Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Parlament
Das
Arbeitspensum war – berechnet anhand der Anzahl erledigter Geschäfte – im Berichtjahr etwas höher als im Vorjahr. Insgesamt wurden in den je vier Sessionen und der Aprilsession im Nationalrat 2217 Geschäfte erledigt (beraten, zurückgezogen, abgeschrieben). Im Jahr 2012 lag diese Zahl bei 2075. Aufgeschlüsselt nach Instrumenten ergab dies 102 parlamentarische Initiativen (2012: 135), 429 Motionen (2012: 421), 201 Postulate (2012: 215), 580 Interpellationen (2012: 477), 76 Bundesratsgeschäfte (2012: 80) und 32 Standesinitiativen (2012: 30). Im Berichtjahr wurden zudem 112 einfache Anfragen (2012: 122) und 617 Fragen in der Fragestunde des Nationalrates beantwortet (2012: 525), die Räte nahmen 42 Petitionen zur Kenntnis (2012: 42) und die vereinigte Bundesversammlung nahm insgesamt 26 Wahlgeschäfte vor (2012: 28). Dass dem Parlament die Arbeit nicht ausgeht, dafür sorgten die Parlamentarier vor allem selber. Im Berichtjahr wurden insgesamt 2118 neue parlamentarische Vorstösse eingereicht, was einem Schnitt von 8,6 Vorstössen pro Ratsmitglied (National- und Ständerat) gleichkommt, die zweithöchste Rate seit 1998. Die höchste Rate von 9,4 Geschäften pro Ratsmitglied wurde 2009 erzielt. Im Vergleich zum Vorjahr wurden etwas weniger Motionen (425; 2012: 445) und Postulate (232; 2012: 251) eingereicht. Noch nie wurden hingegen derart viele Interpellationen (664; 2012: 582) vorgebracht wie im Berichtjahr. Auch die Fragestunde wurde wesentlich reger genutzt (617) als ein Jahr zuvor (525). Rückgängig waren hingegen die Zahl der einfachen Anfragen (96; 2012: 137) und der parlamentarischen Initiativen (84; 2012: 106). Im Berichtjahr wurden auch von aussen neue Geschäfte an das Parlament herangetragen, nämlich 97 Bundesratsgeschäfte (2012: 95) und 14 Standesinitiativen (2012: 27). Die immer zahlreicheren Vorstösse stiessen bei Experten zunehmend auf Kritik, da die Gesetzesflut auch mit einem Niedergang der Qualität der Gesetze einhergehe. Eine starke Zunahme wurde auch in der Anzahl gescheiterter Bundesratsgeschäfte verzeichnet. Waren es in den Legislaturen 1991 bis 1995 sowie 1995 bis 1999 noch je fünf Geschäfte, die nach einem gescheiterten Differenzbereinigungsverfahren, durch Ablehnung bei der Schlussabstimmung, durch Nichteintreten, durch Abschreiben oder aber durch Rückweisen an den Bundesrat scheiterten, nahm diese Zahl zwischen 1999 und 2011 sukzessive zu (1999-2003: 10 abgelehnte BRG; 2003-2007: 16 abgelehnte BRG; 2007 bis 2011: 27 abgelehnte BRG). Nach ungefähr der Hälfte der aktuellen Legislatur, also zwischen 2011 und 2013 waren bereits 26 Geschäfte gescheitert, darunter etwa auch die Lex USA oder die 6. IV-Revision. Auf der einen Seite kann diese Entwicklung als Krisenzeichen, als zunehmende Distanz zwischen Parlament und Regierung, als Ausdruck erhöhten Profilierungsdrangs der Pol-Parteien im Medienzeitalter, als Vorwahlgeplänkel im Hinblick auf eine neue Zusammensetzung im Bundesrat oder als Zeichen zunehmender Schwierigkeit für Konsensfindung in Folge einer instabileren (neuen) Mitte interpretiert werden. Auf der anderen Seite kann die Zahl aber auch relativiert werden durch die ebenfalls zunehmende Zahl an zu behandelnden Geschäften. Darüber hinaus kann sie auch als Zeichen einer Emanzipierung des Parlamentes betrachtet werden, das die Kontrolle über die Exekutive immer besser und kritischer wahrnimmt
[40].
