Année politique Suisse 2012 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Sport
Zwei Motionen der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates zum Thema
Gewalt an Sportanlässen wurden Anfang Jahr eingereicht. Eine Motion zielte auf eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes, wobei es fortan möglich sein sollte, die Transportpflicht so anzupassen, dass einzelne Personen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit von Transportdiensten ausgeschlossen werden können. Dies war nach geltendem Recht nicht möglich. Die den SBB jährlich entstehenden Mehrkosten von über 3 Mio. CHF durch Gewaltanwendung in den Zügen, auf den Bahnhöfen und gegenüber dem Personal, sollten dadurch eingedämmt werden. Der Bundesrat erkannte die Problematik bereits früher und das Bundesamt für Verkehr (BAV) war bereits in der Vorbereitung einer entsprechenden Vorlage. In der zweiten Motion sollte der Bundesrat beauftragt werden, Massnahmen zu treffen, damit betroffene Kantone Schnellgerichte zur Beurteilung von Fällen von Hooliganismus einführen können. Auch hier zeigte sich der Bundesrat der Bedeutung des Instruments bewusst und verwies auf eine bereits erfolgreiche Praxis in einzelnen Kantonen. Dem Bund seien jedoch in diesem Bereich die Hände gebunden, da die Kantone kraft ihrer verfassungsmässigen Kompetenz für Organisation der Polizei und der Gerichte allein zur Festlegung der einzusetzenden Ressourcen zuständig sind. Die Motion sei deswegen abzulehnen. Die zwei Motionen wurden gemeinsam im Herbst im Nationalrat in einer längeren Diskussion behandelt. Argumente für und wider mögliche Lösungen des behaupteten Gewaltproblems hielten sich die Waage. Letztlich wurde die Motion zur Anpassung des Personenförderungsgesetzes mit 135 zu 26 angenommen, obwohl die Vorlage des BAV bereits in der Vernehmlassung war. Die zweite Motion zur Prüfung von Schnellgerichten hatte mit 66 gegen 101 Stimmen keine Chance. Die erste Motion wurde Ende Jahr auch im Ständerat angenommen und damit dem Bundesrat zur Umsetzung überwiesen
[41].
Gleich in sechsfacher Ausführung wurde eine Motion im Juni im Nationalrat eingereicht, welche die
Gleichstellung des Kitesurfens mit anderen Wassersportarten forderte. Damit die Angelegenheit wirklich auf einer wasserdichten Basis stehen konnte, wurde sicherheitshalber auch im Ständerat noch eine gleichlautende Motion nachgeschickt. Die faire Seeschlacht – sieben Parlamentarier, gegen sieben Bundesräte – erwies sich aber als Sturm im Wasserglas: Letztlich wurde das Anliegen von beiden Räten angenommen. Die Debatte wurde im Ständerat eröffnet, wo die Motion nach kurzer Diskussion mit 17 zu 12 Stimmen gutgeheissen wurde. Im Nationalrat war das Verdikt ebenfalls deutlich. Mit 143 zu 31 Stimmen wurde das Anliegen überwiesen. Nicht zuletzt wegen der Weiterentwicklung dieses Sports und einer besseren Ausbildung in ausgewiesenen Schulen sei die Sicherheit verbessert worden. Zudem hindere ein Verbot die Entwicklung dieser noch jungen Sportart, welche ab 2016 in Rio erstmals im Programm olympischer Sommerspiele stehen wird. Mit der Änderung des Bundesgesetzes über die Binnenschifffahrt und der Verordnung über die Binnenschifffahrt wird das Fahren mit Drachensegelbrettern – Kitesurfen – auf den Schweizer Gewässern grundsätzlich erlaubt und so die Kitesurfer den anderen Nutzern der Seen gleichgestellt
[42].
