Année politique Suisse 2013 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte / Volksrechte
2012 und 2013 war es in drei Fällen zur Situation gekommen, dass die Räte sich
bei Volksbegehren
nicht auf eine Empfehlung einigen konnten. Ein Patt hatte bei der Bauspar-Initiative und der Initiative „Eigene vier Wände dank Bausparen“ sowie bei der Abzockerinitiative bestanden. Minder (parteilos, SH) stiess sich daran, dass der Bundesrat in allen drei Fällen trotz fehlender parlamentarischer Empfehlung seine eigene Meinung zu den Vorlagen verbreitete. Minder wollte dem mit Hilfe einer im Berichtjahr eingereichten, aber noch nicht behandelten parlamentarischen Initiative einen Riegel schieben. Die Staatspolitische Kommission des Ständerats empfahl noch Ende Jahr mit 4 zu 2 Stimmen bei 2 Enthaltungen, dem Vorstoss keine Folge zu geben, und begründete dies damit, dass der Bundesrat auch und gerade bei fehlender Empfehlung des Parlamentes informieren müsse. Die Kommission verwies dabei auch auf die deutliche Ablehnung der Volksinitiative „Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ im Jahr 2008, die eine starke Einschränkung der behördlichen Information verlangt hätte
[84].
Eine parlamentarische Initiative Rutz (svp, ZH) will den
aussenparlamentarischen Kommissionen wie z.B. der Kommission gegen Rassismus oder der Eidgenössischen Kommission für Tabakprävention verbieten, in Kampagnen bei Volksabstimmungen vor die Medien zu treten und ihre Meinung kund zu tun. Ende Berichtjahr stellte sich die Staatspolitische Kommission knapp, mit Stichentscheid ihres Präsidenten Ueli Leuenberger (gp, GE) gegen das Begehren
[85].
Die im Vorjahr von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates noch gutgeheissene parlamentarische Initiative Joder (svp, BE), die eine Anpassung der Rechtsgrundlagen für
Nachzählungen von Abstimmungen und Wahlen verlangt, damit nicht wie vom Bundesgericht vorgeschlagen bei knappen Resultaten sondern nur bei begründeten Hinweisen auf Unregelmässigkeiten eine Nachkontrolle durchgeführt wird, wurde von der ständerätlichen Schwesterkommission abgelehnt. Nachdem der Bundesrat signalisiert hatte, das Ansinnen in die Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (siehe oben) aufzunehmen, wurde die Parlamentarische Initiative zurückgezogen
[86].
Nach den Nationalratswahlen 2011 waren zwei Vorstösse lanciert worden, die ein
Verbot von Listenverbindungen forderten. Die Motion Frehner (svp, BS) und die Motion der FDP-Liberalen Fraktion wurden vom Bundesrat abgelehnt. Die Regierung argumentierte, dass Listenverbindungen eine Folgeerscheinung des geltenden Hagenbach-Bischoff-Mandatszuteilungsverfahrens seien und vor allem für kleine Parteien in kleinen Wahlkreisen wichtig seien, da mit Listenverbindungen deren systembedingt schlechtere Chancen für einen Sitzgewinn erhöht werden könnten. Das System habe sich zudem bewährt und ein Verbot könne die Verzerrungen aufgrund der unterschiedlichen Grösse der Kantone als Wahlkreise nicht beheben. In der Tat hatte sich Frehner insbesondere am Umstand gestossen, dass die CVP im Kanton Basel-Stadt zwar viel weniger Stimmen gemacht hatte als die GP, dank Listenverbindung aber den Sitz der Grünen erobern konnte. Beide Motionen wurden – getrennt behandelt – abgelehnt. Sie fanden lediglich bei rund einem Drittel der SVP-Fraktion, bei der gesamten FDP-Liberalen-Fraktion – allerdings mit einigen Enthaltungen – und bei zwei CVP-Mitgliedern Gehör
[87].
Die Beantwortung der beiden abgelehnten Motionen für ein Verbot von Listenverbindungen (siehe oben) wurden vom Bundesrat zum Anlass genommen, einen Bericht über die Vor- und Nachteile der verschiedenen auch in den Kantonen benutzen
Wahlsysteme zu erstellen. Der Bericht kam zum Schluss, dass es ein gerechtes Wahlsystem nicht gebe und deshalb am breit akzeptierten Zuteilungsverfahren (Hagenbach-Bischoff-Modell) mit der Möglichkeit von Listenverbindungen festzuhalten sei (zu den verschiedenen Wahlrechtsreformen in den Kantonen vgl. Teil I, 1e, Wahlen)
[88].
