Année politique Suisse 2013 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Parteien
 
Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP)
Fünf Jahre nach ihrer Gründung konnte die BDP auf einige Erfolge zurückblicken. Die 5,4% Wähleranteil bei den nationalen Wahlen und die kantonalen Erfolge hätte der am 2. November vor fünf Jahren in Glarus aufgrund des Ausschlusses der Bündner Sektion aus der nationalen SVP gegründeten Partei kaum jemand zugetraut. Die Partei war mit der Abspaltung eines Teils der Berner SVP am 21. Juni 2008 aus der Not geboren worden und ein eigentlicher Plan lag dabei nicht vor. In der Presse wurde dieser Umstand hervorgehoben, der die Partei bis heute präge, da sie sich eher an den herrschenden Umständen als an festen Grundsätzen orientiere. Die Ambivalenz der Partei sei kennzeichnend; die BDP sei zwar jung, aber bereits Regierungspartei, sie sei eigenständig, weil sich von der SVP emanzipierend, aber dennoch profillos. Die Regierungsbeteiligung mache sie zudem stark von der eigenen Bundesrätin abhängig. Gegen den Vorwurf der Profillosigkeit wehrte sich die Partei mit dem Hinweis, dass sie die erste bürgerliche Partei gewesen sei, die für den Atomausstieg optiert habe und auch in der Finanzpolitik eigenständige Positionen einnehme. Der Partei wurde viel Fleiss attestiert, hatte sie doch innert der fünf Jahre nicht weniger als 17 Kantonalsektionen gegründet und rund 7 000 Mitglieder angezogen. In der NZZ wurde ein historischer Vergleich mit den früheren Demokraten gezogen, die in den Kantonen Glarus und Graubünden 1971 mit der damaligen Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) zur SVP fusioniert hatten. Die Abspaltung von der SVP 2008 sei quasi die Wiedergeburt der Demokraten. An ihrer Geburtstagsfeier in Chur kündigte die Partei für die nationalen Wahlen 2015 ein Ziel von 8% Wähleranteil an, die man mit einer konsequent lösungsorientierten Politik, aber auch durch stärkere Zusammenarbeit mit der CVP erreichen will [132].
Im Vergleich zu den Vorjahren war der Erfolg bei kantonalen Wahlen eher bescheiden. Die BDP trat in drei der vier Kantone, in denen Gesamterneuerungswahlen für die Parlamente anstanden, mit relativ dünn besetzten Listen zum ersten Mal an, hatte aber nur in Solothurn Erfolg, wo zwei Sitze und knapp 3% Wähleranteil erobert werden konnten. Sowohl in Genf als auch in Neuenburg verfehlte die BDP einen Sitzgewinn deutlich und konnte jeweils weniger als 1% der Wählerschaft von sich überzeugen. Im Kanton Wallis war die Partei nicht angetreten. Weil aufgrund von Parteiwechseln auch noch die beiden Sitze im Kanton Freiburg verlustig gingen (vgl. unten), war die BDP in der Romandie überhaupt nicht mehr in der Legislative vertreten. Sie konnte also im Berichtjahr nichts gegen ihr Image einer Partei tun, die in der Westschweiz als „trop suisse alémanique“ wahrgenommen wird. Insgesamt verfügte die BDP Ende Berichtjahr über 88 Sitze, wobei der erwähnte Parteiwechsel der beiden Grossräte im Kanton Freiburg Anfang Jahr zur CVP das Resultat noch auf 86 Sitze drückte. In die ordentlichen und ausserordentlichen kantonalen Regierungswahlen griff die BDP im Berichtjahr nicht aktiv ein [133].
Infolge der im Vorjahr geäusserten Kritik am UBS-Mandat des damals gewählten Parteipräsidenten Martin Landolt (GL) gab dieser an der Delegiertenversammlung Anfang Mai in Genf die Kündigung seiner 40%-Beschäftigung bei der Grossbank bekannt. Er sähe zwar keine Gefahr für die Unabhängigkeit als Politiker, das Mandat sei aber zu einem Handicap für die BDP geworden, so Landolt. Tatsächlich positionierte sich der BDP-Präsident mit pointierten Äusserungen zum Finanzplatz und die BDP tat sich auch aufgrund ihrer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf in der Finanzpolitik – etwa bei der Abgeltungssteuer oder beim Informationsaustausch – besonders hervor [134].
Zwei Jahre vor den Nationalratswahlen 2015 stellte sich für die BDP langsam die Frage, ob ihre Bundesrätin noch einmal antreten wird. Auf der einen Seite wäre Eveline Widmer-Schlumpf als Lokomotive im Wahlkampf wichtig, wird doch die Partei nach wie vor überwiegend mit der Bundesrätin identifiziert. Auf der anderen Seite wurde ein möglicher Rücktritt aber auch als Chance betrachtet. Eine Partei könne freier politisieren, wenn sie nicht in der Regierung vertreten sei. Freilich gab sich die Parteileitung zu dieser Frage zugeknöpft. Die Entscheidung liege alleine bei Eveline Widmer-Schlumpf selber [135].