Im Juni behandelte der Nationalrat ein Geschäft, in dem es um
Finanzhilfen für Sportanlagen nationaler Bedeutung ging. Gemäss dem neuen Sportförderungsgesetz, welches am 1.10.2012 in Kraft trat, gehört zu den Zielen der Sportförderung des Bundes die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen zur Förderung des leistungsorientierten Nachwuchssports und des Spitzensports. Im Rahmen dieser Zielsetzung erhielt der Bund den Auftrag, ein nationales Sportanlagenkonzept (NASAK) für die Planung und Koordination der Sportanlagen von nationaler Bedeutung zu erarbeiten und zu aktualisieren. Dabei kann er Finanzhilfen an den Bau solcher Anlagen leisten. Der Bundesversammlung wurde im Februar 2012 beantragt, einen Gesamtkredit für Finanzhilfen an Sportanlagen von nationaler Bedeutung (NASAK 4) in der Höhe von 50 Mio. CHF aus allgemeinen Bundesmitteln zu bewilligen. Die erstberatende Kommission des Nationalrates beantragte dem Ratsplenum deutlich, auf die Vorlage einzutreten. Die Kommission nahm aber eine entscheidende Änderung am bundesrätlichen Entwurf vor und erhöhte den Gesamtbetrag um 20 Mio. CHF auf 70 Mio. In der Ratsdebatte verdeutlichte sich auch im Plenum eine Unterstützung für den Sport und die Sportförderung, wie sie mit einem Ausbau wichtiger Sportanlagen umgesetzt werden kann. Auch hinsichtlich einer möglichen Kandidatur für die olympischen Winterspiele 2022 mache die Aufrüstung Sinn, so mehrere Rednerinnen. In Vertretung des Gesamtbundesrates erklärte Sportminister Maurer die Beweggründe der Regierung, das ursprünglich auf 87 Mio. CHF geschätzte Förderprogramm des Bundesamtes für Sport zu kürzen. Mit diesem Budget sollten vorwiegend die Sportverbände profitieren, was letztlich aber nicht das Ziel des Bundesrates sei. Zusätzlich führte Maurer Bedenken über die finanzielle Lage generell ins Feld. Mit einer Erhöhung des Kredits auf 70 Mio. CHF trat die WBK-NR der Kürzung ein grosses Stück weit entgegen. Eintreten war auch im Plenum unbestritten und in der Detailberatung fand der Antrag der Kommission eine Mehrheit von 111 gegen 57 Stimmen. Die Ausgabenbremse wurde mit 164 zu 4 Stimmen deutlich gelöst. Im Herbst 2012 gelangte der abgeänderte Entwurf in den Zweitrat. Die WBK-SR war bereits gespalten. Eine Mehrheit sprach sich für die Version des Bundesrates aus, also gegen den Vorschlag des Nationalrates. Eine Minderheit Eder (fdp, ZG) beantragte Festhalten am Nationalratsbeschluss, sprich an der Erhöhung um 20 Mio. CHF. Der Minderheitsantrag wurde in der Gesamtabstimmung mit 24 zu 12 Stimmen angenommen. Die Ausgabenbremse wurde ebenfalls deutlich gelöst
[43].
Ein Postulat Ribaux (fdp, NE) fordert die stärkere Bekämpfung des
Sportbetrugs als Strafbestand. Mit drei Vorschlägen trat der Postulant an den Nationalrat: Personen, welche Sportbetrug ausüben oder dazu anstiften sollen von Amtes wegen und mit Zuständigkeit bei der Bundesanwaltschaft verfolgt werden; die betroffenen Sportverbände sollen Parteistellung nehmen können; die amtliche Überwachung soll ermöglicht werden. Die Manipulation von Sportresultaten schade dem Image des Sports und wirke sich negativ auf die gesellschaftlichen, erzieherischen und kulturellen Werte aus, für die der Sport stehe, so der Nationalrat. Der Tatbestand Sportbetrug wurde aufgegriffen, nachdem Wettskandale auch in Schweizer Wettbewerben festgestellt wurden. Der rechtliche Rahmen reiche gegenwärtig nicht aus, um bestimmte Arten des Betrugs bestrafen zu können und er erlaube keine rigorose und wirkungsvolle strafrechtliche Verfolgung solcher Handlungen. In die gleiche Richtung stiess der Bundesrat, welcher bereits aus einem Postulat der WBK-SR „Korruptionsbekämpfung und Wettkampfmanipulation im Sport“ beauftragt war, einen Bericht über bestehende Möglichkeiten bei der Bekämpfung von Korruption und Wettkampfmanipulation im Sport vorzulegen und Lösungsansätze aufzuzeigen. Darin wollte der Bundesrat die geforderten Punkte aufgreifen und alles zusammen darlegen. Der bundesrätlichen Empfehlung auf Annahme folgte das Plenum Ende Jahr
[44].