Beide Kammern lehnten die Standesinitiative des Kantons Bern ab, welche
die Vertretung von sprachlichen Minderheiten im Parlament sicherstellen wollte. Konkret hätten zweisprachige Kantone eine der sprachlichen Minderheit entsprechende Sitzzahl reservieren sollen. Die Räte argumentierten, dass dies vor allem ein Problem des Kantons Bern sei und innerkantonal geregelt werden müsse
[89].
Aufgrund der aktuellen Bevölkerungsentwicklung wird es für die Nationalratswahlen 2015 zu einer Verschiebung der
Sitzzahlen pro Kanton für den Nationalrat kommen. Die Kantone Bern (ab 2015 noch 25 Sitze), Solothurn (noch 6 Sitze) und Neuenburg (noch 4 Sitze) müssen je einen Sitz abgeben, während die Kantone Zürich (neu 35 Sitze), Aargau (neu 16 Sitze) und Wallis (neu 8 Sitze) ihre Sitzzahl entsprechend um je einen Sitz aufstocken können. In Zukunft soll die Zuteilung alle vier Jahre neu berechnet werden. In der Presse wurde vermutet, dass jene Kantone von zusätzlichen Sitzen profitieren, in denen die Zuwanderung aufgrund der Personenfreizügigkeit gross ist. Eine Motion der SVP-Fraktion, welche die Berechnung der Sitzzahlen auf der Basis der Schweizer Bevölkerung sowie der Ausländer mit C- oder B-Ausweis statt der Berechnung auf Basis der gesamten Wohnbevölkerung verlangt hatte, wurde im Nationalrat im Berichtjahr abgelehnt
[90].
Die elektronische Stimmabgabe bei Abstimmungen und Wahlen blieb auch im Berichtjahr ein Thema. Vote électronique kam an allen vier Abstimmungsterminen in den zwölf Versuchskantonen (BE, LU, FR, SO, BS, SH, SG, GR, AG, TG, NE, GE) für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer zum Einsatz. In den Kantonen Neuenburg und Genf konnten zudem auch ausgewählte Stimmberechtigte (18% bis 30% der Stimmberechtigten) mit Wohnsitz in der Schweiz elektronisch abstimmen. Im Einsatz waren dabei drei Systeme: das System Genf (4 Kantone), das System Zürich (7 Kantone) und das System Neuenburg (Guichet Unique). Mitte Jahr legte der Bundesrat eine Auswertung zur Einführung von Vote électronique (2006-2012) vor, worin er auch Grundlagen zur Weiterentwicklung erörterte. Er beurteilte die über 100 Versuche seit Projektbeginn als erfolgreich; die wenigen Zwischenfälle – im Kanton Luzern gab z.B. eine Person ihre Stimme unbeabsichtigt zwei Mal ab – hätten die erfolgreiche Durchführung in keiner Weise in Frage gestellt und die verwendeten Systeme würden kontinuierlich, insbesondere hinsichtlich der Sicherheit verbessert. Prioritär seien die Auslandschweizer, aber einige Kantone (AG, SG, SO) wollten – wie Genf und Neuenburg – auch vermehrt in der Schweiz wohnhafte Stimmberechtigte einbeziehen. Die Versuche zeigten, dass die Stimmbeteiligung bei den elektronisch stimmenden Auslandschweizern bei rund 50% liege, bei den in der Schweiz wohnhaften Stimmberechtigten bei etwa 20%. Als nicht ganz genügend wurden die rechtlichen Grundlagen betrachtet, die besser an die sich verändernden technischen Entwicklungen angepasst werden müssten. Als Hauptziel nannte der Bericht die elektronische