Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Regierung
Im Juni nahmen die Räte Kenntnis vom
Geschäftsbericht des Bundesrates für das Jahr 2012. Die Regierung beschrieb die 2012 realisierten Massnahmen entlang von sechs Leitlinien: (1) die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Schweiz wurde mit einem Massnahmenpaket zur Stärkung des Bankensektors gesichert. Zudem soll der Wohlstand mit der Wachstumspolitik 2012-2015 gefördert und die Agrarpolitik weiterentwickelt werden. (2) Die aussenpolitischen Schwerpunkte sahen eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Europa vor. Wichtig war zudem die Stärkung der Schweiz als Gaststaat für internationale Organisationen. (3) In der Sicherheitspolitik wurde eine verbesserte Vorsorge für Katastrophen und Notlagen mit einem Fokus auf kritische Infrastrukturen hergestellt. Ansonsten lag der Schwerpunkt der Sicherheitspolitik auf der Kampfflugzeugbeschaffung. (4) Die Sozialpolitik konzentrierte sich auf die umfassende Reform „Altersvorsorge 2020“. (5) In der Energiepolitik wurde ein Massnahmenpaket für den schrittweisen Umbau der Energieversorgung angegangen. In der Infrastrukturpolitik stand die Finanzierung der Eisenbahninfrastruktur im Vordergrund. (6) Die Kredite im Bereich Bildung, Forschung und Innovation sollen für 2013 bis 2016 ein überdurchschnittliches Wachstum aufweisen um die Spitzenstellung der Schweiz zu festigen. Auch die Kooperation in internationalen Forschungsorganisationen soll weiterhin ein Schwerpunkt sein
[8].
Der im Vorjahr aufgestaute Unmut ob der Beratung zum
Legislaturplanungsbericht des Bundesrates, der sehr lange Ratsdebatten und zahlreiche Änderungen evoziert, die in der Regel einzig zu allgemeinen und unverbindlichen Grundsatzbeschlüssen für einzelne Planungsmassnahmen führen, hatte sich in verschiedene Vorstösse ergossen, über die nun im Berichtjahr befunden wurde. Die praktisch identische Stossrichtung der drei parlamentarischen Initiativen beinhaltete die Forderung, dass der Legislaturplanungsbericht von den Räten nicht mehr abgeändert werden kann. Das Parlament solle diesen lediglich noch debattieren und zur Kenntnis nehmen können, um den Beratungsaufwand, der in keinem Verhältnis zum Nutzen stehe, zu reduzieren. Den drei Vorstössen wurde von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates mit 15 zu 8 Stimmen in globo Folge gegeben. Die SPK-SR hatte eine der drei Initiativen bereits 2012 gutgeheissen und gab 2013 auch den anderen beiden Folge
[9].
2011 hatten beide staatpolitischen Kommissionen zwei parlamentarischen Initiativen Binder (svp, ZH) und Leutenegger Oberholzer (sp, BL) Folge gegeben, die eine Karenzfrist für
die Übernahme bezahlter Mandate durch ehemalige Bundesrätinnen und Bundesräte verlangen. Stein des Anstosses für diese Debatte war die Übernahme eines Verwaltungsratsmandates von alt Bundesrat Moritz Leuenberger (sp) wenige Tage nach seinem Rücktritt bei der Baufirma Implenia gewesen, die zur Amtszeit Leuenbergers einige wichtige Bundesaufträge erhalten hatte. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates schlug in ihrem Gesetzesentwurf eine zweijährige Karenzfrist nicht nur für Bundesräte, sondern auch für Topkader der Bundesverwaltung vor. Der Bundesrat wehrte sich gegen diese Bestimmungen, da sie schädlich und in einem Milizsystem nicht angebracht seien. Zudem verwies die Regierung auf das „Aide-mémoire“, das vor Jahresfrist mit dem Passus ergänzt worden war, dass ehemalige Regierungsmitglieder bei der Annahme von Mandaten die erforderliche Sorgfalt walten lassen sollen. Dies genügte der grossen Kammer jedoch nicht uns sie folgte ihrer Kommission mit 99 zu 86 Stimmen bei fünf Enthaltungen. Dabei zeigten sich insbesondere die SP und die SVP kritisch gegenüber der Regierung, wohingegen die geschlossenen Parteien der GLP, FDP und BDP sowie die Mehrheit der CVP-EVP-Fraktion den Entwurf ablehnten. Allerdings verwarf der Nationalrat die Idee einer Karenzfrist für Verwaltungskader. Die kleine Kammer nahm im Berichtjahr noch nicht Stellung zum Geschäft
[10].