Auf Initiative der Staatspolitischen Kommission des Ständerates sollten mit einer kleinen, auf eine Motion Hansruedi Stadler (cvp, UR) zurückgehenden Parlamentsreform
Verbesserungen der Organisation und des Verfahrens des Parlamentes angestrebt werden. Im Berichtjahr verkam das Anliegen, nachdem es bereits 2012 von der Volkskammer beschnitten worden war, zu einer eigentlichen Minireform. Die kleineren Präzisierungen und Gesetzesanpassungen sowie die Forderung, dass ausserordentliche Sessionen nur dann stattfinden sollen, wenn in beiden Kammern hängige Geschäfte vorliegen, waren zwar unbestritten. Die ursprünglichen Forderungen jedoch, welche der Vorstossflut im Nationalrat Einhalt gebieten wollten, überlebten das parlamentarische Ping-Pong – viermal wechselte das Geschäft im Berichtjahr zwischen den Kammern hin und her – allerdings nur in marginaler Form. Nachdem der Nationalrat die zentralen Forderungen der ständerätlichen Initiative bereits 2012 stark abgeändert hatte, blieben nach der ersten Beratung des Ständerates drei zentrale Differenzen übrig: Erstens verlangte die ständerätliche Initiative ursprünglich, dass Standes- und parlamentarische Initiativen in Form eines ausgearbeiteten Vorentwurfs statt einer allgemeinen Anregung eingereicht werden müssen. Während die kleine Kammer diesem Ansinnen zustimmte, wurde es vom Nationalrat verworfen. Zweitens akzeptierte die grosse Kammer zwar ein Obligatorium für eine mündliche Beratung von Motionen, wollte aber bei so genannten organisierten Debatten nach wie vor mehrere ähnliche Geschäfte gleichzeitig behandeln. Der Ständerat vertrat die entgegengesetzte Ansicht, dass vom Nationalrat gebündelt behandelte Vorlagen jeweils zu Unsicherheiten führen, da daraus nicht klar ersichtlich wird, aus welchen Gründen der Nationalrat ein spezifisches Begehren abgelehnt oder angenommen hat. Darüber hinaus hatte die grosse Kammer zwei Erweiterungen eingebracht: Die im Ständerat umstrittene Idee einer aktuellen Debatte für den Nationalrat, die von 75 (statt wie bisher von 50) Mitgliedern des Nationalrates bei aktuellen Ereignissen als Sondersession verlangt werden kann, sowie eine auf eine zurückgezogene parlamentarische Initiative Reimann (svp, SG) zurückgehende Regelung, mit der verboten werden soll, dass die Präsidenten der beiden GPK der gleichen Fraktion angehören. Letzteres entpuppte sich als dritte zentrale Differenz zum Ständerat. Nachdem auch der Nationalrat auf seinem Standpunkt beharrte, kam das Geschäft in der Sommersession zum zweiten Mal in den Ständerat. Dort wurden die Forderungen nochmals stark abgeschwächt: Von einer Ausformulierung von parlamentarischen Initiativen war nicht mehr die Rede. Die kleine Kammer beharrte hingegen auf einer leicht abgeschwächten Forderung eines Obligatoriums für eine echte nationalrätliche Diskussion von Motionen. Die Vorschrift, dass die Präsidenten der beiden GPK nicht derselben Fraktion angehören dürfen, akzeptierten die Kantonsvertreter. Diese Änderungen akzeptierte der Nationalrat noch in der Sommersession. Die Beschlüsse bedingten Änderungen des Bundesgesetzes über die Bundesversammlung und der jeweiligen Geschäftsreglemente beider Räte, die im Ständerat in der Schlussabstimmung einstimmig und im Nationalrat mit 121 zu 64 bzw. 106 zu 85 Stimmen angenommen wurde, wobei sich die Opposition vor allem aus Vertretern der SVP und der FDP zusammensetzte. Im Geschäftsreglement des Nationalrates wurde zudem die neu eingeführte Idee der aktuellen Debatte verankert: Auf Antrag von 75 Mitgliedern des Nationalrates kann eine aktuelle Debatte für die Diskussion wichtiger Ereignisse einberufen werden, ohne dass damit auf das Mittel einer Sondersession zurückgegriffen werden müsste. Ende Berichtjahr reichte Leutenegger Oberholzer (sp, BL) eine parlamentarische Initiative ein, mit der das beschleunigte Verfahren bei bekämpften Vorstössen wieder eingeführt werden soll. Mit der obligatorischen Beratung sei das Verfahren – im Gegensetz zum eigentlichen Ziel – ineffizienter geworden
[41].
Eine parlamentarische Initiative Jacqueline Fehr (sp, ZH) wollte gegen die Schwerfälligkeit des Ratsbetriebs vorgehen. Parlamentarische Vorstösse in beiden Räten können zurzeit lediglich von einem Mitglied oder einer Fraktion vorgebracht werden. Um zu demonstrieren, dass mehrere Personen hinter einem Anliegen stehen, würden deshalb
dieselben Vorstösse parallel von mehreren Ratsmitgliedern eingereicht. Dies sei nicht nur unbefriedigend, sondern erschwere auch die überparteiliche Arbeit. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats gab der Initiative im Berichtjahr mit 13 zu 10 Stimmen Folge. Sie wollte das Begehren mittels Revision des Geschäftsreglements des Nationalrats umsetzen. Da davon lediglich die grosse Kammer betroffen ist, war die Zustimmung der Schwesterkommission nicht nötig und das Sekretariat wurde beauftragt, einen Vorentwurf zu verfassen
[42].
[40] www.parlament.ch (Curia Vista Suche);
NZZ, 8.2.13;
So-Bli, 7.7.13;
SO, 6.10.13;
NZZ, 7.12.13.
[41] Pa.Iv. 10.440:
AB SR, 2013, S. 80 ff., 472 f., 646;
AB NR, 2013, S. 334 ff., 931 ff.;
BBl, 2013, S. 4735 ff.; vgl.
SPJ
2012, S. 51 f.; Mo. 09.3896 (Stadler); Pa.Iv. 11.428 (Reimann); Pa.Iv. 13.483 (Leutenegger Oberholzer);
NZZ, 8.3., 19.3. und 13.6.13;
Blick, 13.11.3; vgl.
SPJ 2012, S. 52.
[42] Pa.Iv. 12.460: Medienmitteilung SPK-NR vom 27.6.13.
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