Abstimmungsmöglichkeit für die Mehrheit der Auslandschweizer Stimmberechtigten bei den Nationalratswahlen 2015 und als Fernziel die Zurverfügungstellung eines komplementären Stimmkanals für alle Stimmberechtigten. Mittelfristig soll die Grenze von aktuell 30% der inländischen, E-Voting nutzenden Stimmberechtigten abhängig von der Umsetzung der im Bericht ebenfalls definierten Sicherheitsstandards (insbesondere die Verifizierbarkeit) angehoben werden. Allerdings erwuchs dem Projekt zunehmend Kritik. Eine Motion Fässler-Osterwalder (sp, SG), die vom Bundesrat bis zu den Wahlen 2015 eine flächendeckende Möglichkeit für
E-Voting für alle Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern forderte, wurde im Nationalrat abgelehnt. Kritische Stimmen vor allem von Jungparlamentariern mahnten an, das Motto des Bundesrates „Sicherheit vor Tempo“ weiter verfolgen zu wollen. Bei elf Enthaltungen und der Ablehnung des Vorstosses mit 92 zu 83 Stimmen überwog die Skepsis in der Grossen Kammer. Kritik gegenüber dem Ausbau von E-Voting beinhalten auch die Ende September eingereichten, aber noch nicht behandelten Motionen Schwaab (sp, VD) und Glättli (gp, ZH). Beide wollen die E-Voting-Versuche bremsen, weil die Risiken die Chancen überwiegen würden. Die Waadtländer Kantonsregierung entschied im Berichtjahr, mit der Einführung von E-Voting zuzuwarten, bis die Technik sicherer geworden sei. Im Kanton Zürich forderten SVP und GP ein Verbot von E-Voting. Auslöser für die Skepsis war ein von einem Spezialisten entwickeltes Virus, mit dem aufgezeigt wurde, wie der Abstimmungswille im Genfer System hätte verfälscht werden können
[91].
[84] Pa.Iv. 13.431: Bericht der SPK-SR vom 11.11.13;
SPJ 2008, S. 42.
[85] Pa.Iv. 13.439 (Rutz);
NZZ, 2.11.13.
[86] Pa.Iv. 11.502 (Joder):
TA, 13.2.13; vgl.
SPJ 2012, S. 68.
[87] Mo 12.3050 (Frehner):
AB NR, 2013, S. 1475 f.; Mo 12.3374 (FDP):
AB NR, 2013, S. 1476 f.; vgl.
SPJ 2012, S. 68 f.;
BaZ, 29.8.13;
NZZ, 19.9.13.
[88] Bericht der BK vom 21.8.13; Medienmitteilung BR vom 28.8.13;
NZZ, 29.8.13. Zu den Kantonen vgl. Teil I, 1e (Wahlen); zu den Wahlverfahren vgl.
SPJ 2012, S. 68 f.
[89] Kt.Iv. 12.314:
AB NR, 2013, S. 1402;
AB SR, 2013, S. 369; vgl. Teil I, 1d (Jurafrage);
NZZ und
QJ, 10.1.13;
QJ, 11.1.13; vgl.
SPJ 2012, S. 68 f.
[90] Mo. 13.3055 (SVP):
AB NR, 2013, S. 1481;
AZ, 16.1.13;
Bund, 5.3.13;
TA, 4.4.13;
SZ, 26.4.13;
BLZ und
LZ, 27.4.13;
LZ und
SGT, 4.5.13;
NZZ, 28.8.13; Presse vom 29.8.13;
BaZ, 30.8.13;
SO, 1.9.13;
SZ, 24.10.13.
[91] Kantonsversuche:
BBl, 2013, S. 1943 ff., 4647 ff., 6517 ff., 6743 f., 7839 ff.; Bericht zu Vote électronique:
BBl, 2013, S. 5069 ff.; Mo. 11.3879 (Fässler-Osterwalder):
AB NR, 2013, S. 1474; Mo. 13.3808 (Schwaab); Mo. 13.3812 (Glättli);
NZZ, 3.5., 22.5. und 15.7.13;
CdT, 18.7.13;
SoZ, 21.7.13;
TA, 23.7. und 26.7.13;
NZZ, 15.8., 19.8. und 20.8.13;
TG, 27.8.13;
NZZ, 30.8.13;
TA, 13.9.13;
NZZ und
TG, 17.9.13;
NZZS, 15.9.13;
TA, 4.11.13;
CdT, 5.11.13;
NZZ, 19.11. und 14.12.13.
Copyright 2014 by Année politique suisse