Die Geschäftsprüfungskommissionen beider Räte gaben Mitte März in ihrem
Bericht zum Rücktritt des SNB-Präsidenten Hildebrand einige Empfehlungen ab, wie sich der Bundesrat in Zukunft in ähnlichen Situationen verhalten soll. Nach Ansicht der GPK hatte der Bundesrat seine Kompetenzen überschritten. Die Kommissionen hielten fest, dass die Massnahmen, die von der damaligen Bundespräsidentin Calmy-Rey (sp) ergriffen wurden, einer rechtlichen Grundlage entbehrten. Eine der Empfehlungen der beiden GPK lautete deshalb, dass auch bei dringlichen Geschäften mit grosser politischer Tragweite die rechtliche Zuständigkeit abzuklären sei, um das Legalitätsprinzip – keine staatliche Handlung ohne Rechtsgrundlage – nicht zu verletzen. Zudem solle der Bundesrat auch in ausserordentlichen Situationen statt Ad-hoc-Ausschüsse reguläre Ausschüsse nutzen. Zudem wurde die ehemalige SP-Bundesrätin gerügt, weil sie den Gesamtbundesrat zu spät informiert habe; auch die Bundeskanzlei hätte früher einbezogen werden müssen. Es sei deshalb ein Kommunikationssystem zu schaffen, mit dem das gesamte Gremium einfach, schnell und sicher informiert werden könne. Dieses System soll zudem auch sicherstellen, dass bundesrätliche Telefonkonferenzen – eine solche hatte Anfang 2012 stattgefunden – abhörsicher sind. Gemahnt wurde von den beiden GPK zudem die schlechte Qualität der Bundesratsprotokolle. Diese seien zu knapp abgefasst und teilweise gar fehler- und lückenhaft gewesen. Nachvollziehbarkeit sei so nicht gegeben und die Arbeit der GPK werde damit erschwert. Nicht nur vom Bundesrat, sondern auch in der Presse wurde die Kritik der zuständigen Kommissionen als teilweise zu heftig erachtet: ein gewisser Spielraum müsse der Regierung in Krisensituation eingeräumt werden. Sogar Christoph Blocher nahm das Vorgehen von Micheline Calmy-Rey in Schutz, die in der NZZ eine Plattform zu ihrer Verteidigung erhielt
[11].
Die 2010 begonnene Idee von ordentlichen
Bundesratssitzungen ‚extra muros‘ wurde auch im Berichtjahr umgesetzt. Am 24. April tagten die Regierungsmitglieder in Schloss Prangins (VD) und trafen sich im Anschluss mit der Bevölkerung von Nyon
[12].
Viermal trafen sich Regierungsmitglieder mit den Parteipräsidenten und Fraktionsspitzen der Regierungsparteien (CVP, FDP, SP, SVP und BDP) zu den so genannten traditionellen
von-Wattenwyl-Gesprächen. Die regelmässig abgehaltenen informellen Gespräche tragen den Namen des Hauses in der Berner Altstadt, in dem sie stattfinden. Im Februar stand die Altersvorsorge 2020 zur Debatte; im Mai sprachen die Beteiligten über die kurz- und mittelfristigen finanzpolitischen Herausforderungen und die Unternehmenssteuerreform III; Ende August standen die EU-Dossiers, der Finanzplatz und erneut die Reform der Altersvorsorge auf der Agenda und im November waren die bevorstehenden finanzpolitischen Weichenstellungen das Hauptthema der Gespräche, deren Resultate wie immer geheim blieben
[13].
Nach der letzten offiziellen Bundesratssitzung werden traditionellerweise
Angaben zur Arbeit der Regierung veröffentlicht. Im Berichtjahr verbreitete der Bundesratssprecher André Simonazzi diese Angaben per Twitter. Der Bundesrat habe sich 2013 zu 40 ordentlichen und 5 ausserordentlichen Sitzungen getroffen, an denen über 2 500 Vorlagen, 1 400 Vorstösse und 600 Fragen behandelt worden seien
[14].
Zur Kompetenz des Bundesrates zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge vgl. unten, Kapitel 2 (Principes directeurs).
[8] BG 13.001:
BBl, 2013, S. 1841 ff.;
AB SR, 2013, S. 464 ff.;
AB NR, 2013, S. 1012 ff. und 1049 ff.; Medienmitteilung BR vom 11.3.13.
[9] Pa.Iv. 12.427 (SVP-Fraktion), Pa.Iv. 12.432 (CVP-EVP-Fraktion), Pa.Iv. 12.433 (Kommission 12.008-SR): Medienmitteilung SPK-NR vom 22.2.13; vgl.
SPJ 2012, S. 42 ff.
[10] Pa.Iv 10.511 (Binder) und Pa.Iv. 10.517 (Leutenegger Oberholzer):
AB NR, 2013, S. 1457 ff.; Bericht der SPK-NR vom 3.5.13:
BBl, 2013, S. 5215 ff.; Medienmitteilung BR vom 14.8.13;
LT und
NZZ, 19.1.13;
NZZ, 4.5.13;
NZZ und
LT, 15.8.13;
Lib. und
TA, 16.8.13;
NZZ, 17.9.13; Presse vom 19.9.13.
[11] Bericht der GPK-NR und SR vom 15.3.13:
BBl, 2013, S. 5627 ff.; Medienmitteilung BR vom 18.3. und 24.5.13;
NZZ, 16.3. und 19.3.13 (inkl. Beitrag von Calmy-Rey und Blocher); LZ, 19.3.13;
AZ und
NZZ, 20.3.13;
NZZ, 22.3.13;
SO, 24.3.13.
[12] Medienmitteilung BR vom 3.4. und 15.4.13;
LM, 25.4.13;
SO, 28.4.13.
[13] Medienmitteilungen BR vom 15.2., 17.5., 30.8. und 8.11.13;
SO, 19.5.13.
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