmen. Die SPD und die Grünen nahmen Befürchtungen aus der Bevölkerung auf und verlangten Nachverhandlungen. Nachdem auch die FDP die Zustimmung verweigerte, war unwahrscheinlich, dass der Staatsvertrag noch eine Mehrheit im Bundestag finden konnte. Der unter Druck geratene deutsche Verkehrsminister bezeichnete vom Bundesrat in der Vernehmlassung erwähnte Zahlen als „Unfug“. Die Ratifizierung des Staatsvertrages wurde in Deutschland aufgrund noch offener Fragen ausgesetzt. Deutschland bat um Nachverhandlungen, die Schweiz lehnte solche indes kategorisch ab. Kantone, Verbände, FDP und CVP äusserten in der Vernehmlassung ihre Zustimmung zum Staatsvertrag, SVP und Grüne signalisierten Ablehnung und die SP legte sich noch nicht fest. Die Botschaft des Bundesrates zum Staatsvertrag wurde am 19. Dezember des Berichtjahres eingereicht, das Geschäft wird 2013 im Parlament behandelt [60].
 
[56] Medienmitteilung BAZL vom 9.5.12, NZZ, 10.5.12.
[57] Medienmitteilung BAZL vom 30.11.12.
[58] Medienmitteilung BAZL vom 21.12.12.
[59] TA, 12.1.12; AZ, 21.1.12.
[60] AZ, 3.2.12, SGT, 5.3.12, NZZ, 6.3., 14.5. und 17.7.12, TA, 2.7.12, Presse vom 3.7., SGT, 20.10.12, NZZ, 29.10., 8.11. und 27.11.12.