Die Kandidatur für
olympische Winterspiele im Jahr 2022 in der Schweiz nahm im Berichtsjahr klare Züge an. Mit dem Programm „Graubünden 2022“ bereitete der gleichnamige Verein eine konkurrenzfähige Kandidatur vor, welche den vergangenen olympischen Wettbewerben sportlich in keiner Hinsicht unterlegen sein sollte, jedoch dem zunehmenden Gigantismus Einhalt gebieten wollte. Die Winterspiele der XXIV. Olympiade sollten an den Standorten Davos und St. Moritz stattfinden, so die Vision zahlreicher Mitstreiter unter der Führung von Präsident und Ex-Nationalrat Tarzisius Caviezel und Direktor Gian Gilli. Die Kandidatur sollte je zu einem Drittel durch den Bund, durch die Kantone und Gemeinden sowie durch die Schweizer Privatwirtschaft finanziert werden. Ende Mai wurde das Konzept im Sportparlament von Swissolympic besprochen und mit 76:0 Stimmen gutgeheissen. Später sollten die Bündner Kantonsbevölkerung und die Einwohnerinnen und Einwohner von Davos und St. Moritz zum Thema abstimmen. Im Juli wurde bekannt, dass die Investitionskosten für eine erfolgreiche Durchführung der Spiele auf rund 1.5 Mia. CHF geschätzt wurden, die Gesamtkosten wurden auf 2.8 Mia. CHF geschätzt. Allein das Kandidaturbudget sollte gut 60 Mio. CHF verschlingen, wesentlich mehr als vorerst angenommen. Der Bund müsste vom ganzen Budget gut 1.3 Mia. CHF übernehmen. Diese hohen Kosten waren ein Grund für die skeptische Haltung, welche trotz aller Euphorie immer wieder spürbar wurde. Zudem waren in der jüngeren Vergangenheit zwei Kandidaturprojekte für 1988 in Chur und 2010 in Bern an der Urne recht deutlich verworfen worden (77% Nein für Chur und 78% Nein für Bern). Ob eine Bündner Kandidatur vom Volk goutiert würde, war alles andere als klar. Die Kandidatur von Sion 2006 wurde zwar damals von der Bevölkerung unterstützt, wurde aber vom Internationalen Olympischen Komitee bei der Vergabe nicht berücksichtigt. Der Bündner Regierungsrat hatte sich Anfang September mit einer Botschaft an das Kantonsparlament gerichtet. Die Bündner Regierung stellte sich hinter die Kandidatur. In der Botschaft wurden konkrete Angaben über Investitionsprojekte im Kanton gemacht. Auch der Termin für die kantonale Abstimmung wurde fixiert: Am 3. März 2013 sollen sich die Bündnerinnen und Bündner an der Urne äussern. Zeitgleich wurde das Unterstützungskomitee konstituiert. Neben Persönlichkeiten aus der Sportwelt nahmen diverse Bundesparlamentarier Einsitz: Die Nationalräte Heinz Brand (svp) und Hansjörg Hassler (bdp) sowie die Ständeräte Stefan Engler (cvp) und Martin Schmid (fdp). Widerstand regte sich indes in den Reihen der SP Kantonalsektion, welche sich gegen eine Kandidatur ausgesprochen hatte. So formierte sich Anfang Oktober eine Gegenbewegung „Olympiakritisches Graubünden“, welcher Nationalrätin Semadeni (sp, GR) vorstand und die sich aus der Vereinigung Bündner Umweltorganisationen, der SP, der Juso und Verda-Grünes Graubünden zusammensetzte. Das Komitee wehrte sich gegen hohe Ausgaben, gegen ein Diktat des IOC und gegen unvorhersehbare