Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Bürgerrecht und Stimmrecht
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Bürgerrecht
Nachdem die Unschlüssigkeit der staatspolitischen Kommission des Nationalrates im Vorjahr eine Verzögerung verursacht hatte, konnte im Berichtjahr die Totalrevision des Bürgerrechtsgesetzes im Parlament beraten werden. Die Revision drängte sich nicht nur auf, weil das 1952 in Kraft getretene Gesetz durch die vielen Teilrevisionen unleserlich geworden war, sondern auch, weil es an die revidierten Bestimmungen im Ausländer- und Asylgesetz angepasst werden musste. Durch die Totalrevision sollte das Einbürgerungsverfahren harmonisiert und der Integrationsbegriff an das Ausländerrecht angeglichen werden. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Neuerungen sahen unter anderem eine Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) – Bürger der EU-17 und EFTA-Staaten erhalten diese nach fünf Jahren – als Voraussetzung für die ordentliche Einbürgerung, eine Herabsetzung der Aufenthaltsdauer von zwölf auf acht Jahre, Ordnungsfristen für die Erstellung von Erhebungsberichten und die Harmonisierung der kantonalen und kommunalen Wohnsitzfristen vor. Im März befasste sich der Nationalrat als Erstrat mit der Vorlage. In der hitzigen Debatte zeichneten sich zwei Fronten ab: Während der SVP die Verschärfungen zu wenig weit gingen, lehnten die SP und die Grünen eine Erhöhung der Hürden mittels Voraussetzung der Niederlassungsbewilligung ab. Nach der siebeneinhalbstündigen Beratung überwies der Nationalrat mit 80 Mitteparteistimmen zu 61 linken Stimmen bei 40 Enthaltungen aus der SVP eine erheblich abgeänderte Vorlage an den Zweitrat: Eine Einbürgerung sollte erst nach zehn Jahren möglich sein, wobei drei Aufenthaltsjahre in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Gesuchs liegen müssen und der Aufenthalt bei einer vorläufigen Aufnahme (F-Ausweis) nicht mehr angerechnet würde. Weiter sollen den Jugendlichen die Aufenthaltsjahre zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr nicht mehr doppelt angerechnet werden können. Ebenfalls sollen gute Sprachkenntnisse in Wort und Schrift sowie die Teilnahme am Wirtschaftsleben oder Schulbesuch für die Einbürgerung erforderlich sein. Während der Ständerat der Niederlassungsbewilligung als Einbürgerungsvoraussetzung zustimmte, kehrte er in anderen Punkten zur Version des Bundesrates zurück. So sprach sich die kleine Kammer mit 31 zu 5 Stimmen für eine Mindestaufenthaltsdauer von acht Jahren aus, wobei die vorläufige Aufnahme angerechnet würde und für Jugendliche erleichterte Bedingungen gelten sollen. Bezüglich der Sprachkenntnisse schlug der Ständerat einen Kompromiss vor: Der Gesuchstellende soll sich zwar gut verständigen können, nicht aber notwendigerweise auch schriftlich. In der Differenzbereinigung zeigte sich der Nationalrat wenig kompromissbereit. In der Debatte um die Mindestaufenthaltsdauer wollten sich die SP, die Grünen und die Grünliberalen dem Ständerat anschliessen, die SVP hingegen an der bestehenden Regelung von zwölf Jahren festhalten. Schliesslich beharrte der Rat mit 134 zu 53 SVP-Stimmen darauf, dass nur nach einer zehnjährigen Aufenthaltsdauer ein Einbürgerungsgesuch gestellt werden kann. Bezüglich der sprachlichen Anforderungen sowie der Anrechenbarkeit der vorläufigen Aufnahme blieb der Nationalrat bei seiner Position. Offener zeigte er sich bei der Frage nach der erleichterten Einbürgerung von Jugendlichen. Einem Vorschlag der Grünliberalen folgend, sollen nicht die Aufenthaltsjahre zwischen dem zehnten und dem zwanzigsten Lebensjahr doppelt angerechnet werden, sondern jene zwischen dem fünften und dem fünfzehnten Lebensjahr, dies mit der Begründung, dass diese Zeit mit der Schulzeit zusammenfalle. 2014 wird der Ständerat über diesen Vorschlag befinden müssen [22].
Mit der Revision des Bürgerrechtsgesetzes wurde eine parlamentarische Initiative Wobmann (svp, SO) hinfällig und im Nationalrat abgeschrieben. Die Initiative hätte gefordert, dass nur Personen mit einer Niederlassungsbewilligung einen Einbürgerungsantrag stellen können. [23]
Unzufrieden mit dem Gang der Bürgerrechtsrevision diskutierte die SP über die Möglichkeit, eine Volksinitiative für die erleichterte Einbürgerung zu lancieren. Ein Begehren unter dem Titel „Für ein zeitgemässes Bürgerrecht“ würde die automatische Einbürgerung von Kindern, die bis zum 18. Lebensjahr mindestens fünf Jahre in der Schweiz gelebt haben, staatenlos sind oder aus einer dritten Generation stammen, vorsehen. Zudem sollten künftig nicht mehr die Gemeinden und Kantone, sondern der Bund für die Einbürgerung zuständig sein [24].