Nachdem BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf mit der Lex USA eine empfindliche Niederlage einstecken musste, wählte BDP-Präsident Martin Landolt die Strategie Angriff. In einem Interview in der Sonntagspresse betrieb er zwei Jahre vor den Nationalratswahlen Wahlkampf, indem er seine Vorstellung einer idealen Regierungszusammensetzung erörterte. Während der SVP und der FDP insgesamt drei und der Linken zwei Sitze zustehen würden, müsse die Mitte mit zwei Sitzen – je ein BDP und ein CVP-Mandat – vertreten sein. Die Freisinnigen würden derart ähnlich wie die SVP politisieren, dass die Rechte nicht vier Sitze haben dürfe. Sukkurs erhielt Landolt von der SP, die der FDP ebenfalls die Legitimation auf einen zweiten Bundesratssitz absprach [136].
Bei allen elf eidgenössischen Abstimmungsvorlagen fasste die BDP jeweils die gleiche Parole wie die CVP und grenzte sich dabei in sechs Fällen von der SVP ab. Mitte Januar lehnten die Delegierten in Langendorf mit 114 zu 7 Stimmen bei 5 Enthaltungen die Abzockerinitiative ab, bei der die BDP auch als Kampagnenführerin des Gegnerkomitees auftrat. Ganz ohne kantonale Opposition ging es dabei auch bei der BDP nicht: Die Sektion Thurgau beschloss nämlich Stimmfreigabe. Ohne Gegenstimme empfahl die Partei in Langendorf zudem, das revidierte Raumplanungsgesetz anzunehmen und auch der Familienartikel wurde mit lediglich fünf Gegenstimmen zur Annahme empfohlen. Anfang Mai wurden an der Delegiertenversammlung in Genf beide Parolen einstimmig gefasst – sowohl das Nein zur Volkswahl des Bundesrates als auch das Ja zur Asylgesetzrevision. Auch die Parolen, welche die Delegierten Ende August in Frauenfeld fassten, evozierten nur wenige Diskussionen: die Wehrpflicht- und die 1:12-Initiative wurden ebenso deutlich verworfen, wie das Epidemiengesetz, die Revision des Arbeitsgesetzes und die Erhöhung der Gebühren für die Nationalstrassenbenützung angenommen wurden. An der Geburtstagsfeier in Chur Anfang November wurde schliesslich die SVP-Familieninitiative ohne Diskussion und mit 202 zu 16 Stimmen bei acht Enthaltungen zur Ablehnung empfohlen [137].
Eine eigenständige Position nahm die BDP in der Finanzpolitik ein. Unterstützt von ihrer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, die allerdings mit ihrer offiziellen Politik vor allem bei der Rechten aneckte, forderte die Partei ein Umdenken und eine aktives Engagement für einen globalen Informationsaustausch. Die Schweiz könne nicht dauernd warten, bis sie mit dem Rücken zur Wand stehe und dann reagieren müsse, sondern sie solle die internationale Finanzpolitik aktiv mitgestalten. Gegen die geplante Abgeltungssteuer äusserte sich die Partei skeptisch und hinsichtlich des Bankgeheimnisses fordert die BDP mehr Transparenz. In einem an die Presse gespielten vertraulichen Protokoll wurde deutlich, dass die BDP-Bundesrätin die Partei in diese Richtung drängte, obwohl diese Politik vom Gesamtbundesrat nicht abgestützt war. In der Presse wurde der BDP auch vorgeworfen, ihre Position nach dem Wind zu richten, hätte sie doch vor nicht allzu langer Zeit noch das Bankgeheimnis verteidigt. Die auch von der „Lex USA“ befeuerte Diskussion wurde als Möglichkeit einer weiteren Annäherung an die CVP betrachtet, hatte sich die CVP doch bei besagter, allerding letztlich abgelehnter Vorlage etwas überraschend der Haltung der BDP angeschlossen [138].
Hinsichtlich ihrer Energiepolitik wurde der BDP vorgeworfen, ihre Positionen zu wechseln. Der Atomausstieg sei 2011 nur beschlossen worden, um den Bundesratssitz von Eveline Widmer-Schlumpf zu retten. In der Zwischenzeit sei die Partei aber atomfreundlicher geworden, was nicht zuletzt auch damit zu tun habe, dass viele BDP-Exponenten mit der BKW verbandelt seien, der Besitzerin des AKW Mühleberg. Hans Grunder (BE), ehemaliger Parteipräsident der BDP, dementierte die Gerüchte. Die BDP und er selber würden hinter dem Atomausstieg stehen. Das schulde man den zukünftigen Generationen [139].