Probleme durch den Anlass selbst. Namentlich in puncto Ausgaben spielte die schlechte finanzielle Situation Graubündens den Gegnern in die Hände – was sich als Hauptargument in deren Kampagne beobachten liess. Der Bundesrat zeigte sich Mitte Oktober einer Kandidatur positiv eingestellt und verabschiedete den Bundesbeschluss über die Beiträge des Bundes an die Winterspiele 2022. Für die Finanzierung der Kandidatur beantragte die Regierung 30 Mio. CHF. Der Kredit sollte unter der Bedingung frei gegeben werden, dass sich Graubünden und Swiss Olympic mit mindestens je 15 Mio. CHF an den Kandidaturkosten von 60 Millionen Franken beteiligen. Ein weiterer Verpflichtungskredit betraf die Durchführung der Spiele selbst. Der Bundesrat war bereit, 1 Mia. CHF der ungedeckten Kosten zu übernehmen. Eine erste Reaktionsrunde zeigte, dass die Linke und die Grünen, sowie die Christdemokraten, auch auf Bundesebene skeptisch waren. Ende Oktober zeigte eine repräsentative Umfrage, dass fast 55% der Schweizerinnen und Schweizer hinter einer Kandidatur stehen würden. Vor allem die jüngere Bevölkerung und Personen aus dem erweiterten Alpenraum stünden einer Kandidatur offen gegenüber. Fast gleichzeitig publizierte der Trägerverein eine neue Machbarkeitsstudie, welche dem Anlass eine Bruttowertschöpfung von rund 4 Mia. CHF prognostizierte. Anfang Dezember kam die Vorlage des Bündner Regierungsrates ins Parlament, wo das Projekt gegen den Widerstand der SP-Fraktion angenommen, die Defizitgarantie des Kantons allerdings gestrichen wurde. Organisation und Durchführung der Spiele seien Sache des Bundes. Gleichzeitig wurde in der Presse bekannt, dass angeblich 43% der Bündner Bevölkerung für die Kandidatur seien und ebenso viele dagegen, wobei der Rest noch unentschieden sei. Die Fronten waren also nicht nur im Parlament verhärtet. Gegen Ende Jahr zeichnete sich ab, dass ein Ja an der Abstimmung vom folgenden März 2013 alles andere als klar sei. Im Abstimmungskampf standen sich Befürchtungen über ein finanzielles Fiasko den euphorischen Hoffnungen auf eine erneuerte Infrastruktur, einen Tourismusboom und der Schaffung neuer Arbeitsplätze gegenüber
[45].
[41] Mo. 12.3017 (Personenbeförderung):
AB NR, 2012, S. 1611 ff.;
AB SR, 2012, S. 1227; Mo. 12.3018 (Schnellgerichte):
AB NR, 2012, S. 1611 ff.
[42] Mo. 12.3496 (Hess); Mo. 12.3455 (Rickli); Mo. 12.3465 (Girod); Mo. 12.3474 (Guhl); Mo. 12.3489 (Romano); Mo. 12.3490 (Wermuth); Mo. 12.3581 (Noser); alle:
AB SR, 2012, S. 830 f.;
AB NR, 2012, S. 2239 f.
[43] BRG. 12.083:
BBl, 2012, 2025 ff.;
AB NR, 2012, S. 990 ff. und 1775;
AB SR, S. 755 ff.,
BBl, 2012, S. 8393 ff.
[44] Po. 12.3784 (Ribaux):
AB NR, 2012, S. 2253. Po. 11.3754 (WBK-SR):
AB SR, 2011, S. 924;siehe
SPJ 2011, S. 304.
[45] Diverse Medienmitteilungen Graubünden 2022,
NZZ, 2.10. und 27.11.12,
SoBli, 28.10.12,
TA, 30.10 und 31.10.12,
SoS, 27.11. und 30.11.12 sowie 4.-6.12.12 BRG 12.091:
BBl, 2012, S. 9335 ff. Botschaft Regierungsrat GR,
Heft 11, S. 697 ff.
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