Im Kanton Bern hiess die Stimmbevölkerung im November mit überraschenden 55,8% Ja-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 50% eine Verfassungsinitiative „Keine Einbürgerung von Verbrechern und Sozialhilfeempfängern“ der Jungen SVP gut. Kriminelle, Sozialhilfeempfänger und Personen ohne Aufenthaltsbewilligung sollten künftig nicht mehr eingebürgert werden. Ob die Initiative wirklich die postulierte Verschärfung bringt, war bereits im Abstimmungskampf umstritten. Da nur die SVP die Vorlage unterstützte und alle anderen Parteien sich in einem Gegenkomitee zusammenschlossen, war die Annahme der Initiative überraschend. Bei der Umsetzung der Initiative wird zu prüfen sein, inwiefern die Forderung mit dem verfassungsrechtlich verankerten Diskriminierungsverbot zu vereinbaren ist (vgl. Kapitel 1d) [25].
Unabhängig von der Einbürgerungsinitiative wird im Kanton Bern ab 2014 das Bestehen eines Einbürgerungstests Voraussetzung für das Erhalten des roten Passes werden. Dieser Test war vor zwei Jahren vom bernischen Grossrat mit dem Ziel beschlossen worden, eine Standardisierung der bereits durchgeführten Einbürgerungskurse zu erreichen [26].
Auch im Kanton Basel-Land wurde die Einbürgerung verschärft. Der Landrat hiess mit 69 zu 1 Stimmen eine Bestimmung gut, wonach gegen den Einbürgerungswilligen keine Herabsetzung oder Einstellung der Sozialhilfe wegen schuldhafter Verletzung von Pflichten verfügt worden sein darf. Das eindeutige Abstimmungsergebnis spiegelte jedoch nicht die Stimmung im Parlament wider. Der SVP ging die Verschärfung zu wenig weit und sie gedachte mit einer Volksinitiative, die Sozialabhängigkeit als Ausschlusskriterium durchzusetzen [27].
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Stimmrecht
Die Bundeskanzlei führte im Berichtjahr eine Vernehmlassung zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte durch. Durch die Überarbeitung der Bestimmungen betreffend die Nationalratswahlen soll garantiert werden, dass diese aufgrund der wachsenden Listen-Komplexität verstärkt EDV-gestützt und somit auch künftig noch fristgemäss durchgeführt werden können. Dazu soll eine auf der Basis der AHV-Nummer errechnete und nicht zurückführbare Nummer die Doppelkandidatur von Nationalratskandidaten verhindern. Weiter soll durch die Konzentration der Wahlanmeldetermine der rechtzeitige Versand der Abstimmungsunterlagen sichergestellt werden. Schliesslich soll nur bei begründetem Verdacht auf Unregelmässigkeiten eine Nachzählung durchgeführt werden. Die vorgeschlagenen Änderungen waren in der Vernehmlassung mehrheitlich begrüsst worden, wobei jedoch bei einzelnen Massnahmen die Praktikabilität in Frage gestellt wurde. Im November verabschiedete der Bundesrat die Botschaft. Aufgrund der in der Vernehmlassung geäusserten Kritik verzichtete er im überarbeiteten Entwurf erstens auf die Differenzierung der Sammelfristen zu Volksbegehren, zweitens auf die durch ein Prüfsummenverfahren kontrollierte – sogenannte gehashte AHV-Nummer aller Nationalratskandidaten und drittens auf die Streichung der Berufsangaben der Kandidaten. Zu den wichtigsten Neuerungen, über welche das Parlament im kommenden Jahr zu beraten haben wird, gehören folgende: Neu sollen Doppelkandidaturen nachträglich gestrichen werden können. Weiter soll der Wahlanmeldeschluss auf den August des Wahljahres konzentriert und damit das Wahlmaterial spätestens in der 4.-letzten Woche vor dem Wahltag verteilt werden. Schliesslich sollen Nachzählungen eidgenössischer Volksabstimmungen auf jene Fälle beschränkt werden, in denen Unregelmässigkeiten glaubhaft gemacht werden können. Als Kompensation soll eine gesetzliche Grundlage für die Beobachtung von Urnengängen durch Stimmberechtigte auf der Basis gewachsener kantonaler Gewohnheiten geschaffen werden [28].
Die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich wollte nicht, dass Gemeinden Ausländern auf deren Gesuch hin das kommunale Stimm- und Wahlrecht einräumen können. Die entsprechende Volksinitiative „Für mehr Demokratie“ des Vereins SecondasPlus wurde im September an der Urne mit 75% Nein-Stimmen bei einer Stimmbeteiligung von 49,4% klar verworfen. Es war bereits das dritte Mal, dass die Einführung des kommunalen Ausländerstimmrechts im Kanton Zürich abgelehnt wurde [29].
 
[22] BRG 11.022: AB NR, 2013, S. 225 ff., 258ff. und 1813 ff.; AB SR, 2013, S. 733 ff., 830 ff. und 878 ff.; BaZ, 20.9.13; NZZ, 27.11.13; LZ, 16.3.13; SPJ 2012, S. 27.
[23] Pa.Iv. 06.485: AB NR, 2013, S. 275.
[24] SO, 26.5.13.
[25] Bund, 6.6., 25.11.13; BZ, 25.11.13; NZZ, 25.11.13.
[26] Bund, 21.12.13.
[27] BaZ, 18.10., 1.11.13; BLZ, 1.11.13.
[28] BRG 13.103: BBl, 2013, S. 9217 ff.
[29] NZZ, 22.6., 31.7., 24.8., 31.8. und 23.9.13; SPJ 2011, S. 28.