Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Zivilrecht
Die gemeinsame elterliche Sorge soll unabhängig vom Zivilstand der Eltern zum Regelfall werden. Die Regelung für unverheiratete Paare, wie sie die Schweiz aktuell kennt, verstösst gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Der Ständerat befasste sich daher als Zweitrat mit der Teilrevision des Zivilgesetzbuches, deren Grundsatz im Parlament unumstritten war. Die kleine Kammer stimmte den meisten 2012 vom Nationalrat vorgenommenen Änderungen am Gesetzesentwurf zu. Sie forderte jedoch eine offenere Regelung des Familiennamenrechts, wonach die Eltern den Ledignamen ihrer Kinder frei bestimmen können. Eine weitere Differenz schuf der Ständerat bezüglich der Regelung des Aufenthaltsortes eines Elternteils („Zügelartikel“). Nach Ansicht der kleinen Kammer genügt bei einem Wohnortswechsel eine blosse Informationspflicht ohne Zustimmung des anderen Elternteils. Schliesslich sollte ein Rückkommen auf die im Rahmen einer Scheidung getroffenen Regelungen nur dann erlaubt sein, wenn die Scheidung bei Inkrafttreten des neuen Gesetzes maximal fünf Jahre zurückliegt. Der Nationalrat schloss sich diesen Änderungswünschen an, so dass die Zivilgesetzbuchrevision in der Sommersession im Nationalrat mit 106 zu 13 und im Ständerat mit 41 zu Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen werden konnte. Die Referendumsfrist war im Oktober ungenutzt verstrichen und die Gesetzesänderung wird am 1. Juli 2014 in Kraft treten [82].
Der nächste Revisionsschritt bei der Neuregelung der elterlichen Verantwortung, der sich der Änderung betreffend die elterliche Sorge anschliessen wird (siehe oben), betrifft das Unterhaltsrecht. Der Bundesrat verabschiedete im November eine Botschaft zur entsprechenden Änderung des ZGBs. Der Entwurf räumte der gemeinsamen Unterhaltpflicht von minderjährigen Kindern erste Priorität ein. Bei der Berechnung der Unterhaltspflicht sollen die Kosten für die Kinderbetreuung auch bei nicht verheirateten Paaren berücksichtigt werden. Im Falle, dass ein Elternteil seiner Pflicht zeitweise nicht nachkommen kann, soll der eigentlich geschuldete Kindesunterhaltsbetrag als sogenannter gebührender Unterhalt festgehalten werden. Dadurch soll dem Kind im Zeitpunkt, in dem der Elternteil wieder über genügend Geld verfügt, die Durchsetzung seines Unterhaltungskostenanspruchs erleichtert werden. Damit das Kind seine Unterhaltsbeiträge auch regelmässig erhält, soll das Gesetz dem Bund die Kompetenz übertragen, eine Verordnung zur Verbesserung und Vereinheitlichung der Inkassohilfe für Unterhaltsbeiträge zu erlassen. Schliesslich soll die Verjährung für alle Forderungen der Kinder erst ab ihrer Volljährigkeit zu laufen beginnen [83].
Der Ständerat überwies ein von 34 Ratsmitgliedern unterzeichnetes Postulat Bischof (cvp, SO), das den Bundesrat beauftragt, die Notwendigkeit einer Revision des Allgemeinen Teils des Obligationenrechts (OR) von 1912 hinsichtlich der Benutzerfreundlichkeit zu prüfen. Dahinter steht ein wissenschaftliches Projekt für das die Schweizer Rechtsfakultäten in den letzten fünf Jahren unter dem Titel „Schweizer Obligationenrecht 2020“ einen Entwurf des neuen OR entworfen hatten. Ein gleichlautendes Postulat Caroni (fdp, AR) wurde auch im Nationalrat überwiesen [84].
Erbberechtigte sollen nur noch sechs statt zwölf Monate Zeit haben, um sich nach der Veröffentlichung des Erbenaufrufs zu melden. Aufgrund moderner Kommunikationsmittel können mögliche Erben heute rascher gefunden werden. Die Rechtskommissionen beider Räte gaben einer entsprechenden parlamentarischen Initiative Abate (fdp, TI) Folge [85].
Im Auftrag der 2010 Folge gegebenen parlamentarischen Initiative Stähelin (cvp, TG) schlug die Rechtskommission des Ständerats die ersatzlose Streichung der Bestimmungen über den Vorauszahlungsvertrag im Obligationenrecht vor. Da diese Vertragsform seit den 1960er Jahren jegliche praktische Bedeutung verloren hatte, konnte die Gesetzesänderung in der Schlussabstimmung in beiden Kammern einstimmig angenommen werden [86].
Im Mai des Berichtjahres verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur Änderung des Zivilgesetzbuches betreffend den Vorsorgeausgleich bei Scheidung. In Reaktion auf die Kritik an der 2000 eingeführten Regelung sollten künftig die Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge (Vorsorgeansprüche) auch dann geteilt werden, wenn im Zeitpunkt der Einleitung des Scheidungsverfahrens ein Ehegatte bereits eine Rente bezieht. Der Entwurf räumte jedoch dem Ehepaar die Möglichkeit ein, sich einvernehmlich auf ein anderes Teilungsverhältnis zu einigen [87].
Keine Person soll gegen ihren Willen zum Beistand ernannt werden. Nach der staatpolitischen Kommission des Nationalrates hiess im Berichtjahr auch deren Schwesterkommission eine parlamentarische Initiative Schwaab (sp, VD) gut, die eine Anpassung des zu Beginn 2013 in Kraft getretenen Zivilgesetzbuches forderte [88].
Eine Änderung der Wohnsitzbestimmungen im Zivilgesetzbuch sollte sicherstellen, dass die Niederlassungsfreiheit auch für Personen in Pflegeheimen gewährleistet wird. Eine dies fordernde Motion Leutenegger Oberholzer (sp, BL) war im Nationalrat mit 113 zu 65 Voten an den Ständerat überwiesen worden, der das Begehren jedoch mit 27 zu 5 Stimmen ablehnte. In der Praxis gehe es nicht um die Frage der Niederlassung, sondern um die Restkostenfinanzierung bei einem Aufenthalt in einem Pflegeheim. Zudem begründe der Aufenthalt in einem Heim noch keinen Wohnsitz [89].
 
[82] BRG 11.070: AB SR, 2013, S. 4 ff., 566 ff. und 645; AB NR, 2013, S. 697 ff., 1060 ff. und 1208; Medienmitteilungen Bundesrat vom 29.11.13; SPJ 2012, S. 36.
[83] Medienmitteilungen Bundesrat vom 4.7. und 29.11.13
[84] Po. 13.3217 (Bischof): AB SR, 2013, S. 585 ff.; NZZ, 3.4.13; Po. 13.3226 (Caroni): AB NR, 2013, 1185.
[85] Pa.Iv. 12.450: NZZ, 9.11.13.
[86] Pa.Iv. 07.500: AB SR, 2013, S. 688 und 1170; AB NR, 2013, S. 1834 ff. und 2232; SPJ 2010, S. 116.
[87] BRG 13.049: BBl, 2013, S. 4887 ff.
[88] Pa.Iv: 12.413.
[89] Mo. 12.4181: AB NR, 2013, S. 1181; AB SR, 2013, S. 1023 f.