Bei der Parolenfassung Anfang September wurde die Position der BDP gegenüber den Bilateralen Verträgen mit der EU verdeutlicht. Die Masseneinwanderungsinitiative, bei der die Delegierten ohne Diskussion einstimmig die Nein-Parole empfahlen, würde das Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz auf die Probe stellen. Es gelte sachlich und nicht emotional zu urteilen, warnte BDP-Parteipräsident Landolt. Nationalrätin Ursula Haller (BE) kritisierte den SVP-Präsidenten Toni Brunner, der den Bundesrat im Zusammenhang mit dessen Europapolitik als Landesverräter bezeichnet hatte [140].
Ende Jahr beteiligte sich die BDP mit einem neuen Vorschlag an der Debatte um die Rentenreform. Die Diskussion um die Höhe des Rentenalters sei von Ideologie geprägt, befand Parteipräsident Landolt. Man könne die Debatte entpolitisieren, wenn ökonomische Fakten berücksichtigt würden. Konkret schlug die BDP mit einem parlamentarischen Vorstoss vor, das Rentenalter an die Lebenserwartung zu knüpfen. Die Idee ist, dass das Rentenalter 80% der durchschnittlichen Lebenserwartung bei Frauen und Männern betragen soll. 2013 wäre das Rentenalter also bei 66 Jahren zu liegen gekommen. Der Vorschlag wurde von SVP und FDP positiv, von der CVP skeptisch und von der Linken mit Ablehnung aufgenommen [141].
Bei der ersten SRG-Wahlumfrage, die nach der Hälfte der Legislatur durchgeführt wurde, zeichnete sich die BDP als grosse Gewinnerin ab. Laut der Umfrage würde die BDP – hätten zu diesem Zeitpunkt Nationalratswahlen stattgefunden – über 2 Prozentpunkte an Wählerstärke zunehmen und neu auf einen Wähleranteil von 7,5% kommen (effektiver Wähleranteil 2011: 5,4%). Die Gewinne würden dabei vor allem auf Kosten der SVP gehen [142].
Mit der Mitte Februar vorgenommenen Gründung einer BDP Genf, die bei den kantonalen Wahlen im Oktober denn auch gleich – allerdings erfolglos – antrat, waren die Bürgerlich-Demokraten in nunmehr 17 Kantonen präsent, wobei die Romandie mit Ausnahme des Kantons Jura vollständig abgedeckt war. Gründungen in den restlichen Kantonen waren in Planung [143].
Die 2011 in Freiburg eroberten Grossratssitze gingen Anfang Berichtjahr verlustig. Weil die beiden Grossräte zur CVP wechselten, war die BDP im Kanton Freiburg nicht mehr im Parlament vertreten. Die Parteiwechsel waren Folge von parteiinternen Auseinandersetzungen, die im Rücktritt fast der gesamten Parteispitze kulminierten, bei deren Neubesetzung zudem nicht wie gefordert eine der beiden Grossräte berücksichtigt worden war [144].
 
[132] BZ, 21.6.13; NZZ, 9.10.13; AZ und NZZ, 2.11.13; Sonntagspresse vom 3.11.13; CdT, 4.11.13.
[133] NZZ, 31.1.13; vgl. Teil 1, 1e (Wahlen); vgl. SPJ 2012, S. 425.
[134] NZZ, 20.3.13; NZZS und So-Bli, 5.5.13; NZZ, 6.5.13; AZ, 7.5.13; WW, 16.5.13; NZZS, 3.11.13; vgl. SPJ 2012, S. 423f.
[135] SGT, 2.9.13.
[136] SoZ, 23.6.13; AZ und BaZ, 24.6.13; NZZ, 25.6.13; BaZ, 26.6.13.
[137] NZZ, 21.1. und 6.5.13; SO, 1.9.13; NZZ, 2.9.13; NZZS, 3.11.13; NZZ, 4.11.13.
[138] SoZ, 27.1. und 27.3.13; WW, 18.4.13 (Wind); NZZ, 6.5.13; Blick, 14.5.13; NZZ, 27.5. und 15.6.13; zur Lex USA vgl. Teil I, 4b; zur Diskussion um eine Fusion zwischen CVP und BDP vgl. auch oben (CVP).
[139] WW, 12.9.13.
[140] BaZ, 2.9.13.
[141] SO, 15.12.13.
[142] Presse vom 28.9.13.
[143] NZZ, 9.2.13; LT, 13.2.13; TG, 14.2.13.
[144] Lib und NZZ, 31.1.13.